Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 01.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Volkswagen

IG Metall will hart bleiben

Der Volkswagenkonzern droht mit Werkschließungen und fordert Lohnverzicht. Die Gewerkschaft verlangt Beitrag von Topmanagement und Aktionären
Von David Maiwald
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Jeder Standort hat Bedeutung für die gesamte Region, stellten VW-Beschäftigte am Montag in Zwickau klar

Die Wolfsburger Arena in den Allerwiesen gähnte am Mittwoch vor leeren Rängen. In den Katakomben des Fußballstadions wurde jedoch über mehrere Stunden verhandelt. Nach den Worten von IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger stand dann am Abend überhaupt eine Grundlage für weitere Gespräche. VW habe grundsätzlich die Bereitschaft gezeigt, »in einen Prozess einzusteigen, der Perspektiven für alle Standorte und Beschäftigungssicherung einschließt«, erklärte er. Das habe die »Mindestvoraussetzung« erfüllt, um ein Scheitern abzuwenden. Diese Basis sei vom Konzern aber an »Kostenziele« geknüpft worden, die für die IG Metall »keinen gangbaren Weg« darstellten, so Gröger.

Volkswagen-Verhandler Arne Meiswinkel präsentierte die Forderungen des Konzerns. Dieser fordere im Gegenzug zu der von Gröger skizzierten Verhandlungsbereitschaft eine »Arbeitskostenentlasung«. Präziser: zehn Prozent Entgeltreduzierung und gestrichene Sonderzahlungen »wie die Jubiläumsgratifikation und die tarifliche Zulage«. Nur wenn VW über Lösungen verfüge, um sein »finanzielles Ziel« zu erreichen, so Meiswinkel, »können wir uns auch die Diskussion zu Perspektiven der Standorte und einer Beschäftigungssicherung vorstellen«.

Die Drohkulisse des Autobauers soll der IG Metall erkennbar eine Defensivposition aufzwingen. Der Konzern fordere neben dem Lohnverzicht auch tarifliche Nullrunden und eine Reduzierung der angebotenen Ausbildungsplätze von 1.400 auf 600. Die eigentliche Tarifforderung der Gewerkschaft nach sieben Prozent mehr Geld für die Beschäftigten ist dadurch deutlich in den Hintergrund gerückt. Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo erklärte auf jW-Nachfrage am Mittwoch, dennoch weiter »gemeinsam arbeiten« zu wollen; »wie wir das in der Vergangenheit auch gemacht haben«. Bislang sei jede Krise bei Volkswagen »gemeinsam mit dem Betriebsrat und der IG Metall gemeistert worden«.

Gegen die verbreiteten Überlegungen des Vorstands hatten Betriebsrat und Gewerkschaft »erbitterten Widerstand« angekündigt. Die Vorstellungen seien noch »meilenweit auseinander«, der Belegschaft aber klar: »Wenn wir am Verhandlungstisch keine Lösung finden, heißt das auch Eskalation«, erklärte Betriebsratschefin Cavallo am Mittwoch abend. Die Beschäftigten seien dazu bereit, das sei bei allen Belegschaftsversammlungen spürbar gewesen. Volkswagen habe in der zweiten Gesprächsrunde »überhaupt erst die Tür aufgemacht, um in Verhandlungen zu treten«. Verhandlungsführer Gröger ergänzte, er sehe trotz der Androhungen des Unternehmens bisher »keine Veranlassung, Forderungen zurückzunehmen«.

Schon vor dem zweiten Gesprächstermin von Gewerkschaft und Konzernvertretern zitierte das Handelsblatt aus einem Vorstandspapier, der Konzern verspreche sich durch die Maßnahmen jährlich zwei Milliarden Euro Einsparungen. Das entspreche der Hälfte des vom Konzern ausgegebenen Sparziels, hieß es. In den Standorten Emden, Osnabrück sowie der Dresdner Gläsernen Manufaktur die Produktion einzustellen bezifferte das Papier demnach auf insgesamt knapp 800 Millionen Euro. Auch die Komponentenfertigung steht dem Bericht zufolge als Kürzungsoption und wird auf 800 Millionen Euro berechnet. Zudem könnten in der technischen Entwicklung 4.000 bis 6.000 Stellen gestrichen werden.

Zu Beginn der 1990er Jahre hatten ähnliche Überlegungen bei der Volkswagen AG existiert. Die IG Metall hatte sich schließlich mit dem damaligen Personalvorstand und späteren Hartz-IV-Namensgeber Peter Hartz auf eine Arbeitszeitverkürzung und Bruttolohnverzicht geeinigt. Dafür schloss der Tarifvertrag betriebsbedingte Kündigungen aus und bildete die Grundlage für weitere Verhandlungsergebnisse der folgenden Jahre. Möglich, dass sich in den Verhandlungen ein ähnliches Szenario finden lässt.

Wie sich die Lasten einer solchen Einigung verteilen, könnte einer schwierigen Auseinandersetzung bedürfen. »Wir müssen hart bleiben«, stellte Thorsten Gröger am Mittwoch abend klar. Angesichts des »dreisten Griffs in die Portemonnaies der Beschäftigten« müsse sich Volkswagen zunächst die Frage beantworten, »wie eigentlich die Einsparpotentiale bei Vorständen, Topmanagement und Aktionären aussehen«.

Hintergrund: Sicherung von Beschäftigung

Am 29. November 1993 erzielte die IG Metall in den Verhandlungen mit dem Volkswagen-Konzern im fünften Tarifgespräch eine Einigung für den »Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung«. Am 10. Dezember nahm die Tarifkommission der IG Metall das Ergebnis mit »großer Mehrheit« und nur einer Enthaltung an. Der geschlossene Tarifvertrag führte damit eine Arbeitszeitverkürzung in den Standorten des Autobauers ein, die ab dem 1. Januar 1994 eine Viertagewoche mit 28,8 Stunden für die Facharbeiter vorsah. Auszubildende wurden allerdings weiterhin mit 36 Wochenstunden beschäftigt.

Die Verhandlungen hatten insgesamt vier Wochen gedauert. »Volkswagen und IG Metall verfolgen gemeinsam das Ziel der Sicherung der Beschäftigung in den inländischen Standorten und der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswagen AG«, so die einleitenden Worte des siebenseitigen Papiers. Damit schloss das Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen für seine festangestellten Beschäftigten aus – bis der amtierende Vorstandsvorsitzende Oliver Blume den Haustarifvertrag Anfang September dieses Jahres gekündigt hatte. Nach zuletzt getroffener Einigung sollte die Beschäftigungssicherung bis 2029 gelten. Mit ihr fielen der Rahmenvertrag für Führungskräfte, die Regelung zur Übernahme von Azubis und die Verträge zur Zeitarbeit.

Mit der Einigung vom Dezember 1993 konnte Volkswagen jährliche Zusatzzahlungen an die Beschäftigten umwandeln »um das Monatseinkommen zu erhalten«, wie es die IG Metall seinerzeit mitteilte: Das Bruttoeinkommen der Konzernbeschäftigten senkte VW so um rund zwölf Prozent, den monatlich ausgezahlten Betrag pro Kopf konnte der damalige Personalvorstand Peter Hartz aber stabil halten. So wurden Weihnachts- und Urlaubsgeld etwa in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt.

Der damalige IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Peters nannte das Ergebnis seinerzeit die »radikalste Arbeitszeitverkürzung in der Geschichte der Bundesrepublik beim größten Autohersteller Europas«. Erstmals demonstriere ein großes Unternehmen »soziale Verantwortung« und gewähre »Beschäftigungsgarantien«.

Die nun geltende Viertagewoche wurde mit Inkrafttreten des »Zukunftstarifvertrags« zwischen IG Metall und Volkswagen jedoch wieder mit mehr Arbeitszeit gefüllt – allerdings ohne Lohnausgleich. Die Wochenstunden wurden dabei wieder auf 33 erhöht, im indirekten Bereich auf 34. VW sicherte damals wieder Beschäftigungssicherung (bis 2011) zu und verpflichtete sich zu Investitions-, Produkt- und Auslastungszusagen für alle sechs zentralen Werkstandorte in Westdeutschland. Einen Lohnausgleich gab es für die dann verlängerte Arbeitszeit aber nicht. (dm)

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