Genozid nach Plan
Von Yaro Allisat»A Cartography of Genocide« heißt eine aktuelle Veröffentlichung der Recherchegruppe Forensic Architecture des Goldsmiths-Colleges an der Universität London. Seit Oktober vergangenen Jahres hat das Projekt Daten zu israelischen Angriffen in Gaza gesammelt. Zusammen mit einem 827seitigen Report liegt nun eine interaktive Karte des Küstenstreifens vor. Sie veranschaulicht das ganze Ausmaß der Vertreibung und der Zerstörung ziviler Infrastruktur und belegt einen koordinierten Plan zur Auslöschung der Palästinenser in Gaza. Die Gruppe spricht von einem Genozid.
»Die Muster, die wir in bezug auf Israels militärisches Verhalten in Gaza beobachtet haben, deuten auf eine systematische und organisierte Kampagne zur Zerstörung von Leben, einer zuträglichen Umwelt und lebenserhaltender Infrastruktur hin«, heißt es auf der Seite des Projekts. Um die Muster in der israelischen Kriegführung sichtbar zu machen, wurden der Graphik Tausende Daten beigefügt, die vom Nutzer thematisch gefiltert werden können. Demnach sollte im Unterschied zur offiziellen israelischen Darstellung, nach der es bei dem fortgesetzten Krieg um die Ausschaltung der Hamas geht, »maximaler Schaden« angerichtet werden. Und dieses Ziel wurde erreicht.
Allein in den ersten drei Wochen nach dem 7. Oktober haben die Forscher mehr als 1.000 israelische Bombardements registriert, bei denen insgesamt geschätzte 25.000 Tonnen Sprengstoff eingesetzt wurden – die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, besaß nur die halbe Sprengkraft. Nach Beginn der israelischen Bodenoffensive auf Gaza Ende Oktober 2023 registrierten die Forscher einen noch schneller anwachsenden Grad der Zerstörung: 425 Schulen, 273 religiöse Gebäude, 250 Zufluchtsorte und das Straßennetz waren wiederholten Angriffen durch Israel ausgesetzt. Auch dokumentiert das Projekt systematische Angriffe auf Kliniken und andere medizinische Einrichtungen sowie auf humanitäre Hilfslieferungen. Sie werden auch durch den diese Woche vorgelegten Report der UN-Sonderberichtserstatterin Francesca Albanese bestätigt.
Die Zerstörung von 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen und 45 Prozent der Gewächshäuser verhindert zudem eine Versorgung mit Nahrungsmitteln aus Gaza selbst. Die Einwohner sind also immer abhängiger von durch Israel kontrollierte Lieferungen von außen. So provoziere die Besatzungsmacht strategisch eine Hungersnot in Gaza, lautet ein Fazit von Forensic Architecure. Auch das deckt sich mit anderen Berichten, in denen schon Anfang des Jahres gewarnt wurde, dass Hunger und Krankheiten insbesondere Kindern in Gaza kaum noch Überlebenschancen ließen.
Forensic Architecture hat auch die militärische Kontrolle Israels über Gaza analysiert. Die Schaffung von Zonen wie des Netzarim-Korridors, der Gaza in zwei Hälften teilt und mit Checkpoints versehen ist, des Philadelphi-Korridors an der Grenze zu Ägypten oder von Straßen für die Armee deuten laut den Ergebnissen auf eine langfristig geplante Besetzung Gazas hin.
Die Daten über Fluchtbewegungen in Gaza zeigen zudem: 90 Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile Binnenvertriebene. In einem Großteil des Küstenstreifens erließ die israelische Armeeführung Evakuierungsaufforderungen an die dort befindlichen Menschen. Sie sollten in angeblich sichere humanitäre Zonen fliehen, die aber vielfach ebenfalls angegriffen wurden, wie die Forscher aufzeigen.
Indes verschärft sich die Situation in Gaza und der besetzten Westbank immer weiter. Ab 2025 darf das UN-Palästinenser-Hilfswerk (UNRWA) nicht mehr vor Ort tätig sein, beschloss das israelische Parlament Knesset vor wenigen Tagen. Das Land, auf dem die UNRWA-Vertretung im besetzten Ostjerusalem steht, will Israel nach Medieninformationen beschlagnahmen und darauf Wohnungen für Siedler errichten. Die Verteilung von Hilfsgütern in Gaza soll in die Zuständigkeit der israelischen Armee fallen – eben jener Armee, deren Soldaten vor laufender Kamera Palästinenser foltern und sie verhöhnen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. November 2024 um 12:01 Uhr)Müssen wir nicht allmählich aus der Geschichte lernen und erkennen: »In unserer Welt gibt es weder faktische Gerechtigkeit noch unabhängige Rechtsprechung – nur die Macht, die sich durchsetzt.«
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