An den Quellen
Von Dieter ReinischJenseits der Bilder von Bomben, Hunger und Leid ist vielen Menschen wenig über den Gazastreifen bekannt. Der Autor Johannes Zang, der fast zehn Jahre in Israel und den palästinensischen Gebieten gelebt und gearbeitet hat, liefert in seinem neuen Buch eine lesenswerte Einführung in die Geschichte und die Gegenwart des schmalen Küstenstreifens zwischen Israel und Ägypten.
In kurzen, meist chronologischen Kapiteln finden sich alle wesentlichen Informationen. Darüber hinaus sind viele Angaben enthalten, die man in deutschsprachiger Literatur sonst nicht oder selten findet, etwa zur Lage der Bevölkerung unter ägyptischer Kontrolle oder zur Teilung der Stadt Rafah in einen ägyptischen und einen palästinensischen Teil. Zang hat einen christlichen Hintergrund, und das erweist sich durchaus als Vorteil für das Buch: Er interessiert sich für Erwähnungen Gazas in alttestamentarischen Texten und für christliche Pilger in der Region. Das weitet den Blick durchaus.
Nicht ganz so überzeugend fallen leider die unmittelbar zeitgeschichtlichen Abschnitte aus. So wird als Beleg für die These, dass Israel bei Gründung und Aufbau der Hamas in Gaza eine entscheidende Rolle spielte, ein Buch herangezogen, in dem letztlich genau diese These bestritten wird. Besonders bei der Darstellung der Entwicklung seit der ersten Intifada zeigt sich bedauerlicherweise die Tendenz, nahezu ausschließlich auf deutsche und israelische Literatur zurückzugreifen, die für die internationale Forschungsdiskussion eher nicht repräsentativ ist. Wenige arabische Autoren finden in diesem Buch Berücksichtigung. Wichtige Texte, wie das Standardwerk des in London lebenden Autors Azzem Tamimi, (»Hamas: Unwritten Chapters«), bleiben unberücksichtigt, wären aber für einen etwas nuancierteren Blick auf die palästinensischen Fraktionen erforderlich gewesen.
So entsteht der Eindruck, dass beim Blick auf das Leben in Gaza ab 2006 die Rolle der israelischen Blockade zunehmend an den Rand rückt, während die Hamas als wesentliche Ursache für Mangel und Restriktionen erscheint. Zang bedauert etwa, dass es für die kleine christliche Minderheit unter der Hamas-Regierung von Beginn an schwierig war. Er berichtet von Christenverfolgungen und der Schwierigkeit, unter Hamas-Herrschaft an Bier zu gelangen. Ob eines der erwähnenswerten Probleme der Menschen in Gaza aber tatsächlich die Beschaffung von Bier ist, mag jeder Leser selbst entscheiden.
Auch zu der dynamischen Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit werden vom Autor vorwiegend israelische Quellen herangezogen. So erfährt der Leser von Repressionsmaßnahmen der Hamas, während von der Verschleppung von Palästinensern in israelische Gefängnisse in der Negev-Wüste in dem Buch nichts zu lesen ist. Aufgrund derartiger Schwächen in der Methodik überzeugt der Text leider nicht gänzlich.
Johannes Zang: Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg. Papyrossa, Köln 2024, 279 Seiten, 19,90 Euro
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