Weltenbrandstifter
Von Susann Witt-StahlSergej Sumlenny möchte das »Terrorreich« von der Landkarte tilgen. »Die Russen sind viel mehr in Putins Kriegsverbrechen involviert als es die Deutschen in Hitlers waren«, meint er. Der gebürtige Russe war von 2015 bis 2021 Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine und bis vor zwei Jahren Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen (offizieller Austrittsgrund war eine zu wenig »wertegeleitete« Russland-Politik). 2022 gründete Sumlenny in Berlin das European Resilience Initiative Center (ERIC). Diese Denkfabrik akquiriert Gelder für Waffenlieferungen an die Ukraine und organisiert Konferenzen mit Advokaten eines rücksichtslosen Konfrontationskurses gegen Russland.
ERIC ist fest verankert im Free Nations of Post-Russia Forum (FNRF), das die Aufteilung Russlands in 41 »unabhängige Staaten« fordert: darunter Tatarstan, Baschkortostan, Vereinigte Staaten von Sibirien, Karelien, Tscherkassien, Ingria, Inguschetien, Burjatien – sogar »Königsberg«. Seit 2022 hat das Post-Russia-Forum, das von dem ukrainischen Restaurantkettenunternehmer Oleg Magaletskij initiiert wurde, ein Dutzend Mal in westlichen Metropolen getagt. Es bilde eine von mehreren »Plattformen«, die die noch zu Sowjetzeiten formulierte antikommunistische Agenda der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) durchsetzen sollen, erklärte Vladimir Dovdanov, Vizevorsitzender des Kongresses der Oirat-Kalmücken, der als Redner der Partnerorganisation Free Nations League beim FNRF aufgetreten ist, das regelmäßig Beiträge von ihm publiziert.
»Anti-Moskau-Armeen«
Die OUN hatte mit Hitlerdeutschland kollaboriert. Sowohl ihre »radikale« Fraktion unter der Führung von Stepan Bandera (OUN-B) als auch der »moderate« Flügel von Andrij Melnyk (OUN-M) waren mit der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) oder mit dem Bataillon »Nachtigall«, der Division »Galizien« und anderen Einheiten der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS am Holocaust beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten viele OUN-Funktionäre mit Hilfe der US-amerikanischen und britischen Alliierten fliehen, vor allem die Banderisten neue Strukturen wie den Anti-Bolshevik Bloc of Nations (ABN) für den Kampf gegen die Sowjetunion aufbauen.
Wie Dovdanov betont, waren die wichtigsten Nahziele der OUN im Kalten Krieg: Annullierung sämtlicher völkerrechtlicher Verträge mit Moskau, eine knallharte Sanktionspolitik, ebenso die Einrichtung einer »Spezialabteilung für Psychostrategie« durch die NATO oder das Pentagon, mit Einbeziehung von Vertretern »versklavter Völker«, um Aufstände oder Befreiungskriege nach dem Vorbild Afghanistans auszulösen – eine Politik, die US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren verfolgt hatte. »Heute ist dieses Projekt sehr gefragt«, findet Dovdanov und appelliert mit Verweis auf den Zweiten Weltkrieg an die USA und die EU, »Anti-Moskau-Armeen« mit Soldaten der »versklavten Völker« aufzustellen, die die Russische Föderation zerschlagen sollen. Das FNRF hat bereits ein Bild mit dem Titel »I have a dream« vom Siegesfackelmarsch der NATO-Legionäre vor dem Kreml veröffentlicht.
Dovdanov beruft sich in seinen infernalen Phantasien auf Banderas einstigen Stellvertreter, Nachfolger sowie Führer des ABN: »Der Bolschewismus und Russland können nur durch die vereinten Kräfte der gesamten gerechten Welt besiegt werden«, sagte Jaroslaw Stezko, Hitlerverehrer und Vernichtungsantisemit, 1950 auf einer Konferenz von Nazikollaborateuren und anderen Faschisten in Edinburgh, die maßgeblich vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 organisiert worden war.
Zu Gast in Brüssel und Berlin
Kein Grund für die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, das FNRF nicht ins EU-Parlament nach Brüssel einzuladen: Am 31. Januar 2023 fand dort der fünfte Gipfel der »freien Nationen« statt. Das Gruppenfoto von ihren »Präsidenten« und »Ministern« mit den Flaggen der »Staaten« durfte allerdings nicht vor dem Parlamentsgebäude, sondern nur in den Konferenzräumen aufgenommen werden. Mit Anna Fotyga, Exaußenministerin Polens von der PiS-Partei, hielt eine EU-Abgeordnete die Eröffnungsansprache, und mit Roberts Zīle aus Lettland nahm sogar ein Vizepräsident des EU-Parlaments teil. Anwesend war auch Pawlo Klimkin, ehemaliger Botschafter der Ukraine in Deutschland, später Außenminister. Darüber hinaus Günther Fehlinger, Wirtschaftsberater, Analyst des von Lockheed Martin und anderen US-amerikanischen Rüstungskonzernen gesponserten Atlantic Council wie des European Council on Foreign Relations in Berlin, das von dem Grünen-Politiker Joseph Fischer mitgegründet worden war. Er erklärte, warum es »sehr wichtig für die Zukunft« sei, dass Russland »zerstückelt« werde. Fehlinger ist eifriger Verfechter einer »zündenden Idee«: Die Ukraine, Moldawien, Georgien, so viele Nachbarn Russlands wie möglich, darüber hinaus Israel, Saudi-Arabien und natürlich die Schweiz, Österreich und alle anderen europäischen Staaten müssen in die NATO eintreten, forderte er in einem Vortrag auf einer gemeinsamen Konferenz der CIA-nahen Jamestown Foundation und des FNRF im April 2024, bei der unter anderen Sergej Sumlenny auftrat. Die NATO-Mitglieder dürften jetzt keine Neutralität mehr dulden.
Das FNRF hat auch schon in Deutschland getagt: Am 11. und 13. Dezember 2023 kamen Sumlenny und seine Mitstreiter zunächst im Senat der Republik in Rom und anschließend in Berlin im Tagungszentrum der Katholischen Akademie zum neunten Forum zusammen – um sich Gedanken über die Neugestaltung der Welt nach der Zerstörung Russlands zu machen. Auch dort haben ukrainische Politiker und Referenten von Denkfabriken, die mit US-amerikanischen Geheimdiensten verbunden sind, mitgewirkt: etwa Oleksij Hontscharenko von der Poroschenko-Partei, ebenfalls Autor des Atlantic Councils, der die Ukraine mit einer »der stärksten Armeen der Welt« zum Hauptverbündeten der USA entwickeln will. Mit Ilja Ponomarjow waren sogar proukrainische Paramilitärs aus Russland vertreten: Der Ex-Duma-Abgeordnete, mittlerweile ukrainischer Staatsbürger, gehört zur Führung der »Legion Freiheit Russlands«, die im Mai 2023 gemeinsam mit der Neonazimiliz »Russisches Freiwilligenkorps« von Denis Kapustin in Belgorod operiert hat.
Per Video zugeschaltet war Paul Goble, Dozent des Institute of World Politics in Washington, D. C. (einer Elitehochschule für an der Reagan-Doktrin orientierten CIA-Nachwuchs) und ehemaliger Sonderberater des US-Außenministeriums. Goble hat schon in der Vergangenheit eine Wiederbelebung des ABN als Allianz der »Prodemokraten« mit »antiimperialen Nationalbewegungen« angeregt, die ihre Krönung 1983 mit der Einladung Jaroslaw Stezkos ins Weiße Haus erfahren hatte. Er verweist auf die exponierte Stellung von Ukrainern, damals und heute, als Verbündete gegen »Putins autoritäre Politik«: »70 Jahre nach Gründung des ABN haben sich die Gründe multipliziert, so etwas für die Zukunft zu schaffen«, schrieb Goble zum »Jubeljahr des globalen Antikommunismus« 2016. Rund einen Monat vorher hatte die Victims of Communism Memorial Foundation – der von dem Diplomaten und Banderisten Lev Dobriansky initiierte Nachfolger des National Captive Nations Committee als Sprachrohr des ABN in den USA – Goble die »Truman-Reagan Medal of Freedom« verliehen.
Gobles Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Der ABN, der sich 1996 nach abgeschlossener Liquidierung der Sowjetunion aufgelöst hatte, ist nach eigenen Angaben »auf Initiative der OUN-B« 2023 unter dem Namen »Anti-Imperial Block of Nations« reanimiert worden und hat im Juni 2024 seinen ersten Weltkongress in Kaunas abgehalten. Präsident ist Oleg Medunizja, seit knapp zwei Jahren Führer der internationalen OUN-B – wie bei seinen politischen Vorgängern Jaroslaw und dessen Gattin Slawa Stezko sind die höchsten Posten in der Bewegung der Bandera-Faschisten weltweit in der Hand einer Person.
Auf der Berliner Konferenz war der neue ABN schon durch seine heutige Vizepräsidentin Aida Abdrakhmanova vertreten. Mit Oleg Dunda, Abgeordneter von Diener des Volkes im ukrainischen Parlament und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, war auch ein wichtiger Verbindungsmann der Selenskij-Partei zur OUN-B, zum ABN und FNRF anwesend. Wie Janusz Bugajski, Autor von »Failed State: A Guide to Russia’s Rupture« von der Jamestown Foundation, der ebenfalls in Berlin referierte, nahm Dunda Ende Februar 2024 an einer Tagung mit hochrangigen Vertretern des ABN und der OUN-B – darunter Oleg Medunizja und der als deren »Faktenchecker« auftretende Influencer Marko Suprun, der in prominenten Neonazikreisen verkehrt – im »Bandera-Zentrum für Menschenrechte« in Kiew teil.
Hitlers Folterknechte
Der Anti-Bolshevik Bloc of Nations war im April 1946 in Westdeutschland als Dachverband von »Befreiungsbewegungen« wie dem faschistischen Croatian Liberation Movement von Ante Pavelić und dem Weißruthenischen Zentralrat, dem einstigen Marionettenregime Nazideutschlands im besetzten sowjetischen Belarus, gegründet worden. Dies geschah, laut dem Geheimdienstexperten Stephen Dorril, finanziert durch den MI6 und unter der Führung der OUN-B, die ihr Hauptquartier in der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« München aufgeschlagen hatte. Wie Dorril belegt, war dem Counter Intelligence Corps (CIC), dem damaligen Militärgeheimdienst der USA, bereits zu dieser Zeit bekannt, dass die exilierte OUN-B vorwiegend aus Personen bestand, die vorher »für die Gestapo und die SS als Polizisten, Henker, Partisanenjäger und Kommunalbeamte gearbeitet hatten«. Das gilt zum Beispiel für Mykola Lebed, eine der Führungsfiguren der UPA, Leiter des Sicherheitsdienstes der OUN-B Sluzhba Bezpeky, der in der Gestapo-Akademie in Zakopane bei Krakau Folterpraktiken trainiert und diverse Greueltaten an jüdischen Häftlingen verübt hatte. Lebed hatte bereits 1943/44 Kontakt zu den Westalliierten aufgenommen und konnte 1949 als wichtigster Informant der CIA mit deren Hilfe in die USA übersiedeln. Das CIC charakterisierte die »Bandera-Gang«, die unter seinem Schutz stand, als kriminell und antisemitisch (lobte sie aber später, weil sie sich als Horde »rauer, zäher junger Männer mit starken Überzeugungen, ohne auch nur die geringste Abneigung gegen brutale Morde« für die USA als brauchbar erwies).
Ebenso deutlich treten die Verbindungen des ABN zu Nazideutschland bei näherer Betrachtung seines Vorläufers zutage: »Die organisatorische und politische Grundlage des ABN wurde auf der geheimen Konferenz der versklavten Völker Osteuropas und Asiens gelegt, die am 21. und 22. November 1943 auf Initiative der Führung der revolutionären OUN im Dorf Buderazh in der Region Riwne stattfand«, ist auf dem Telegram-Kanal des neuen ABN zu lesen. Laut Dorril kam das Treffen im Nordwesten der Ukrainischen Sowjetrepublik mit 39 Delegierten, die zwölf Völker aus Osteuropa und Asien repräsentieren sollten, unter Mitwirkung der militärisch zunehmend in Bedrängnis geratenen Besatzer zustande: »Rosenbergs Ostministerium und deutsche Geheimdienste sahen es als Gelegenheit, die Widerstandsaktivitäten gegen die Sowjetarmee zu koordinieren, und schufen ein Committee of Subjugated Nations.«
Nach dem Krieg formierte der Rassenideologe und ehemalige Leiter der Führungsgruppe »P3/Fremde Völker im Ostministerium«, Gerhard von Mende, im Auftrag des MI6 nationale Komitees unter den Exilgruppen und half beim Aufbau des ABN. Er nutzte seine Kontakte zu ukrainischen Nationalisten, um Kollaborateure für die Zersetzungsoperationen in der UdSSR anzuwerben, die er ursprünglich für Hitlerdeutschland geplant und nun im Bund mit dem ABN erfolgreich abschließen wollte. »Ziel meiner Arbeit ist es, die Völker der Sowjetunion als Waffe im Kampf gegen den Bolschewismus und den russischen Imperialismus zu verwenden«, notierte von Mende 1949. »Die Völker sind ein naturgegebenes Sprengungsmittel, auf das bei der räumlichen Größe der Sowjetunion nicht verzichtet werden kann.« Um es zum Einsatz zu bringen, arbeitete von Mende eng mit Jaroslaw Stezko zusammen und öffnete den Banderisten die Türen zur Adenauer-Regierung in Bonn, die den ABN ab 1951 mitfinanzierte und diesem den Informationsaustausch mit ihrem Nachrichtendienst unter der Leitung von Reinhard Gehlen, Exchef der »Abteilung Fremde Heere Ost« und Kriegsverbrecher, ermöglichte. Theodor Oberländer, früher »Politoffizier« des Banderisten-Bataillons »Nachtigall« der Wehrmacht, ab 1953 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, unterstützte den ABN als führendes Mitglied des antikommunistischen European Freedom Councils. Der Deutsche Bundestag fand sich auch – neben Horia Sima, Präsident der rumänischen Eisernen Garde, und vielen anderen Hitlerkollaborateuren – auf der ABN-Kondolenzliste für Stepan Bandera, nachdem dieser am 15. Oktober 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet worden war. »Sein Andenken als unbeugsamer Kämpfer für die Freiheit seines Landes wird immer in Ehren gehalten werden«, versprach Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU).
Gegen die »roten Teufel«
Nicht zuletzt mit Hilfe der alten Nazikartelle gelang dem ABN der Sprung über den Atlantik. Er konnte sich eine solide Basis in Kanada und den USA schaffen, wo er ein riesiges Netzwerk aus »American Friends of Anti-Bolshevik Bloc of Nations« und Fassadenstrukturen sowie ertragreiche Beziehungen in höchste Kreise der Republikanischen Partei, des Militärs, sogar hinein in den American National Security Council geknüpft hat.
Bereits 1958 hat sich der ABN durch ein Bündnis mit der von Chiang Kai-shek und Taiwan geführten Asian Peoples’ Anti-Communist League globalisiert, die 1966 in der World Anti-Communist League aufging – einer prowestlichen faschistischen Weltfront, der der guatemaltekische »Gottvater« der Todesschwadronen, Mario Sandoval Alarcón, Sektenführer Sun Myung Moon und Nazis wie Otto Skorzeny angehörten. In den 1970er Jahren traten dem ABN mit For the Freedom of Vietnam und Cuba Libre auch nichteuropäische Organisationen bei.
Der ABN agitierte fieberhaft für eine ultimative Eskalation der Blockkonfrontation: »Ein dritter Weltkrieg wird kommen, weil er unvermeidlich ist«, war eine Losung, die Jaroslaw Stezko 1950 ausgegeben hatte. Um so heftiger wurde später gegen das Prinzip der friedlichen Koexistenz und »pazifistische Propaganda« getrommelt und jede noch so zaghafte entspannungspolitische Initiative als Werk der »roten Teufel« und von ihnen gelenkter »Appeaser« verdammt. »Die Gangster im Kreml wissen, dass die (kommunistischen) Parteien, die nach den Instruktionen Moskaus agieren, weiterhin ungestört die Moral, den Patriotismus und die Verteidigungskraft des Westens unterminieren werden«, warnte der Chefideologe der OUN-B Dmitro Donzow, der schon 1926 Teile von Hitlers »Mein Kampf« ins Ukrainische übersetzt hatte, 1960 in der ABN Correspondence.
Blumen für Bandera
Der Pakt des liberalen Westens mit den Banderisten wurde nicht nur nie aufgekündigt – er wird durch eine neue »antiimperiale Koalition«, wie sie Pavlo Zhovnirenko, Berater des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine und ehemaliger NATO Research Fellow, unlängst ausgerufen hat, erweitert: Der ABN und seine Plattformen, allen voran das Free Nations Post-Russia Forum mit seinem deutschen Standbein European Resilience Initiative Center, die als Schnittstellen zwischen der internationalen Bandera-Lobby und dem Establishment von Politik, Medien und dem militärisch-industriellen Komplex der NATO-Staaten fungieren, sowie etablierte westliche Denkfabriken, die der Agenda Armageddon der OUN-B den Schein von wissenschaftlicher Rationalität verleihen.
So ist auf dem sechsten FNRF im April 2023 in den USA, zu dessen Gastgebern das Hudson Institute in Washington, D. C. gehörte, ebenso der internationale OUN-B- und ABN-Führer Oleg Medunizja aufgetreten wie Anders Åslund, Fellow des Atlantic Councils. Neben dem Direktor des Eurasia-Centers John Herbst sowie weiteren Vertretern dieser Denkfabrik hat auch William Courtney von der Rand Corporation auf dem FNRF gesprochen. OUN-Funktionäre, Redner des FNRF und Wissenschaftler aus dem Westen tagen auch gemeinsam mit Spitzenpolitikern in der Ukraine, beispielsweise im August 2023 auf Einladung des Institute of World Policy in Kiew: Oleg Medunizja, Sergei Sumlenny mit Oleksij Honcharuk, ukrainischer Premierminister – diesmal war der Politikwissenschaftler Andreas Umland, Osteuropafachmann der Bundeszentrale für politische Bildung, dabei.
Wer, wie die beiden Referenten aus Deutschland, keine Distanz gegenüber Faschisten hält, den treibt nicht selten das Bedürfnis, deren finstere Vergangenheit weißzuwaschen – am besten durch Viktimisierung: So fällt Andreas Umland zu Stepan Bandera bevorzugt »Haft im KZ Sachsenhausen« und zu dessen Mörderbande »Verfolgung« durch die deutschen Besatzer ein, ohne zu erwähnen, dass die OUN-B-Führer »Ehrenhäftlinge« mit eigener Wohnung waren, sich weiterhin politisch betätigen, Jaroslaw Stezko und andere sogar reisen durften und 1944 zwecks Aufbau eines mit Nazideutschland verbündeten ukrainischen Nationalkomitees entlassen wurden. Dass die Banderisten damals offiziell ihre Unterstützung für die Judenvernichtung erklärt haben und bis heute eine »Großukraine für Ukrainer« (auch auf russischem Gebiet) errichten wollen, hält den Leiter des European Resilience Initiative Center nicht davon ab, ihren Führer abzukulten: »Ich habe Blumen ans Grab des ukrainischen Freiheitschampions, Gefangenen eines Nazilagers, gebracht«, feierte Sumlenny Stepan Bandera im Mai 2024 und verglich ihn mit dem Antiapartheidkämpfer Nelson Mandela.
Solche Bandera-Fetischisierung, Geschichtsklitterung und Kumpanei mit der OUN hindert wiederum deutsche Qualitätsmedien keineswegs daran, Sumlenny als »kompetenten Experten« zu konsultieren. Ob bei »ZDF heute«, beim Deutschlandfunk, Tagesspiegel, sowieso bei der Springer-Presse – seine »Analysen« sind überall gefragt. Und immer mehr deutsche Politiker und Vertreter von Neocon-Denkfabriken wie dem Zentrum Liberale Moderne oder auch dem Deutschen Bundeswehrverband, der ihn gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung als Referenten einlud, entdecken offenbar seine Vorzüge als Verbindungsmann zwischen den NATO-Funktionseliten und den banderistischen Weltenbrandstiftern.
Diese haben bereits (wieder) ihre Fühler ins Mutterland der World Anti-Communist League, die seit 1990 World League for Freedom and Democracy heißt, ausgestreckt und das zwölfte FNRF im September in Taipeh abgehalten (für 2024 sind weitere Treffen in Ottawa und Wien geplant). Bei diesem Forum, an dem Vizeaußenminister François Wu und andere Vertreter der taiwanesischen Regierung teilnahmen, wurde als Ziel formuliert, neben der transatlantischen eine »transpazifische Allianz« zu schmieden, die »die Verteidigung der asiatischen Länder gegen den moskowitisch-russischen und kommunistischen Imperialismus Chinas« koordiniert, wie es im dort verabschiedeten »Taipeh-Appell« heißt.
Mörderischer Nihilismus
»Zerstören Sie Russland, und Sie werden einen Rückgang des weltweiten Terrorismus um 95 Prozent erleben.« Mit solchen Parolen sucht Sumlenny in Berlin deutsche Partner für seine Mission Endzeit – und hat sie schon gefunden: Roderich Kiesewetter (CDU), der mit Schützenhilfe von Bild schon lange eine existenzielle Bedrohung durch eine »CRINK-Allianz« (China, Russland, Iran, Nordkorea) konstruiert, forderte im Mai 2024 in einem ERIC-Podcast eine direkte militärische Intervention im Ukraine-Krieg, etwa durch Einsatz der Luftabwehr einer europäischen »Koalition der Willigen« und die Entsendung »logistischer Truppen« der Bundeswehr. Wenige Monate vorher hatte Kiesewetter bei einem ERIC-»Marathon«-Podium die Ausweitung des Krieges auf russischen Boden als »wirklich notwendig« bezeichnet und eindringlich vor einem Minsk-III-Abkommen gewarnt. Bei der mehr als siebenstündigen Veranstaltung unter dem Titel »War on All Fronts« wirkte auch der österreichische Militärexperte Gustav Gressel mit und half bei der Feindmarkierung von »pazifistischen« Sozialdemokraten und Menschen mit »Gefühlen für die DDR«. Gressel ist wie Kiesewetter Mitglied des European Council on Foreign Relations.
Willkommen auf Sumlennys ERIC-Kanal sind zudem Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die 1955 von Hitlers Chef-»Arisierer« Hermann Josef Abs, Deutsche-Bank-Vorstand und Aufsichtsratsmitglied der IG Farben, mit gegründet worden war: zum Beispiel DGAP-Vizedirektor Christian Mölling mit seinem Anliegen der Zwangsrekrutierung der Bevölkerung zum neuen Volkssturm für den totalen Krieg – er nennt das »Resilienzpraktikum« für »totale Verteidigung«, zu dem er alle in Deutschland lebenden Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahren verpflichten will. Erst recht kann DGAP-Fellow Karl-Heinz Kamp, ehemaliger Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und politischer Sonderbeauftragter im Bundesministerium der Verteidigung, sich beim ERIC zu Gast bei Freunden fühlen – um für eine »nukleare Zeitenwende« zu werben und zu mahnen, dass auch die Erörterung »explosiver Themen« wie die Verlegung der Stationierungsstandorte der US-amerikanischen Atombomben an die Grenzen Russlands nicht mehr tabu sein dürfe.
Einst achsenmachtgestützt tut die Bandera-Lobby heute NATO-gestützt alles, um die roten Linien bis an die Tore des Kremls zu verschieben und dort die Lunte zu zünden. Furcht vor einem nuklearen Desaster sei nicht gerechtfertigt, predigte der ABN kurz vor dem Höhepunkt des Kalten Krieges den alle Faschismen kennzeichnenden mörderischen Nihilismus – den sich auch die Funktionseliten des deutschen Imperialismus spätestens seit 2022 sukzessive (wieder) zu eigen machen. Der Einsatz von Atombomben sei ohnehin nicht »absolut unmoralisch«, so der ABN damals weiter. »Recht und Wahrheit sind mehr wert als Leben. In jedem Fall wird die Welt wahrscheinlich nicht ewig existieren.«
Susann Witt-Stahl schrieb an dieser Stelle zuletzt am 20. Mai 2023 über die Ideologeme faschistischer Militärs in der Ukraine: »Der Ruf des Blutes«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Verzerrte Spiegelung
Ergänzend zu diesem Augenöffner kann – zuhanden einer jüngeren Leserschaft - darauf hingewiesen werden, in welcher Tradition sich dieser Bandera-Komplex bewegt, und auch darauf, dass sich all diese Organisationen letztlich nicht auf reaktionäres Gedankengut und dessen Verbreitung beschränken, sondern wo immer möglich auch zur außergerichtlichen, kriminellen Tat schreiten um - bis heute - jegliches Anzeichen von kommunistischer Subversion (diskreditierende Bezeichnung von sozialpolitischen Bewegungen) zu unterdrücken und zu eliminieren.
So gehörten (gehören ?) zu diesem Netzwerk nach 1945 beispielsweise auch italienische und spanische Gruppen (Post-Mussolini, Post Franco), die sich mit Bombenterror gegen ein demokratischeres Europa richteten. Erinnert sei zum Beispiel an die Geheimloge P2 (ab 1944) die gemäß Wikipedia «unter maßgeblicher Beteiligung von Licio Gelli als ein konspiratives Netzwerk aus Führungspersonen der Polizei, des Militärs, der Wirtschaft, der Politik, der Mafia und von Geheimdiensten geschaffen worden war» und sich in den 70er Jahren mit mehreren Terroranschlägen hervortat, um die Linkskräfte in Italien zu diskreditieren. Ebenso Ordine Nuevo (ab 1956, der Waffen-SS nahestehend). Auch die Operation «Gladio» (Aufbau einer paramilitärischen Geheimarmee der NATO) gehörte schon damals in dieses Anti-Bolschewismus-Konzept, das in Europa und selbst in der Schweiz in den 70er und 80er Jahren mit der P-26 seinen Niederschlag fand!
Nicht unerwähnt bleiben sollen die mit dem Vatikan verbandelten antikommunistischen Einrichtungen wie Opus Dei, oder die dunklen und verzweigten Machenschaften des «Bankier Gottes» Roberto Calvi, Präsident der Vatikanbank IOR. Schließlich spielen auch monarchistische Kreise eine Rolle, wie beispielsweise Avanguardia Nazionale mit Prinz Junio Valerio Scipione Borghese (rechtsextremer Putschversuch in Italien 1970 und Flucht zu Franco) und dessen Adjutant, Stefano delle Chiaie. Letzterer stand nach 1973 in enger Verbindung mit dem chilenischen Geheimdienst DINA der Pinochet-Diktatur.
Es war (und ist) nicht zuletzt den lateinamerikanischen Diktaturen vorbehalten, im Dienste einer ungebremsten Rohstoffausbeutung zugunsten von Multis und deren Aktionäre das antikommunistische Gedankengut der Thinktanks gegen die Interessen der jeweiligen Bevölkerung in diesem rohstoffreichen Subkontinent in die Praxis umzusetzen. Dies führte unter der Bezeichnung Plan Condor zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit der diversen Geheimdienste. Ihr fielen wichtige politische und kulturelle Exponenten einer fortschrittlichen Sozialpolitik und zehntausende Militante zum Opfer. Jetzt richtet sich dieselbe Stoßrichtung gegen Osten.