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Aus: Ausgabe vom 04.11.2024, Seite 8 / Ansichten

Nichts gelernt

Ampel gegen Palästina-Solidarität
Von Norman Paech
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Die Bundestagsmehrheit unterstützt das: Polizisten gegen propalästinensische Demonstranten (Berlin, 6.10.2024)

Ein Jahr lang haben die Parteispitzen über diesen Entwurf verhandelt. Was herauskam, ist ziemlich ungenießbar. Natürlich kann es keine Diskussion darüber geben, dass jüdisches Leben in Deutschland geschützt werden muss und Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz haben kann. Doch was ist Antisemitismus, und wer stellt ihn fest? Da fallen die Parteien auf die höchst umstrittene Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zurück. Sie haben nichts aus den Einwänden und den Vorschlägen von Wissenschaftlern gelernt, die gerade die dort enthaltene Entgrenzung des Begriffs kritisieren, die jede Kritik an Israels Politik und Besatzung erfasst.

Allerdings: Sie wollten offensichtlich nichts lernen, denn diese Erklärung zielt ja genau auf diese Kritik. Für sie ist »die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023« auch »auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und linksantiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen«. Was immer sie darunter verstehen, die Palästinasolidaritätsbewegung ist damit auf jeden Fall gemeint. Sie sollte sich warm anziehen.

Es bleibt nicht nur dabei, dass Wissenschaftler und Organisationen keine finanzielle Förderung erhalten, wenn sie zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen. Es sollen »keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden«, und vor allem sind »repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen«. Wenn dann noch die »Freiheit des Denkens«, die »Wissenschaftsfreiheit« und die »freiheitliche demokratische Grundordnung« herangezogen werden, ist der Verfassungsschutz mit im Boot, und die elenden Jahre der Berufsverbote steigen aus der Erinnerung hoch.

Schließlich war es den Parteien ein Bedürfnis, den Krieg Israels in Gaza unter den Schutz des Rechts auf Selbstverteidigung zu stellen. Sie »fordern die Bundesregierung auf, sich auch weiterhin in internationalen Gremien und gegenüber internationalen Partnern für dieses Recht einzusetzen«. Sie haben offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass es sich hier um einen Völkermord handelt, zu dessen Unterstützung sie aufrufen. Von Palästina und den palästinensischen Opfern findet sich kein Wort.

Die beteiligten Parteien wollen nach eigenem Bekunden dem wachsenden Antisemitismus begegnen. Sie sollten einmal darüber nachdenken, welchen Beitrag ein sofortiger Waffenstillstand, der vollständige Rückzug aus allen besetzten Gebieten und umfassende Hilfen für die palästinensischen Opfer leisten könnten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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