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Aus: Ausgabe vom 04.11.2024, Seite 12 / Thema
Arbeitswelt und KI

Digitalisierung heißt Kontrolle

Vier Thesen zur doppelten Digitalisierung der Bildungsarbeit
Von Peter Schadt
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Digitalisierung wird oft als Möglichkeit zur Erleichterung menschlicher Arbeit dargestellt, wie auf diesem Werbebild, das im Rahmen der Cemat-Intralogistikmesse in Hannover aufgenommen wurde. Aus dem Blick gerät dabei, dass Digitalisierung zu einer verstärkten Kontrolle menschlicher Arbeit führt

Wir dokumentieren an dieser Stelle den Vortrag »künstliche Intelligenz – Was sie ist und was sie ändert«, den Peter Schadt bei der Cobra-VHS-Fachtagung »künstliche Intelligenz – Gamechanger in der Arbeitswelt?« am 30. September 2024 in Essen gehalten hat. (jW)

Im Folgenden werde ich vier Thesen vorstellen. Die vier Thesen sollen sich dabei dem Thema Ihrer Tagung – der Veränderung der Bildungsarbeit durch künstliche Intelligenz (KI) – immer weiter annähern. Meine vierte und letzte These begründet diesen Aufbau und soll deshalb schon hier skizziert werden: Die Bildungsarbeit unterliegt nicht erst seit der künstlichen Intelligenz, aber jetzt noch mehr, einer doppelten Digitalisierung.¹ Damit ist eine Feedbackschleife gemeint. Einerseits geht es nämlich darum, sich Rechenschaft abzulegen darüber, wie die KI im Speziellen und die Digitalisierung im Allgemeinen die Bildungsarbeit selbst verändert: Welche Rolle also die digitale Technik und KI als Mittel der Bildung spielen. Diese Digitalisierung erster Ordnung ist aber nur eine Seite. Andererseits geht es nämlich darum, die gesellschaftlichen Disruptionen im Blick zu haben, und wie sich diese auf die Bildungsarbeit auswirken. Diese mittelbare Digitalisierung, die Digitalisierung zweiter Ordnung, ist für die Bildungsarbeit, so meine Behauptung, an manchen Stellen sogar wichtiger als ihre unmittelbare Anwendung.

Diese doppelte Digitalisierung der Bildungsarbeit legt als vierte und zentrale These ihre Spuren rückwärts und verpflichtet den Input auf einen Blick jenseits der Bildungsarbeit, um gemeinsam zu überlegen, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz ganz weit weg von den deutschen Volkshochschulen hat und wie sie dennoch auf diese zurückwirkt. Welche Bildung heute in Deutschland stattfindet, von wem und mit welchen Mitteln, welche Fähigkeiten und welches Wissen vermittelt wird, ist eben ganz zentral von der mittelbaren, also der oft von den Bildungsträgern weniger im Fokus stehenden zweiten Seite der doppelten Digitalisierung der Bildungsarbeit abhängig. Die Thesen folgen dabei nicht zufällig auch der Wertschöpfungskette der KI und werden Sie sehr weit wegführen von den konkreten Mitteln ihrer Bildungsarbeit, die nach mir von den Kolleginnen und Kollegen von Microsoft, Adobe und Co. für sie präsentiert werden.

Zur ersten These: Die verdankt sich dem sicher allen hier bekannten und ständig wiederholtem Diktum der Digitalisierung im Allgemeinen und der KI im Besonderen, dass es darauf ankäme – unterstützt durch die Bildungsarbeit – die »Chancen« der KI zu nutzen und ihre »Risiken« zu minimieren.

Vernutzung von Mensch und Natur

1. These: Die Bedingung der Möglichkeit »guter Arbeitsbedingungen« (Chancen) durch KI sind schlechte Arbeitsbedingungen (Risiko)

Damit Chat-GPT und Co. in den Browserfenstern von New York bis Berlin die Weltöffentlichkeit und ihre journalistischen Betreuer beeindrucken kann, müssen vorher vom Ostkongo bis China die seltenen Erden und Metalle geschürft werden. Gallium und Germanium werden nämlich für die Halbleiter gebraucht, welche die Rechenleistung für die künstlichen Intelligenzen stellen, hauptsächlich aber Silizium. Etwa 80 Prozent der globalen Vorkommen seltener Erden finden sich auf chinesischem Staatsgebiet. In einer Fallstudie zu den Umwelt- und Sozialauswirkungen der Gewinnung seltener Erden in Bayan Obo, im Autonomen Gebiet Innere Mongolei der Volksrepublik China, kann man über die dortigen Arbeitsbedingungen nachlesen, dass diese aufgrund geringer Umwelt- und Sozialstandards dramatische negative Folgen für Menschen, Tiere und Umwelt haben. Die reichen von Luftverschmutzung durch und mit giftigen Schwermetallen bei der anschließenden Verhüttung und Raffination bis hin zu jährlich zehn Millionen Tonnen Abwasser aller Art, die größtenteils ohne entsprechende Aufbereitung entsorgt werden.

Ganz die Wahrheit ist diese Umkehrung nicht: Es sind nicht fehlende Verbote, welche die Leute vernutzen, sondern das Interesse an ihrer kostengünstigen Anwendung. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Millionen Chinesinnen und Chinesen führen zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate durch Lungenkrebs, aber die Vergiftungen sorgen auch für mehr Diabetes, Osteoporose sowie Brust- und Atmungsproblemen.

Für ein paar Millionen Chinesen und Kongolesen – die Liste ließe sich erweitern – ist also keineswegs das »Risiko« darin zu finden, dass Unternehmer und staatliche Bergbauunternehmen die Digitalisierung verpassen und die Chancen ungenutzt lassen. Die erfolgreiche Vernutzung von Mensch und Natur für die Extraktion der materiellen Grundlage der KI ist vielmehr das Ergebnis einer sehr fundamentalen Kontrolle der großen Unternehmen und politischen Gewalten über Land und Leute, die gewollte, weil kostengünstige Konsequenz einer kontrollierten und planmäßig betriebenen Verschleißung des natürlichen und menschlichen Inventars.

Dass es sich dabei um keinen Zufall, sondern die notwendige Konsequenz der künstlichen Intelligenz als Mittel des Kapitals handelt, kann man manchmal auch den Texten von dem Marxismus unverdächtigen Soziologen entnehmen, manchmal sogar ausgerechnet da, wo sie die Vereinbarkeit von profitablem Wirtschaften und besseren Arbeitsbedingungen beweisen wollen. Schon vor zehn Jahren schrieb Klaus-Detlev Becker über die Bedingung der Möglichkeit einer erfolgreichen Kombination von Ökonomie, Bildung und guten Arbeitsbedingungen: »Erst eine wettbewerbsfähige Arbeit lässt eine flexible Arbeitsorganisation zu, die es den Mitarbeitern ermöglicht, Beruf und Privatleben sowie Weiterbildung besser miteinander zu kombinieren und so eine Balance zwischen Arbeit und Familie zu erreichen.« Was dabei unter dieser Bedingung zu verstehen ist, expliziert er wenige Sätze später: »Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit entscheidet sich jedoch nicht allein an den technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Industrie 4.0, sondern an deren effizienten und produktivitätssteigernden sowie kostengünstigen Anwendung in den Unternehmen.«² Damit man sich also so etwas wie gute Arbeitsbedingungen als Chance der Anwendung von künstlicher Intelligenz überhaupt denken kann, von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis hin zur Weiterbildung, gibt es eine Bedingung der Möglichkeit dieser Chancen, die in der kostengünstigen, das heißt möglichst billigen Anwendung eben derjenigen besteht, die sich die KI als ihre Potenz für ein besseres Leben denken sollen. Eine durchaus widersprüchliche Sache: Die Bedingung der Möglichkeit guter Arbeitsbedingungen durch KI sind schlechte Arbeitsbedingungen.

Nach zwei Seiten ist die These von den »Chancen und Risiken« also ein Stück Ideologie: Einerseits gibt es kein »wir«, dass unbedingt »die Kontrolle« behalten muss, damit »alle« den Nutzen haben, sondern eine fix und fertig eingerichtete politische Ökonomie, in der die Arbeitsbedingungen eingerichtet und kontrolliert werden von den Instanzen, die von ihnen profitieren. Dabei fallen Chancen und Risiken schlicht zusammen und unterscheiden sich nach ihren ökonomischen Perspektive. Die Bildungsarbeit sollte sich also – um hier nur das wenigste zu sagen – davor hüten, ihren Beitrag zur »Verringerung der Risiken« und zur »Realisierung der Chancen« von KI beizutragen; statt dessen steht Aufklärung über den widersprüchlichen Charakter der politischen Ökonomie der Digitalisierung an.

Die Arbeit hinter der KI

2. These: künstliche Intelligenz ist nicht intelligent – und manchmal nicht mal künstlich.

Zuletzt wurde der Nobelpreis an den KI-Pionier Geoffrey Hinton vergeben, der vor den Gefahren der KI warnt, deren Intelligenz der unsrigen überlegen sei und die drohe, die ganze Menschheit zu vernichten. Muss die Bildungsarbeit hier ein Bewusstsein für die drohende Ausrottung der Menschheit durch die Superintelligenz schaffen? Viele würden das verneinen und sprechen von der KI als nur vermeintlicher Intelligenz, so zum Beispiel Marc van Nuffel, CEO von »Du Da« und CIO von »Farner Consulting«, der sein Publikum beruhigt, indem er verlauten lässt, dass künstliche Intelligenz eine Maschine sei, bei der man nur das raus bekomme, »was man auch reinsteckt«. Wer einmal Maiskörner in eine Mikrowelle gesteckt und nach ein paar Minuten Popcorn in den Händen gehalten hat, wird ahnen, dass diese Behauptung nicht einmal für dieses Gerät gilt. Auch diejenigen Materialisten, die sich und andere von dem Unterschied zwischen »natürlicher« und »künstlicher« Intelligenz überzeugen wollen, indem sie auf die Differenz der Hard- zur jeweiligen Software verweisen, argumentieren streng genommen gar nicht: Wer darauf verweist, dass Computer nun mal nur aus »Bits und Bytes« bestehen, den muss man vielleicht daran erinnern, dass das menschliche Gehirn auch »nur« aus Wasser, Fett, Eiweiß und Kohlenhydraten besteht.

Umgekehrt sollte man sich aber auch von den Freundinnen und Freunden künstlicher Intelligenz und deren Beweisführung nicht zu schnell beeindrucken lassen. Alan Turing, Mathematiker und Pionier der Computerentwicklung, hat den bis heute klassischen Test vorgelegt, wann man von »wirklicher« Intelligenz bei Computern sprechen kann. Er hat schon 1950 sein Imitation Game als Methode vorgeschlagen, um die Intelligenz einer Maschine zu testen. Das hatte einen recht komplizierten Aufbau und wird inzwischen deutlich vereinfacht als Turing-Test praktiziert: Die Versuchsperson chattet vornehmlich mit zwei Gesprächspartnern, wobei der eine Antwortgeber eine künstliche Intelligenz ist. Kann die Versuchsperson nicht unterscheiden, wer das menschliche und wer das Schraubenhirn hat, dann gilt der Test als bestanden und der Computer als intelligent. In beiden Fällen soll Intelligenz also dadurch bewiesen werden, dass man ohne Wissen darüber, mit wem oder was man es zu tun hat, nicht mehr zwischen den Sätzen einer KI und denen eines Menschen unterscheiden kann. Dass man an der Oberfläche, beim reinen Lesen von Antworten auf eigene Fragen und Aussagen nicht mehr sagen kann, ob man gerade ein Gespräch führt oder die Antworten generiert werden, soll der Beweis sein, dass es sich auch bei dem Computer um eine Intelligenz handelt. Ausgerechnet dann also, wenn einem die bloße Anschauung nicht mehr unmittelbar verrät, ob ihr Ursprung künstlicher Natur ist oder nicht; also genau dann, wenn überhaupt erst mal eine zu klärende Frage im Raum steht, ist für die Anhänger dieses Spiels schon alles beantwortet.

Was lässt sich in aller Kürze nun positiv zur Bestimmung von dem sagen, was KI ist? Wer einmal die zweifelhafte Freude hatte, ein Semester Soziologie studiert zu haben, ist eventuell über einen statistischen Zusammenhang gestolpert, den es nachweisbar zwischen Störchen und Babys gibt: Tatsächlich gibt es dort viele von der einen Sorte, wo es viele von der anderen gibt, und vice versa. Dieser statistische Zusammenhang kann mathematisch ausgedrückt und entsprechend auch von einer KI aus- und berechnet werden. Dass es sich dabei um keine Kausalität handelt, dass also nicht wirklich ein Zusammenhang zwischen Babys und Störchen vorliegt, wissen Statistiker natürlich; vermittelt ist diese Scheinkorrelation über eine Drittvariable, die Urbanität: Auf dem Dorf haben Menschen mehr Kinder als in der Stadt; und dort gibt es auch mehr Störche. Mit mathematischen Operationen lässt sich einiges aus solchen statistischen Zusammenhängen herausholen, und das ist die Art und Weise, wie ein Algorithmus funktioniert. Der falsche Schluss, dass Störche Babys bringen, wie auch richtige Urteile darüber, warum heute in Städten Menschen weniger Kinder bekommen als auf dem Land, sind dabei dem Menschen vorbehalten. Was für die KI begriffs- und inhaltslose Labels sind, über deren Zusammenhang mathematisch Wahrscheinlichkeiten extrapoliert werden können, braucht schon eine Intelligenz, um als Kausalität, also einen ursächlichen Zusammenhang verstanden oder missinterpretiert zu werden. Die Beispiele dafür sind Legion.

Damit diese Stochastik genügend Material hat, gibt es das, was in der Soziologie inzwischen öfter liebevoll als »Ghostworker« vorgestellt wird: Möglichst billige und willige Arbeitskräfte, die zum Beispiel Fotos und was darauf zu sehen ist mit entsprechend statistisch auswertbaren Labeln markieren und das Millionenfach. Arbeitskräfte für diese Tätigkeit finden sich zum Beispiel in Kenias Hauptstadt Nairobi, wo genügend Englischkenntnisse auf eine gute Internetverbindung und unschlagbar billige Arbeitskräfte treffen. So verdankt sich die »Leistung« zum Beispiel von fliegenden Drohnen, die Pakete ausliefern und einen Pool als schlechten Abwurfort für ein Amazon-Paket erkennen, nicht dem Räsonieren eines Schraubenhirns, sondern dem millionenfachen Klicken kenianischer Geisterarbeiter. Ihr Name drückt aus, dass ihre Arbeit ganz verschwindet hinter der scheinbaren Leistung einer künstlichen Intelligenz, die also weder intelligent – und eben in manchen Fällen noch nicht einmal künstlich ist.

Alles fürs Kapital

3. These: KI als Ende der Arbeit oder Arbeit ohne Ende? Eine falsche Frage!

Die Veränderungen der Arbeitswelt sind für die Bildungsarbeit von besonderem Interesse, weil sie sowohl Qualität als auch Quantität der anstehenden Weiterbildungsangebote bestimmen. Volkshochschulen fragen sich, was die »Future skills« sind, die sie anbieten müssen. Aber wird es überhaupt noch Arbeit geben, für welche die VHS die Menschen vorbereitet? Die linke Variante eines Endes aller Plackerei wurde zuletzt 2016 prominent von dem britischen Journalisten Paul Mason präsentiert. Der interessierte sich für die praktischen Zwecke, mit denen die Digitalisierung vorangetrieben wird, nur aus dem Blickwinkel ihrer angeblich systemsprengenden Wirkung: Weil für die Vervielfältigung von Daten keine Arbeit anfalle, spitze sich der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Arbeit und ihrer privaten Aneignung immer weiter zu, und schließlich würde daran der Kapitalismus samt Lohnarbeit zugrunde gehen: »Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie« hieß entsprechend sein Bestseller bei Suhrkamp.

Der Blick auf die Wirkungen kommt dabei ohne viel Bezug zu den Zwecken der real existierenden Unternehmen aus. Diese riesigen Kapitale wie Amazon Prime, Spotify, Netflix und Disney haben gar kein Problem beim Verkaufen von »Kunstgenuss« im Endlosangebot ohne lästige Bindung an materielle Träger des Mediums. Damit schaffen sie den kapitalistischen Traum, ein Produkt einmal herzustellen und – zumindest im Prinzip – unendlich oft verkaufen zu können. Grundlage des Geschäftsmodells ist ein Staat, der mit seiner Rechtsordnung dieser Sorte immaterieller Produkte den Charakter eines geistigen Eigentums verleiht und sie schützt, und so dessen geschäftliche Verwandlung in eine – im Prinzip – endlos sprudelnde Einnahmequelle überhaupt erst ermöglicht. So an der Quelle sitzend, haben sich alle großen Streamingdienste längst aufgemacht, selbst Inhalte zu produzieren und ihre Wertschöpfungskette immer weiter in die eigenen Hände zu nehmen. So kommt es zur Konkurrenz um die durch Gewalt zum Sprudeln gebrachte Einnahmequelle des geistigen Eigentums. Darüber mag so manches Kapital zugrunde gehen, das sein Geld bisher mit CDs und anderen Anachronismen verdiente – der Kapitalismus als System der Konkurrenz der Kapitale eröffnet derweil eine neue Runde der Kapitalakkumulation. Es verhält sich also genau umgekehrt zu Masons Prognose: Er sah den Kapitalismus an seinem Ende, weil digitale Daten ohne Aufwand unendlich vervielfältigbar sind. Mit Copyright und der technischen Koppelung von Film- und Musikkonsum an das Internet und einen Account bei entsprechenden Anbietern hat das Kapital auf Grundlage der staatlichen Gewalt diese prinzipielle Verfügbarkeit aber auf zahlende Kunden beschränkt.

Aber bleibt es nicht trotzdem richtig, dass mit immer weniger Arbeit immer mehr hergestellt werden kann? Geht dann nicht – langsam, aber sicher – die Arbeit aus? Dass die Arbeit immer produktiver wird, sorgt erst einmal für mehr Produkte pro Arbeitseinheit; ob und inwiefern dann weniger gearbeitet wird, um die gleiche Anzahl an Produkten herzustellen, oder mehr geschuftet, um mit noch mehr Waren neue Märkte zu erobern, ist eine Frage der Konkurrenz der Kapitalisten und keine der Technik. Die deutsche Automobilindustrie hat über Jahrzehnte mit jeder Produktivkraftsteigerung mehr lebendige Arbeit eingesaugt, indem der Export so massiv gesteigert wurde, dass die BRD zwischenzeitlich Exportweltmeister war. Auch das hat bezahlte Arbeit überflüssig gemacht; man denke an die Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten ihre Automobilindustrie über die deutsche Konkurrenz verloren haben. So wenig aus der Technik also abzuleiten ist, inwiefern es in Deutschland in naher oder fernerer Zukunft mehr oder weniger Arbeitsplätze gibt, so bezeichnend ist auch die Antwort des Lagers, das sich gegen Masons These stellt und Entwarnung gibt. So war im Vorwärts schon vor einiger Zeit zu lesen, dass die Digitalisierung »nicht das Ende der Arbeit bedeutet«. Das Ende der Arbeit sei eben »Schwarzmalerei. Neue Technologien bringen immer auch neue Arbeit hervor.« Entsprechend das Fazit: »Es gibt kein Ende der Arbeit. Wenn wir das wollen.« Während die eine Seite also kontrafaktisch das Ende der Arbeit einläutet, spricht die andere Seite ihre Leserschaft gleich in ihrer Abhängigkeit als Arbeitskräfte an und verspricht ihnen, dass sich an dieser Rolle als variables Kapital auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern wird; weil sie das so will!

Der technische Fortschritt, der heute per künstlicher Intelligenz den Arbeitsprozess revolutioniert, beschränkt sich nicht darauf, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Er will sie kontrollieren, damit die Unternehmer besser über sie verfügen können. Die Tendenz geht dahin, die menschliche Arbeitskraft der Kontrolle und Überwachung von Rechnern zu unterstellen, damit die Firma den Menschen optimal für ihre Zwecke einsetzen kann. Der mit dieser durchgehenden Digitalisierung verbundene Einsatz von KI, Robotik und autonomen Maschinen erlaubt es den Arbeiterinnen und Arbeitern mehr zu schaffen in immer kürzerer Zeit – und gleichzeitig immer weniger Einfluss darauf zu haben, was sie da genau tun und wie das zu bewerten ist. »Künstliche Intelligenz« ist nichts anderes als die Fortschreibung der kapitalistischen Beherrschung der Arbeitskraft und der Kommandogewalt über den Produktionsprozess, die Kontrolle und Steuerung der menschlichen Arbeitskraft mittels modernster Technik, die diese Arbeitskraft teilweise überflüssig und gleichzeitig effizienter einsetzbar macht. Den Kapitalismus setzt das nicht ins Unrecht, sondern modernisiert ihn. Und dass die Arbeiter noch morgen das variable Kapital dieser ihnen schlecht bekommenden Rechnung sind, verspricht die SPD mit ihrem »wenn wir es wollen«. Statt mit künstlicher Intelligenz das »Ende der Arbeit« oder ihren Niedergang zu markieren, ist dieser technologische Fortschritt ein zentrales Mittel kapitalistischer Fortschrittslogik, das die Verwertung des Kapitals vorantreibt. Mit jeder technischen Neuerung wird dabei die Arbeitskraft einerseits immer weiter aus dem Produktionsprozess herausgedrängt, andererseits immer stärker kontrolliert und gesteuert. Diese Digitalisierung markiert damit nicht das Ende der Arbeit, sondern eine neue Stufe ihrer Unterordnung unter die Kapitalverwertung. Wie viele dieser neuen Arbeitsplätze es dann geben wird, entscheidet sich an der internationalen Konkurrenz und der Frage, wie viele neue Märkte die Exportnation Deutschland für sich reklamieren kann; oder ob umgekehrt Deutschland zum Importland für chinesische und amerikanische Waren wird.

Neue Aufgabenbereiche

4. These: Die Digitalisierung der Bildungsarbeit ist eine doppelte Digitalisierung

Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt angekommen. Dass künstliche Intelligenz die Bildungsarbeit nicht nur unmittelbar als Werkzeug für Lehrende und Lernende verändert, sondern auch mittelbar durch gesellschaftliche Veränderungen neue Aufgabenbereiche schafft, ist Ihnen sicher bereits vor meinen Thesen bewusst gewesen. Ich hoffe, dass der Ansatz der doppelten Digitalisierung – den ich zusammen mit Prof. Dr. Christoph Beckmann, der zur Sozialen Arbeit in Hamburg forscht, entwickelt habe – Ihnen dennoch dabei hilft, strukturierter über diese beiden Seiten der Digitalisierung nachzudenken und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Dass ich heute den Fokus auf die politisch-ökonomischen Veränderungen gelegt habe, bedeutet nicht, dass die Digitalisierung der Bildung erster Ordnung nicht ebenfalls ein wichtiger Untersuchungsgegenstand ist; er steht in der Forschung zur Digitalisierung der (Weiter-)Bildungsarbeit im Speziellen und der Sozialen Arbeit im Allgemeinen aber deutlich mehr im Fokus der Aufmerksamkeit. Exemplarisch dafür weise ich Sie auf den GEW-Bildungstag hin, bei dem eine KI-Expertin die Fragen präsentieren wird, die sich die DGB-Gewerkschaft in Bezug auf KI und Bildung an diesem Tag gestellt hat: »Das Thema künstliche Intelligenz wirft im Bildungskontext viele Fragen auf: Wollen wir KI-Systeme zum Lehren und Lernen nutzen? Welche Tools wollen wir auswählen? Was genau wollen wir damit machen? Wo entscheiden wir uns warum gegen eine Nutzung? Welche Chancen und welche Risiken müssen wir reflektieren?« Alle diese Fragen betreffen das, was Beckmann und ich als »Digitalisierung erster Ordnung« bezeichnen. Sollte es bei Ihren Tagungen gelegentlich zu einem solchen Fokus kommen, hoffe ich, dass unser Ansatz Ihnen hilft, auch die zweite Seite der Digitalisierung im Blick zu behalten.

Anmerkungen:

1 Siehe dazu auch: Christof Beckmann; Peter Schadt: Beratung 4.0. Während die Sozialarbeit selbst digitalisiert wird, soll sie sich gleichzeitig um die Folgen der Digitalisierung kümmern. Eine doppelte Zumutung, junge Welt, 16.11.2021

2 Klaus-Detlev Becker: Arbeit in der Industrie 4.0 – Erwartungen des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. In: Alfons Botthoff und Ernst Andreas Hartmann (Hg.): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, Springer Vieweg 2015, S. 23–29, hier S. 24

Peter Schadt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 22. und 23. August 2024 über Pornographie und Plattformökonomie: »Sex sells« und »Von Pornhub zu Onlyfans«

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (4. November 2024 um 05:55 Uhr)
    Die hier behandelte Frage ist gar nicht so neu, wie man denken könnte. Genau wie vor zwei Jahrhunderten die Mechanisierung oder vor 60 Jahren die Automatisierung wirft auch die KI die grundlegende Frage auf, von wem sie zu wessen Nutzen eingesetzt werden soll. Sie kann der Gesellschaft neue Horizonte öffnen, wenn sie eingesetzt wird, um allen zu dienen. Sie kann verheerende Wirkung haben, wenn sie lediglich aus der eingeschränkten Sicht einzelner oder weniger Individuen zur Anwendung kommt. Das ist nicht die Schuld der Technik, sondern es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die darüber bestimmen, ob aus ihr Segen oder Fluch resultiert. Genau darüber ist also wahrscheinlich am intensivsten nachzudenken.

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