Kein Thema: Anmut
Von Marc HieronimusFür Schiller ist Anmut »die Schönheit der Gestalt unter dem Einfluss der Freiheit. (…) Anmut und Grazie machen ihrem Besitzer Ehre. Jene ist ein Talent, diese ein persönliches Verdienst. (Anmut) ist weder nur Ausdruck von Vernunft und Freiheit auf der einen, natürlicher Schönheit der Gestalt auf der anderen Seite, sondern sie ist die Synthese von Natur und Freiheit.«
Ach, die Klassiker konnten sich noch so ausdrücken, dass keiner sie versteht. Im heutigen Deutschland ist Anmut kein Thema mehr. Das würde sicher auch der Weltanmutsbericht belegen, wenn es institutionalisierte Anmutsforschung gäbe. Besonders Altersanmut ist selten – fast unabhängig vom Geldbeutel im übrigen. Wenn es zeitlose Schönheit gibt, dann in allgemeinen Prinzipien und Proportionen wie dem Goldenen Schnitt, den Intervallen in der Musik oder gewissen Wellenlängen bei den Farben.
Schön ist nicht schreierisch. »Edle Einfalt, stille Größe« strahlen die griechischen Ruinen aus, weil die Farbe abgeblättert ist, im Originalanstrich wären sie nur halb so anmutig. Auch die Kathedrale von Amiens, Vorbild für den Kölner Dom, war einmal quietschbunt, wie man bei Restaurierungsarbeiten festgestellt hat. Über den langsamen Wandel der Kleidermoden jedenfalls konnte man sich früher in den einschlägigen Fachgeschäften informieren. Dann kamen die Ketten und damit der Verfall. Das C & A des gleichnamigen Kleiderladens steht nämlich gar nicht für »Charme und Anmut«, sondern für »Clemens und August«, das waren die Vornamen der Brenninkmeijer-Brüder, die das Unternehmen 1841 gegründet haben. Aber so entstehen Missverständnisse. H & M wirbt schon lange auch als Hennes & Mauritz, um dem hartnäckigen Glauben entgegenzutreten, die Buchstaben stünden für »Hasi und Mausi«.
Immerhin lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, was nicht schön oder gar grazil und anmutig ist, man muss nur das Fernsehen anschalten oder aus dem Fenster schauen. Camp David ist das Ferienhaus des US-Präsidenten. Bitte nicht mehr Kleidung dieser Marke tragen!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gisela S. aus Berlin (1. November 2024 um 05:03 Uhr)Sorry, aber fürs Ballett ist die Anmut wesentlich und sogar kennzeichnend. Ohne Anmut kein Ballett. Und noch gibt es Ballett in unserer Welt! – Gisela Sonnenburg
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