Totes Pferd wieder flott
Von Alexander KasbohmMit »Limits of Language« sind Field Music jetzt offenbar in ihrer »Abacab«-Phase angelangt. Seit etwa drei Alben loten die Engländer die Charts der 1980er aus, zunächst noch mit Verweisen auf Musik, die damals zumindest noch als semi-cool durchging, wie der Soulpop von Hall & Oates. Jetzt sind sie bei Genesis angelangt, der Band, die niemals cool war. Nicht zu ihrer Prog-Zeit in den 70ern und schon gar nicht in ihrer Popzeit in den 80ern, in der alles, was irgendwie mit dem »Progressive Rock« des vorigen Jahrzehnts verbunden war, als regressiv galt. Aber David und Peter Brewis sind ja nicht doof. Sie wollen keine Distinktionsgewinne durch die bewusste Verwendung von cheesy Keyboardsounds einfahren, nicht über den Umweg der Ironie eine Sackgasse der musikalischen Evolution als neuen Weg deklarieren.
Sie knüpfen klanglich an »Abacab« an, dieser Anomalie in der Diskographie von Genesis, dem kurzen Versuch, Prog mit New Wave zu verbinden. Nun lässt sich über die Meriten des Versuchs, ein totes Pferd mittels Frischzellentherapie wieder flott zu machen, streiten; aber nie davor und nie danach erweckten Genesis auf ähnliche Weise den Eindruck, lebendig zu sein. Wie Menschen, die mit Freude an der Sache experimentieren und die Grenzen ihres selbstabgesteckten Feldes verschieben. So hören wir – auf »Limits of Language« wie auf »Abacab« – poröse, weiße Keyboardsounds wie Ytongsteine oder Bauschaum, voluminöses Schlagzeug und Melodien, die bei aller Eingängigkeit immer ein wenig zu eckig, zu bewusst schlau sind, die, statt den geraden Weg zu gehen, wie aus einem inneren Zwang heraus Haken schlagen. Und deren Charme in genau diesen Eigenheiten besteht, die ihnen eigentlich das Genick brechen sollten.
Nun ist es natürlich nicht dasselbe, ob jemand etwas 1981 macht oder 2024. Das Umfeld, aus dem heraus die Musik entsteht, ist ein vollkommen anderes. 1981 hatte Punk gerade die zu Dinosauriern mutierten, einstmals progressiven Bands von der Platte gefegt und war selbst, mit verstärktem Elektronikeinsatz, in New Wave übergegangen. 2024 leben wir, zumindest was den Pop betrifft, tatsächlich in einer Zeit der Parallelität aller Stile und Zeichen, wie man es vor 40 Jahren schon herbeizuschreiben versucht hatte. Was bedeuten da Zeichen und Verweise noch? Stehen sie überhaupt noch für irgendwas außer sich selbst und die private Beschäftigung mit einer bestimmten Epoche?
Manchmal möchte man in Zeiten, in denen Fakten fast noch weniger bedeuten als Zeichen, einfach nur noch in den Sack hauen und die Welt und ihre Analyse sich selbst überlassen. Dass die Brewis-Brüder das nicht tun, sondern ihren verqueren Pop – der strukturell schon immer irgendwie Prog-Pop war (worunter wir Prog-Rock ohne die Angebersoli verstehen wollen) – in neue Richtungen bewegen, wohin die auch führen mögen, ist ihnen hoch anzurechnen. Sie loten ein Areal aus, das 1981 – und nur in diesem einen Jahr wäre es historisch möglich gewesen – nicht hinreichend ausgelotet wurde und durchaus interessantere Ergebnisse als »Abacab« hätte hervorbringen können.
So interessant wie »Limits of Language« vielleicht, das ein wohltuend angstfreier Akt historischer Aneignung ist. Ein Akt, der dieses obskure Objekt seiner Aneignung auf zunächst vielleicht irritierende Weise ernst nimmt und in einen unerwarteten Blick in eine mögliche Vergangenheit umformt und zu einem Resultat kommt, das unabhängig von seiner Quelle auch in der Zukunft noch interessant sein kann.
Field Music: »Limits of Language« (Memphis Industries/Indigo)
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