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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Die Moral von der Geschicht’

Die Komödie »Nachtland« von Marius von Mayenburg in den Wiener Kammerspielen der Josefstadt
Von Eileen Heerdegen
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Lockere und bitterböse Pointen (Szenefoto)

Endlich mal lachen«, hat meine Mutter am Ende gern gesagt. So, als müsse sie in einem freudlosen Leben eine feuchte Behausung trockenwohnen. Aber ich will nicht ungerecht urteilen, alt sein ist kein Spaß. Jung sein allerdings auch immer weniger, also liegt es nahe, zum Lachen den Keller zu verlassen und ins Theater zu gehen. Es gibt intelligente Komödien mit und ohne brisanten Inhalt, die Wiener Kammerspiele der Josefstadt haben in der letzten Spielzeit die Kunst, über das Böse lachen zu können, ohne mitzulachen, mit dem bitteren Volksstück »Der Himbeerpflücker« exemplarisch vorgeführt.

Auch »Nachtland« von Marius von Mayenburg hat sich vorgenommen, »mit lockeren bis bitterbösen Pointen« der Frage nach moralischen Prinzipien nachzugehen. Vielleicht hat man sich etwas viel vorgenommen, denn es geht um Gier, um Liebe und Verrat, um Geschwister- und Ehestreit und darum, wie normal das Zusammenleben mit Jüdinnen und Juden in unserem Land nach dem Holocaust ist und sein kann. Und all das eingewickelt in die Frage, ob es moralisch vertretbar ist, ein von Adolf Hitler gepinseltes Aquarell sehr gewinnbringend zu verkaufen.

»Vor zwei Wochen ist mein Vater gestorben.« – »Unser Vater. Nicht deiner. Du bist kein Einzelkind.« – »Ich bin überhaupt kein Kind, ich bin erwachsen.« – »Ist gut, Nicola, reg dich ab.« – »Ich reg’ mich aber auf. Warum kommst du jetzt auf die Idee? Wo er tot ist?« – »Was für eine Idee?« – »Dass du auch irgendwie das Kind von unserem Vater bist.« – »Das ist keine Idee, das ist so.« Beim rasanten Austausch von Gehässigkeiten mit viel Wortwitz zwischen Nicola (Martina Ebm) und Bruder Philipp (Oliver Rosskopf) haben sich schon die ersten Dauerlacher eingegroovt.

In Elfriede Jelineks Meisterwerk »Die Liebhaberinnen« flippt eine Frau bei einem Udo-Jürgens-Konzert zu »Mathilda« so dermaßen aus, dass sie von wütenden Umsitzenden unter dem Konzertsessel gekielholt werden muss. Der Mann mit Lach-Tourette auf dem übernächsten Platz hatte Glück, obwohl er sich den ganzen Abend nicht beruhigen konnte und, ob der Hitzewallungen mit einem Fächer bewaffnet, selbst böse Anspielungen, etwa wenn Philipps jüdische Frau Judith (Silvia Meisterle) zynisch von »Schall und Rauch, der durch den Schornstein geht«, spricht, mit durchgehendem Kichern, Grölen, Kieksen, Glucksen und Schreien kommentierte.

Die Konflikte zwischen Judith und den anderen, insbesondere die Streitgespräche mit ihrer Schwägerin, sind intelligent konstruiert und sehr witzig gestaltet, hier ist Zwischenmenschliches sehr gut beobachtet. Antisemitismus ist eher eine Randnotiz, der Zwist ist privat und persönlich. Die nicht praktizierende Jüdin wird dabei, genau wie ihre Gegenspieler, in eine Ecke gedrängt, es werden Gräben ausgehoben, wo vorher höchstens Rinnsale waren. Eigentlich ein Lehrbeispiel, wie Menschen sich radikalisieren, wie Feindschaft entsteht.

Jedenfalls ein sehr gut gebauter Text, der den Schauspielern offenbar viel Spaß macht, insbesondere Martina Ebm und Silvia Meisterle spielen umwerfend.

Die Frage allerdings, wie moralisch es ist, sich mit Nazikunst zu bereichern, ist vielleicht bewusst realitätsfremd gewählt, damit beim Lachen sicher keine Scham entsteht. Wer findet schon im Nachlass einen möglichen Schatz, wer muss sein Gewissen befragen, ob er 120.000 Euro nehmen wird, wenn die Signatur auf dem Dachbodenfund nicht Anton Hiller, sondern tatsächlich Adolf Hitler bedeutet. Und wie unmoralisch wäre es denn tatsächlich, irgendeinem alten oder jungen Nazi so eine Stange Geld abzuknöpfen? Wem würde das schaden?

Man muss nicht konstruiert über Moral philosophieren, es gibt es so vieles, das vielen schadet. Vom Lebenswandel der umjubelten Superreichen, die auch noch gewählt werden, über das eigene egozentrische Festkrallen an Verhalten, das am Ende uns selbst zerstören wird, über das Ausrotten, Quälen und Auffressen von anderen Lebewesen bis hin zur Vernichtung von Menschen durch Kriege, Hunger und die Verweigerung von Hilfe. Und die Moral von der Geschicht’? Darüber lacht man nicht.

Nächste Vorstellungen: 9., 10., 11. November

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