Mehr Selbstbestimmung
Von Annika GeisDer Verfassungsblog sieht in den aktuellen Entwicklungen ein Momentum für eine außerstrafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs: Mitte Oktober stellten 26 Fachverbände und Organisationen gemeinsam mit ehemaligen Mitgliedern der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Dessen Ziel sei es, Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch »widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen, ausgehend von der Selbstbestimmung der Schwangeren, in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden«. Neben einer vollständigen Entkriminalisierung wird vor allem eine bessere Beratung und medizinische Versorgung für Schwangere gefordert, die sich für einen Abbruch entscheiden.
Die Juristin Laura Anna Klein sieht neben einer mittlerweile deutlichen Mehrheit von 75 Prozent der Bevölkerung für eine Entkriminalisierung auch die Zusammensetzung des Bündnisses hinter dem Gesetzentwurf als Zeichen für einen gesellschaftlich übergreifenden Reformwillen, wie sie am Wochenende auf dem Blog schrieb – so sind etwa die Verbände »Evangelische Frauen in Deutschland«, »Pro Familia« und »Sozialdienst muslimischer Frauen« sowie die Gewerkschaft Verdi beteiligt.
Konkret sollen Schwangere das Recht erhalten, selbst zu entscheiden, welche Beratungsangebote und medizinischen Leistungen sie in Anspruch nehmen möchten. Zudem wird gefordert, die bestehenden Zugangsbarrieren für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch, etwa die Beratungspflicht und die Wartefrist, zu beseitigen sowie die Kostenübernahme für alle einzuführen. Aktuell sieht die Gesetzeslage vor, dass Schwangere bei einem Abbruch gemäß der Beratungsregelung die Kosten selbst tragen müssen. Ausnahmen gelten lediglich für Abbrüche aus medizinischen oder kriminologischen Gründen sowie für sozial bedürftige Schwangere (sechs Prozent), bei denen die Krankenkasse die Kosten übernimmt.
Allerdings ist eine angemessene Gesundheitsversorgung für ungewollt Schwangere auch hier nicht immer gewährleistet. Der SWR berichtete in diesem Sommer, dass die Anzahl der Ärzte, die in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durchführen, in den vergangenen 20 Jahren um die Hälfte gesunken ist, was die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen erschwert. Gleichzeitig sind die verbleibenden Anlaufstellen zunehmend überlastet. Um so wichtiger ist die Legalisierung von Abbrüchen, wie es im Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, so Alicia Baier aus dem Vorstand von »Doctors for Choice Germany«: »Für uns Ärzt*innen und für die Schwangeren, die wir behandeln, ist es höchste Zeit, dass Abbrüche Teil der regulären Gesundheitsversorgung werden.«
In Deutschland führten Fachärzte allein im vergangenen Jahr rund 106.000 Abbrüche durch. Dennoch zählt die Bundesrepublik im europäischen Vergleich zu denjenigen mit besonders strengen Regelungen. »Es ist an der Zeit, dass die gesetzliche Diskriminierung durch Paragraph 218 abgeschafft und die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper endlich anerkannt wird«, fordert auch Sina Tonk, Bereichsleiterin Referate beim Verein »Terre des Femmes«. Tonk bezieht sich auf den Strafgesetzbuchparagraphen 218, der besagt, dass ein Abbruch in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig ist. Zwar ist er unter bestimmten Bedingungen nicht strafbar: Die Schwangere muss sich drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen und der behandelnden Ärztin oder dem Arzt eine Beratungsbescheinigung vorlegen. Danach darf der Abbruch legal durchgeführt werden, sofern er innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Befruchtung erfolgt. Doch den Verbänden reicht das nicht aus. Sie fordern, dass ein Abbruch auf Wunsch der Schwangeren bis zum Ende der 22. Woche legalisiert wird.
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