Print bröckelt weg
Von Gert HautschDrunter geht’s wohl nicht: »Jetzt wollen wir wieder Mediengeschichte schreiben«, verkündete Barbara Junge, Kochefredakteurin der Taz, im dpa-Interview Mitte September. Der Anlass: Die Tageszeitung aus Berlin wird ab Mitte Oktober 2025 die wochentägliche Ausgabe nicht mehr drucken lassen, sondern nur noch als digitales E-Paper anbieten. Sie ist die erste Zeitung, die diesen Weg geht. Andere wie z. B. Bild haben ähnliche Schritte angekündigt.
Wohin das führen könnte, zeigen erste Erfahrungen der Verlagskonzerne Funke und Madsack. Sie haben 2023 Testläufe gestartet: In einzelnen ländlichen Regionen Thüringens und Brandenburgs wurde die Auslieferung der gedruckten Zeitung beendet, und es wird nur noch ein E-Paper angeboten. Erstes Fazit im Oktober 2024: Der Schritt hat bei 35 bis 45 Prozent der Haushalte zur Abbestellung geführt. Rein rechnerisch lohne sich das trotzdem, ließen die Verlage wissen, denn man spare Druck- und Vertriebskosten.
Dazu passen die Auflagenzahlen für Zeitungen aus dem dritten Quartal 2024, die die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) veröffentlicht hat. Täglich sind 10,8 Millionen Exemplare (gedruckt oder als E-Paper) verkauft worden. Das waren 673.000 bzw. 5,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Zählt man nur die voll bezahlten Einheiten (Abo und EV) zusammen, dann ist die Auflage um 6,3 Prozent auf 9,5 Millionen gesunken. In gedruckter Form (ohne E-Paper) sind 8,3 Millionen Stück abgesetzt worden – ein Rückgang um 9,8 Prozent.
Diese Entwicklung ist nicht neu. Seit der Jahrtausendwende ist die verkaufte Auflage der Zeitungen um deutlich mehr als die Hälfte gesunken. Der Umsatz der Verlage ist allerdings nur um gut ein Drittel geschrumpft. Der Unterschied kommt vor allem durch Preiserhöhungen zustande, neuerdings auch durch eine Ausweitung des Geschäftsfelds. Die Verlage setzen ihre Hoffnungen auf »digitale Produkte«. Neben den E-Papers sind das in erster Linie die Internetportale. Sie sollen sich durch Werbeerlöse und Abonnements finanzieren.
Die Frage ist, ob sich so die Verluste bei der Printausgabe ausgleichen lassen. Auch dazu liefert die IVW Hinweise, wenn auch begrenzte. Die fünf großen überregionalen Zeitungen veröffentlichen die Zahl ihrer verkauften Onlineabonnements (ohne E-Paper). Die haben im September 2024 gegenüber dem Vorjahr meist deutlich zugenommen. Wenn man diese Zahl mit der jeweiligen verkauften Zeitungsauflage addiert, dann ergibt das die Gesamtzahl der Verkäufe und Abonnements der jeweiligen Redaktion. So zeigt sich bei SZ, FAZ und Handelsblatt eine ausgeglichene Bilanz gegenüber dem Vorjahr, die Bild hat verloren, die Welt gewonnen. Die Digitalstrategie der Verlage könnte also irgendwie aufgehen.
Es gibt jedoch zwei »Aber« daran. Erstens geben die IVW-Daten nur die Zahl der Verkäufe und Abonnements wieder, nicht etwa die erzielten Umsätze oder gar eventuelle Profite. Die wären aber nötig, um zu beurteilen, ob sich die Portale wirklich rechnen, oder ob sie (offen oder versteckt) von der Printausgabe querfinanziert werden. Dazu geben die Verlage keine Auskunft.
Wichtiger noch ist ein zweiter Gesichtspunkt, zu dem der Verlegerverband BDZV kürzlich Zahlenmaterial veröffentlicht hat: Das Digitalgeschäft hat für verschiedene Zeitungsgattungen sehr unterschiedliche Bedeutungen. Die Kaufzeitungen (Bild usw.) stellen 5,5 Prozent des Gesamtumsatzes aller Tageszeitungen, die überregionalen Titel 7,4 Prozent. Sie erzielen 37,1 bzw. 49,9 Prozent ihrer Einnahmen mit E-Papers und anderen Digitalprodukten. Ganz anders ist es bei den lokalen und regionalen Blättern. Sie stellen mit 87,1 Prozent Umsatzanteil zwar die Masse der Tageszeitungen, bei ihnen kommen aber nur 6,5 Prozent der Erlöse mit E-Papers und 5,9 Prozent mit Digitalem herein. Die gedruckte Ausgabe bleibt dort die tragende Säule des Geschäfts.
Die Proportionen verschieben sich zwar auch bei den Regionalzeitungen in Richtung digital, aber nur langsam. Nicht schnell genug jedenfalls, um das bröckelnde Printgeschäft auszugleichen. Im Frühjahr 2024 war bei der Jahrestagung des BDZV vorausgesagt worden, dass – gleichbleibende Rahmenbedingungen vorausgesetzt – »eine wirtschaftliche Printzustellung in fünf bis zehn Jahren nicht mehr möglich ist«. Die Bundesregierung hätte mit einer Förderung der Pressezustellung dieser Entwicklung entgegenwirken können. Aber dafür ist in Zeiten der Kriegsertüchtigung kein Geld vorhanden. Die Auswirkungen eines Zusammenbruchs der regionalen Tagespresse auf den öffentlichen Diskurs und den sozialen Zusammenhalt sind kein Thema.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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