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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 2 / Inland
Radioaktiver Abfall in der BRD

»Auch in Bayern gibt es geeignete Standorte«

Organisationen legen eigenen Report zur Lagerung radioaktiver Abfälle in der BRD vor. Ein Gespräch mit Helge Bauer
Interview: Gitta Düperthal
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Das Problem der Lagerung radioaktiver Abfälle ist bis heute ungelöst und wird es aller Voraussicht nach auch bleiben (Philippsburg, 16.11.2010)

Umweltschutz- und Antiatomorganisationen haben gemeinsam einen Atommüllreport verfasst. Sie bezeichnen die Zustände bei Zwischenlagerung als besorgniserregend. Welche drängenden Probleme gibt es?

Solange die Endlagersuche nicht beendet ist – damit ist erst nach dem Jahr 2100 zu rechnen –, wird radio- und hoch radioaktives Material ständig wieder in neue Zwischenlager verschoben. Grundsätzlich darf Atommüll aber nur noch einmal transportiert werden. Die Bundesregierung handelt nach dem Sankt-Florian-Prinzip: Nachdem sie die Lösungen lange verschleppt hat, kann es ihr jetzt offenbar nicht schnell genug gehen, ständig Transporte zu organisieren. All das findet unter strenger Geheimhaltung statt. Nach Spekulationen sollen um den 14. November herum Behälter mit hochradioaktivem Abfall aus dem französischen La Hague ins Zwischenlager des ehemaligen Atomkraftwerks Philippsburg im Landkreis Karlsruhe gebracht werden.

Das zuständige Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, kurz BASE, genehmigte den Transport im September. Philippsburg bietet mit einer Wandstärke von 75 Zentimetern und einer Deckenstärke von 55 Zentimetern keinerlei Sicherheit, weder bei Flugzeugabstürzen, noch bei Beschuss im Fall von terroristischen Anschlägen. Am Samstag, dem 9. November, wird es deshalb Kundgebungen in Karlsruhe und Philippsburg geben.

Welche weiteren Transportvorhaben sind Ihnen bekannt?

Ende des Jahres oder Anfang 2025 sollen in 152 Castoren 300.000 hoch radioaktive Brennelementekugeln von Jülich nach Ahaus transportiert werden. Die Route soll durch Städte in Nordrhein-Westfalen mit mehrstöckigen Häusern führen: an etwa 50 Transporttagen, etwa durch Oberhausen, Duisburg, Düsseldorf, Bottrop. Auch das ist ein Aufreger in der Bevölkerung.

Sie fordern die Bundesregierung auf, endlich sichere Atommüllpolitik zu betreiben. Wie stellen Sie sich das vor?

Wenn hoch radioaktiver Atommüll durch dicht bewohntes Gebiet rollt, für viele an der Haustür vorbei, ist das unnötig und gefährlich. Wir fordern, den Müll so lange in La Hague oder Jülich zu belassen, bis ein Endlager gefunden ist, und er direkt dort hingefahren wird. Die Gefahren sind während des Transportes durch Unfall- oder Terrorgefahr höher als im Lager.

Auch in Frankreich gibt es Widerspruch gegen die weitere Lagerung des strahlenden Mülls.

Selbstverständlich steht es in unserer Verantwortung, ihn zurückzunehmen. Es muss aber maximale Sicherheit für die Bevölkerung hergestellt werden. Eine Verschiebung birgt große Risiken. Die bisherigen Zwischenlager sollten so sicher wie möglich gemacht werden.

Kernkraftwerke würde der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gern weiter betreiben, Endlager will er nicht in Bayern.

Wir sollten mit den aktuell besten zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methoden einen möglichst sicheren Standort für den Müll finden. Dass die CSU aus dem Konzept ausscheren will, ist absurd. Unter dem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss war sie verantwortlich, dass Deutschland in die Atomkraft gestartet ist und Kraftwerke hier gebaut wurden. Insofern ist die Verantwortung in dem Bundesland sogar größer. Und freilich gibt es auch in Bayern geeignete Standorte!

Wie hilfreich ist Ihre Studie, um eine Lösung voranzutreiben?

Wir dokumentieren auf 468 Seiten eine lückenlose Auflistung: mit allen Standorten, die es einst gab, allen im Rückbau befindlichen, und allen, die es weiterhin geben wird. Im Grunde wäre es Aufgabe der Bundesregierung gewesen, sie zu erstellen. Die Frage der Zwischenlagerung findet aber aktuell weitgehend außerhalb der Öffentlichkeit statt. Wir legen den Finger in die Wunde.

Menschen sind kaum für Proteste zu mobilisieren, weil alle denken, Atomkraftwerke sind abgeschaltet, oder?

Das BASE hat die Aufgabe, die Beteiligung der Bevölkerung an der Endlagersuche sicherzustellen. Das Amt müsste informieren, damit sie beim Verfahren der Endlagersuche mitbestimmen kann. Zwar gibt es das Nationale Begleitgremium mit Wissenschaftlerinnen und ausgelosten Bürgervertretern, aus unserer Sicht muss aber die gesamte Öffentlichkeit Einfluss nehmen können.

Helge Bauer ist Referent für Atommüllfragen der Organisation Ausgestrahlt e. V.

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