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Aus: Ausgabe vom 02.11.2024, Seite 15 / Geschichte
Zweiter Weltkrieg

Kundschafter des Friedens

Vor 80 Jahren wurde Richard Sorge als sowjetischer Spion in Japan hingerichtet
Von Ulrich Schneider
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Richard Sorge war einer der wohl erfolgreichsten Spione der UdSSR im Zweiten Weltkrieg

Als Spion des sowjetischen Militärgeheimdienstes (GRU) übermittelte Richard Sorge in Tokio über viele Jahre Informationen nach Moskau. Seine wichtigste Botschaft war das Datum des geplanten deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, was allerdings seitens der sowjetischen Staatsführung nicht ernst genommen wurde. Sorge gilt als »roter Superspion«. Dabei wird zumeist ausgeblendet, dass er lange vor seiner Spionagetätigkeit in der kommunistischen Bewegung tätig war.

Geboren 1895 in Baku, wo sein Vater als deutscher Erdölingenieur arbeitete, wuchs Sorge ab 1898 in Berlin auf. Wie in seiner Generation üblich, meldete er sich 1914 als Kriegsfreiwilliger und kam an die Westfront, wo er verwundet wurde. Nach kurzem Genesungsurlaub ging es an die Ostfront, wo er erneut zweimal verwundet wurde. Nach dem Notabitur begann er als Kriegsversehrter ein Studium der Nationalökonomie und der Philosophie zunächst in Berlin, später setzte er es in Kiel fort. 1919 wurde er in Hamburg promoviert. Diese bürgerliche Karriere wurde dadurch konterkariert, dass Sorge bereits 1917 der USPD beitrat, sich 1918 im Kieler Arbeiter- und Matrosenrat engagierte, für die der USPD nahestehende Hamburger Volkszeitung arbeitete und am 15. Oktober 1919 der KPD beitrat.

Nach der Promotion lehrte Sorge ab 1919 an der Technischen Hochschule Aachen. Politisch war er dort in der örtlichen Parteileitung aktiv. Neben volkswirtschaftlichen Themen beschäftigte er sich mit den Werken von Marx, Engels und Lenin. Als er 1920 wegen der Teilnahme an bewaffneten Abwehrkämpfen gegen den Kapp-Putsch entlassen wurde, arbeitete er mehrere Monate in einem Bergwerk unter Tage. 1921 wechselte er nach Solingen, wurde Lehrer an der KPD-Parteischule und an der Volkshochschule in Ohligs. Im Herbst 1922 zog Sorge nach Frankfurt am Main, wo er am Institut für Sozialforschung unterkam.

Kurier der Partei

Seine berufliche Reisetätigkeit nutzte er auch als konspirativer Kurier der KPD. Er war so zuverlässig, dass er 1923 als persönlicher Kurier für Ernst Thälmann beim und nach dem Hamburger Aufstand fungierte. Berichtet wird, dass es ihm zu verdanken war, dass die Parteigelder und die Mitgliederlisten vor dem Zugriff der Polizei in Sicherheit gebracht werden konnten. Als »Sicherheitsbeauftragter« half er bei der Organisation des IX. KPD-Parteitags, der aufgrund des Parteiverbotes im April 1924 unter konspirativen Bedingungen abgehalten werden musste. Dort war er für die Sicherheit der Vertreter des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (Komintern, KI) verantwortlich.

1924 ging Sorge im Auftrag der Komintern nach Moskau, wo er die Informationsabteilung unterstützte. Um die Situation in den jeweiligen Ländern verstehen zu können, besuchte er im Auftrag der KI die skandinavischen Staaten, später auch China, da sich vor Ort die politische, wirtschaftliche und militärische Situation besser analysieren ließ als von Moskau aus. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit für die GRU, den Nachrichtendienst der Roten Armee. Im Auftrag von Jan K. Bersin lieferte Sorge 1929 einen Bericht aus China über die innen- und außenpolitische Entwicklung des Landes und die sich daraus ergebende Bedrohung für die UdSSR. Dazu reiste er – getarnt als deutscher Journalist – nach Shanghai und baute vor Ort eine Zelle auf, zu der der deutsche Funker Max Christiansen-Clausen und der japanische Journalist Ozaki Hotsumi gehörten. Auch die später durch ihre Schrift »Sonjas Rapport« berühmt gewordene Ruth Werner war zeitweilig in diese Arbeit einbezogen.

1933 begann der vorerst komplizierteste Auftrag für Richard Sorge. Er kehrte in das faschistische Deutschland zurück, um von dort aus als »deutscher Journalist« in Japan eine Spionagezelle aufzubauen, die in der Lage sein sollte, Informationen aus höchsten politischen und militärischen Kreisen zu beschaffen. Damals entwickelte sich die »Achse« Berlin–Rom–Tokio, die für die UdSSR eine besondere Bedrohung darstellte, zeichnete sich dergestalt doch ein Zwei-Fronten-Krieg ab.

In Japan wurde Sorge sogar formell Mitglied der NSDAP, was einer Eintrittskarte in die deutsche Botschaft gleichkam und die Voraussetzung für den Kontakt zum Militärattaché Eugen Ott darstellte. Es gelang Sorge, im November 1935 Max Christiansen-Clausen und später auch Ozaki Hotsumi nach Tokio zu holen. Als im Februar 1936 ein Militärputsch in Tokio stattfand, fertigte Sorge zwei Berichte an, einen für den deutschen Militärattaché und einen für den GRU. Diese Analyse erwies sich als so treffsicher, dass das deutsche Außenministerium den öffentlichen Teil in der Zeitschrift für Geopolitik verbreitete. Daraufhin wurde Sorge sogar ein Büro in der deutschen Botschaft zur Verfügung gestellt. Später redigierte er das Informationsblatt der Botschaft und erhielt einen Ausweis als Angehöriger der deutschen Vertretung.

Bedeutende Informationen

Ausgehend von seinem Insiderwissen konnte Sorge die sowjetische Seite 1936 über die Verhandlungen, die schließlich zum Antikomintern-Pakt zwischen Nazideutschland und Japan führten, informieren. 1939 unterrichtete er den GRU über Einzelheiten und Termine des von Japan geplanten Überfalls auf die Mongolei mit der späteren Stoßrichtung zum Fernen Osten der Sowjetunion. Dadurch konnte eine militärische Abwehr organisiert werden, die im August 1939 zum Scheitern des japanischen Vorstoßes führte.

Da Sorge ab September 1939 das Kriegstagebuch der deutschen Botschaft in Tokio führen musste, erhielt er Zugang selbst zu geheimen Dokumenten. Bereits im März 1941 setzte er eine Meldung über operative und taktische Details des geplanten Überfalls auf die Sowjetunion ab. Am 15. Juni sendete er den konkreten Angriffstermin. Beide Nachrichten erreichten den GRU, wurden jedoch von Stalin als »Feindpropaganda«, die die UdSSR zu militärischen Schritten provozieren sollte, missinterpretiert.

Von Bedeutung war auch eine weitere Meldung Sorges von Mitte September 1941, dass der japanische Thronrat beschlossen habe, militärisch gegen die USA und die britischen Kolonien vorzugehen und nicht gegen die so­wjetischen Gebiete. Auf der Grundlage dieser Information konnte der Generalstabschef der Roten Armee, Marschall Schukow, Truppen aus Sibirien abziehen und zur erfolgreichen Verteidigung Moskaus einsetzen, was das militärische Scheitern der Blitzkriegsstrategie der Wehrmacht zur Folge hatte.

Seit 1939 hatten Richard Sorge und seine Zelle 141 Funksprüchen sowie Mikrofilme per Kurier nach Moskau übersandt. Enttarnt wurde Sorge nicht von der deutschen Spionageabwehr, sondern wegen der Observierung seiner Kontaktpersonen durch die japanische Geheimpolizei. Ozaki Hotsumi wurde am 15. Oktober 1941 verhaftet, drei Tage später Richard Sorge selbst. Im September 1943 begann unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen ihn und seinen Mitangeklagten Ozaki Hotsumi vor einem Tokioter Distriktgericht. Schon am 29. September wurden die Todesurteile verkündet. Am 7. November 1944 wurden Richard Sorge und Ozaki Hotsumi in Tokio gehängt.

Um seine Person und seine Rolle rankten sich anschließend zahlreiche Legenden, die auch von der deutschen Abwehr verbreitet wurden. Fakt ist, er war der erste »Kundschafter für den Frieden«.

Zweigeteilte Erinnerung

Erst als die UdSSR 1964 mit der posthumen Ehrung als »Held der Sowjetunion« die Spionagetätigkeit von Richard Sorge öffentlich bestätigte, begann in der DDR eine intensive Aufarbeitung. Schon vorher war Sorges Mitstreiter Max Christiansen-Clausen mit hohen Auszeichnungen für den antifaschistischen Kampf geehrt worden. 1965 erschien im Militärverlag der DDR in mehreren Auflagen die Dokumentation von Julius Mader »Dr. Sorge funkt aus Tokyo«. 1969 wurde zum 25. Todestag in Berlin- Friedrichshain eine Straße nach Richard Sorge benannt. 1976 ehrte die Deutsche Post der DDR Sorge mit der Herausgabe eines Briefmarkenblocks. Als höchste Auszeichnung vergab das Ministerium für Staatssicherheit die Dr.-Richard-Sorge-Medaille in Gold.

Im Westen beschäftigte sich der Spiegel mehrfach mit Sorge. Schon 1951 widmete das Magazin ihm eine mehrteilige Serie. Sie zielte auf eine neue »Dolchstoß-Legende«. Der »Endsieg über den Bolschewismus« sei gescheitert, weil deutsche Spione den Plan »Unternehmen Barbarossa« an die Sowjetunion verraten hätten. Im Juli 1967 reagierte das Magazin auf die gesellschaftliche Würdigung Sorges in der UdSSR und der DDR mit dem Hinweis, die DDR habe ihn Jahrzehnte lang verschwiegen und Stalin habe ihm nicht geglaubt. Davon ist der Spiegel heute weit entfernt. 2011 konnte Katja Iken sich Sorge nur noch als »sowjetischen James Bond« vorstellen. Ihre Bewertung: »Playboy, Quartalssäufer, Motorradfreak: Richard Sorge war alles andere als ein diskreter Spion.«

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  • Leserbrief von Horst Hommel aus Berlin (4. November 2024 um 13:11 Uhr)
    Pünktlich erscheint ein interessanter Artikel über den Kundschafter Dr. Richard Sorge. Anlässlich allerdings nicht seiner Hinrichtung, sondern seiner Ermordung durch die japanische Militärclique. Termin: 27. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Richard Sorge, der mit den Worten starb: »Es lebe die Kommunistische Partei! Es lebe die Rote Armee! Es lebe die Sowjetunion!«, sollte gedemütigt werden. Richard Sorge hatte kurz vorher erfahren, dass kein faschistischer Soldat mehr auf sowjetischem Territorium war. Ich hatte allerdings erwartet, dass die junge Welt damit im Zusammenhang mit erwähnt: Am 7. November 2024, 10 Uhr, treffen sich alle Freunde dieses hervorragenden Menschen an seinem Relief in Berlin-Friedrichshain, Richard-Sorge-Straße/Ecke Weidenweg.
  • Leserbrief von Reinhard Sandrock aus Dresden (2. November 2024 um 15:04 Uhr)
    Danke für die Erinnerung an diese beeindruckende Persönlichkeit. Zum ersten Mal wurde ich auf »Ramsay« aufmerksam, als Mitte der 60er Jahre in den DDR-Kinos der Film »Dr. Sorge funkt aus Tokio« lief. Danach kaufte ich mir die in der DDR erhältliche Literatur. Vor Jahren erschien auch ein interessanter Film, »Richard Sorge – Spion aus Leidenschaft«. Zu erwähnen sind auch seine zeitweise Zusammenarbeit mit »Sonja« und Agnes Smedley in China. Die Informationen Sorges an die Sowjetunion wurden mitnichten »missinterpretiert«, die Missachtung lag im System Stalins. Es gab ja auch entsprechende Informationen von anderen Kundschaftern aus Westeuropa, ja sogar von späteren Verbündeten. Hinzuzufügen ist auch, dass die Kontaktleute Sorges im sowjetischen Geheimdienst in der Zeit der »Säuberungen« liquidiert wurden, z. B. Jan Bersin, wie vorher auch die Führung der Roten Armee um Michail Tuchatschewski.

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