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Aus: Ausgabe vom 01.11.2024, Seite 4 / Inland
Attentat in Hanau

Keine Abschreckung

Vater des Attentäters von Hanau verurteilt
Von Dîlan Karacadağ
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Tausende Menschen versammeln sich zum Gedenkmarsch anlässlich des vierten Jahrestages des Anschlags (Hanau, 17.2.2024)

Nicht mal ein schwacher Trost: »In Hanau wachsen Kinder und Jugendliche in einer Umgebung auf, in der Menschen, die Hassverbrechen begehen, unbestraft bleiben: Das Urteil ist ein Zeichen dafür, dass der Weg für weitere Taten offen bleibt«, sagte Serpil Temiz Unvar, die Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, am Donnerstag gegenüber junge Welt. Ein rassistischer Deutscher hatte am 19. Februar 2020 neun migrantisch gelesene Personen in Hanau getötet.

Der Vater des rechtsterroristischen Attentäters von Hanau, Hans-Gerd R., wurde am Donnerstag morgen vom Amtsgericht Hanau zu einer Geldstrafe von insgesamt 21.600 Euro verurteilt. Einer der Gründe: Er belästigte und bedrohte Familienangehörige der von seinem Sohn ermordeten jungen Erwachsenen – auch vor Unvars Wohnhaus tauchte Hans-Gerd R. mehrfach auf und beleidigte sie rassistisch. Das Urteil umfasst 360 Tagessätze zu je 60 Euro und fällt aufgrund von Beleidigung, übler Nachrede, Volksverhetzung sowie mehreren Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz. Die Urteilsbegründung steht noch aus.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe gefordert, während die Nebenklage eine Haftstrafe für den 77jährigen anstrebte. Die Verteidigung plädierte hingegen auf Freispruch. Der Prozess lief bereits seit Mitte September, wobei sich die Verhandlungen aufgrund mehrerer Vorfälle verzögerten. Zum ersten Verhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht, beim zweiten Anlauf musste Hans-Gerd R. von Polizisten ins Gericht getragen werden. Zudem lehnte er eine medizinische Behandlung ab, trotz eigener Angaben über Herzprobleme, und verfolgte die Verhandlung schließlich liegend auf dem Boden.

Die Vorwürfe gegen ihn dokumentieren eine Reihe von Straftaten, die sich zwischen Januar 2021 und Juli 2023 ereignet haben. Dazu gehört unter anderem ein Schreiben, in dem er ein Spezialeinsatzkommando, das bei dem Attentat seines Sohnes im Einsatz war, als »Terroreinheit« bezeichnete. Zudem nahm das Gericht zur Kenntnis, dass der Angeklagte wiederholt gegen ein Annäherungsverbot verstoßen hatte, das ihm untersagte, sich den Wohnorten der Angehörigen der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau zu nähern.

Sein Sohn, ein 43jähriger Deutscher, hatte beim Anschlag von Hanau Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović umgebracht. Drei weitere Personen wurden durch die Schüsse des Täters schwer verletzt. Der Täter tötete anschließend seine Mutter und sich selbst. Tobias R. hatte seinen Rassismus und seine Gewaltbereitschaft bereits zuvor im Internet verbreitet und sogar in einer manifestartigen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft dargelegt. Dennoch geschah nichts im Sinne der Gefahrenabwehr.

»Geldstrafen sind keine abschreckenden Strafen; potentielle Täter wird das nicht abhalten. Vor allem ›reiche Täter‹ können ungehindert weitermachen«, sagte Unvar. Finanzielle Sanktionen reichten nicht aus. »Trotz der Bedrohungen, die ich von dem Vater des Täters erlebt habe, verspüre ich keine Angst für mich persönlich.« Es gehe jedoch nicht um ihre Gefühlswelt, sondern um die Tatsache, dass er Angst verbreite. »Warum gibt es so viele rassistische Morde, so viele Femizide? Neben dem eklatanten Behördenversagen ist es das System, das strukturellen Rassismus fördert«, sagte Ferhats Mutter.

Der Fall wird nun aller Voraussicht nach bei der nächsten Instanz landen, sowohl die Verteidigung als auch die Nebenklage, die eine Angehörige eines Anschlagsopfers vertritt, kündigten an, Rechtsmittel einlegen zu wollen.

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