Ein Schuhkarton voller Töne
Von Gisela SonnenburgDer Name macht stutzig. Rudi Neuwirth, Vokalist und Schlagzeuger, ist es schon gewohnt, dass da nachgefragt wird, wenn es um seine Minitruppe geht. Dabei gibt es das Duo Jazztage schon seit 2015. Zusammen mit dem Gitarristen Andreas Willers verwandelt Neuwirth bekannte Melodien aus dem Jazz in moderne, aber ansprechende Improvisationen. Populäre Evergreens wie »Wonderful« und »It Could Happen to You« liefern die Grundlage, bilden das »Material«, wie Neuwirth es nennt. Und damit hotten die beiden Musiker dann ab, mit die Phantasie bereichernden Tonschleifen. Am kommenden Dienstag spielen Jazztage in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin in der Reihe »jW geht Jazz« – und sie werden beweisen, welchen Charme Musik hat, die einem irgendwie bekannt und doch ganz anders als gewohnt vorkommt.
Rudi Neuwirth begann in Würzburg, seiner fränkischen Heimat, als Teenager mit dem Schlagzeug. Mit Rock und Pop fing es an, dann stand fest: Beruflich muss es die Musik sein. Eine neue Freundin kam in sein Leben, und sie besaß einen Schuhkarton voller Töne, nämlich Musikkassetten mit Pretiosen des Jazz. Miles Davis, Louis Armstrong, John Coltrane – sie alle passten in den Karton und bald in Rudis Herz.
Heute lebt er in Weißensee, aber seine erste Berliner Station war 1988 Berlin-Neukölln. Damals war das einer der am wenigsten angesagten Bezirke, und wer dort lebte, kannte die Härte des Daseins. Der Jazz ist in gewisser Weise eine Gegenwelt: verspielt, sinnlich, heiter. Sozusagen locker verlockend.
Mit der Stimme vermag Rudi, einen eigenen Sound zu kreieren. Mal surft er damit durch eine smarte Stimmung, dann wieder schraubt und babbelt er sich in die Höhen der Gefühlswelt. »You Go to My Head« – das prickelnde, aufregende Liebeslied gewinnt weitere erotische Nuancen, wenn Neuwirth es säuselt. Die Zisch- und Klicklaute, die auch zum Handwerk eines Vokalisten gehören, gehen ihm zudem wie selbstverständlich über die Lippen. Mehr noch: Er kann eine Trompete nachgerade perfekt nur mit der Stimme imitieren. Wenn er dann in einem Song abwechselnd mal trompetet und mal singt, ist er sozusagen ein multifunktionaler Musiker.
Neuwirths Karriere führte ihn als Schlagzeuger zu Promis wie Maren Kroymann und Susanne Betancor, mit denen er auch CDs aufnahm. Aber mit Jazztage hat er durch den Gesang mehr Möglichkeiten, er selbst zu sein. Jazz als Spiel: als Versteckspiel wie als Selbstfindung. CDs, wie »Jazztage«, haben überdies einen räumlichen Vorteil gegenüber Schallplatten: Man kann sie auf Tourneen im Karton unterm Arm mitnehmen. Das sagt Gitarrist Andreas Willers – und da ist er wieder, der Schuhkarton voller Töne.
Willers, ein für viele schon legendärer Gitarrist, bringt eine dann und wann rockige Note mit. Seine Spezialität ist die E-Gitarre, eine ungewöhnliche Begleitbesetzung für Gesang. Weil es in Willers’ Jugendzeit hierfür kaum akademische Möglichkeiten in Deutschland gab, studierte er E-Gitarre in Los Angeles in den USA. Zurück in Europa widmete er sich vor allem dem Freejazz. Einige Jahre unterrichtete Willers E-Gitarre an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Aber seine eigentliche Berufung findet er im Konzert, live auf der Bühne: »Dann feiern wir unsere eigenen Jazztage.« Wie es der Name schon sagt.
Das Duo Jazztage am Dienstag, 5. November 2024, um 19.30 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr) in der Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin. Eintritt: 10 Euro (erm. 5 Euro), Anmeldung erbeten unter: 0 30/53 63 55-54 oder maigalerie@jungewelt.de
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