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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Nordkorea

Prüfstand für Pjöngjang

DVRK: Kolloquium in Schweiz enthüllt unfreiwillig, welch große Rolle Menschenrechte in Nordkorea spielen
Von Martin Weiser, Seoul
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Blick in eine andere Welt: Touristen zu Besuch an der demilitarisierten Zone (Paju, 31.10.2024)

Am 7. November stellt sich die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) zum vierten Mal Fragen zu ihrer Menschenrechtspolitik als Teil der sogenannten Universal Periodic Review der UNO, bei der jedes Land alle fünf Jahre Rede und Antwort steht. Um noch einmal internationale Kritik zusammenzutrommeln, organisierte das südkoreanische Wiedervereinigungsministerium in der vergangenen Woche einen »Internationalen Dialog« in einem Genfer Luxushotel und lud alle möglichen rechten Menschenrechtskritiker aus Südkorea und dem Westen ein. Die Redebeiträge bestanden, nicht überraschend, praktisch nur aus Anschuldigungen und Bemerkungen, wie schlimm alles in Nordkorea sei.

Eine Vertreterin der südkoreanischen NGO »North Korean Human Rights Database« beschwerte sich sogar, dass Nordkoreaner keinen Zugang zur Internetseite des nordkoreanischen Verbands für Menschen mit Behinderungen hätten. Dass der Verband über eine Seite im nordkoreanischen Intranet und über E-Mail oder gar Telefon für jeden Nordkoreaner erreichbar ist, scheint diesen Leuten anscheinend nicht vorstellbar.

Ein kleiner Teil des zweitägigen Programms fiel dagegen komplett aus dem gewünschten Rahmen. Der im vergangenen Jahr aus Kuba übergelaufene Diplomat Ri Il Gyu (52) und der erste Diplomatenüberläufer Ko Yong Hwan (71) sollten einmal aus dem Nähkästchen plaudern, wie sehr sich die oberste Führung denn überhaupt für Menschenrechte interessiere. Der erste war für die Bewertung von Kim Jong Un zuständig, der zweite für Kim Il Sung und Kim Jong Il. Ko war seit 1979 im Außenministerium tätig und als Diplomat in Afrika, als er 1991 die Seiten wechselte. Er war dann lange Jahre im Institut des südkoreanischen Nachrichtendienstes, kurz sogar als Vizedirektor, und seit diesem Jahr leitet er die Akademie für Wiedervereinigungsbildung, während Ri sich noch im Geheimdienstinstitut seine Sporen verdienen muss. Man konnte also tiefe Einblicke ins Herrschaftswissen erwarten.

Es wurde auch schnell klar, dass man beim Geheimdienst anscheinend durchaus weiß, dass im Norden gegen Verletzungen der Menschenrechte im Strafvollzug vorgegangen und auf oberster Ebene großer Wert darauf gelegt wird. Der südkoreanischen Gesellschaft erzählt der Geheimdienst hingegen lieber nicht soviel davon. Dementsprechend versuchte man auf dem Podium schnell, das als bloßes strategisches Verhalten abzutun. Eine seit langem verwendete Taktik, um bloß nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, im Norden gebe es doch Menschenrechte und Leute unten wie oben, die sich für sie einsetzen. Gerne klopfen sich Menschenrechtsaktivisten dann noch auf die eigene Schulter, denn Nordkorea mache all das ja nur, weil man genug Druck gemacht habe. Ko etwa meinte, dass Menschen mit Behinderung nur in Pjöngjang leben könnten, weil man kritisiert habe, dass sie früher angeblich samt Familien in die Provinz verbannt wurden.

Laut Ko richtete Nordkorea irgendwann eine sogenannte Führungsgruppe für Menschenrechtspolitik ein, wollte aber nicht verraten, wann und wer darin war. Um 1984 erfuhr er dann von persönlichen Instruktionen Kim Jong Ils zum Schutz der Menschenrechte. Dass Nordkorea 1981 den Menschenrechtsverträgen beitrat und kurz darauf Amnesty International einlud, waren anscheinend nebensächliche Details. Kim Jong Ils Brief an eine Juristenkonferenz 1982 und die vielen Rehabilitierungen fälschlicherweise verurteilter Nordkoreaner und staatlichen Entschädigungen an sie und ihre Familien, die Kim Jong Il persönlich kurz darauf durchsetzte, sind durch nordkoreanische Quellen gut belegt. Von alldem liest und hört man in Südkorea aber überraschend wenig.

Bei Ri hieß es dann ohne Datum oder weiteren Kontext, Kim Jong Un habe die Devise »Menschenrechte heißt Souveränität« ausgegeben. Wie Ri erklärte, war damit gemeint, dass ohne Schutz der Menschenrechte auch die DVRK als Staat scheitert. Kurz darauf seien entsprechende Anweisungen an alle Sicherheitsorgane gefolgt. Es dürfte sich also um das Jahr 2009 handeln. In jenem Jahr wurde nicht nur der Schutz der Menschenrechte in die Verfassung geschrieben, auch gab der Verlag der nordkoreanischen Polizei damals ein Handbuch für Beamte heraus. Im Vorwort wurde gefordert, auch nicht im geringsten die Menschenrechte zu verletzen. Kim Jong Un bereitete sich damals für die Nachfolge vor und wurde laut offizieller Biographie im September 2010 zum Vizevorsitzenden der Militärkommission und zum Mitglied des Zentralkomitees der Arbeiterpartei gewählt.

Es war nicht das erste Mal, dass jemand aus dem Dunstkreis des südkoreanischen Geheimdienstes solche Informationen preisgab, nur um zu untermauern, wie empfindlich die DVRK auf Kritik reagiere. Im November vergangenen Jahres strahlte der Medienkanal des Verteidigungsministeriums in Seoul ein Interview mit dem Überläufer An Myong Chol (55) aus, der laut eigenen Angaben ab 1987 in mehreren Gefängnissen für politische Gefangene als Wachmann angestellt war, bis er im Oktober 1994 überlief. In dem Interview offenbarte er, dass Kim Jong Un eine »Spezialanordnung« ausgegeben habe, dass kein politischer Häftling sterben dürfe und Todesfälle entsprechend dokumentiert werden müssten. Wie An Myong Chol an diese Information kam und wann genau diese Anweisung ausgegeben wurde, ließ er natürlich offen. Schließlich war sein Punkt, lediglich zu zeigen, welche tollen Auswirkungen die Arbeit von ihm und anderen Aktivisten angeblich habe.

Hintergrund: Korrigierte Fehler

Dass Kim Jong Il anscheinend ein großes Interesse hatte, Unrecht im eigenen Land aufzuarbeiten, war eigentlich früh bekannt. 1994 veröffentlichte die sogenannte Jungfreundpartei des Himmlischen Wegs, eine der drei Parteien in der Demokratischen Volksrepublik Korea, ein Büchlein, in dem davon berichtet wurde. Darin konnte man lesen, wie er Anfang 1983 eine Petition über eine falsche Verurteilung eines Mitglieds dieser Blockpartei zweieinhalb Jahrzehnte zuvor bis zu Kim Il Sung getragen hatte, der dann feststellte, man habe nicht nur in diesem Fall wahrscheinlich zu viele gute Menschen verurteilt. Damals hatte eine kleine Gruppe im Zentralkomitee der Arbeiterpartei versucht, Kim Il Sung abzusetzen, wogegen sich kurz darauf auch in den Blockparteien Widerstand formierte. Im Zuge der politischen und juristischen Auseinandersetzung gerieten dann nicht überraschend auch viele Unbeteiligte in Mitleidenschaft. Das passte auch zu bereits kursierenden Anekdoten, wonach Kim Jong Il sich gegen Benachteiligungen wegen alter Verfehlungen, religiösen Glaubens oder, wie es hieß, »komplizierten« Hintergrunds verwahrt habe.

Im Mai 2022 erschien auf der Internetseite der Kim-Il-Sung-Universität ein ähnlicher Text, sogar in englischer Übersetzung. Demnach habe Kim Jong Il im Oktober 1984 die Rakwon-Maschinenfabrik in der Grenzprovinz Nordphyongan besucht und empfohlen, dass mehrere Arbeiter dort für ihre Leistungen der Arbeiterpartei beitreten dürften. Ein hoher Kader wies ihn dann aber besorgt auf die »komplizierten Familiengeschichten« hin, da bei vielen Einwohnern der umliegenden Gemeinde im Koreakrieg Angehörige für Landesverrat hingerichtet worden waren. Kim Jong Il ließ sich einen Bericht erstellen. Demnach hatte man Hunderte Arbeiter und Bauern als Verräter hingerichtet, obwohl dieses Gebiet nicht einmal vom Süden besetzt war. Das reichte Kim Jong Il, um die Todesurteile aufzuheben und die Hinterbliebenen zu rehabilitieren. (mw)

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