Neubaudesaster der Ampel
Von Oliver RastDie Zusammenkunft überrascht: »Herr Siebenkotten, was ist das denn für ’ne bizarre Liaison?« wollte der jW-Autor beim Begrüßungshandschlag wissen. Der Präsident des Deutschen Mieterbunds (DMB) stockt kurz, blickt auf – und sagt: »Das ist nicht das erste Mal, dass wir mit ›Haus und Grund‹ eine Pressekonferenz machen.« Beide Verbände orientierten sich an der Sache. Wie am Montag vormittag in den Räumen des DMB-Dachverbands in einer Etage eines mehrstöckigen, gläsernen Bürokomplexes in Berlins Mitte.
Die Sache ist die: Die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist dramatisch. Dezent formuliert. Bloß, der Befund ist längst bekannt. Auch, dass die Ampelkoalition gescheitert ist, vertragsgemäß zu handeln. Kläglich. 400.000 Wohneinheiten sollten gebaut werden, ein Viertel davon öffentlich gefördert. Nichts da. Unter dem Strich waren es 2023 nicht einmal 300.000, weniger als ein Drittel davon klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen. Deshalb brauche es den »Kurswechsel für eine zukünftige Wohnungspolitik« steht über dem dreiseitigen Forderungspapier des konferierenden Verbändeduos.
Wenige Sekunden nach 11 Uhr, Start der PK, Start des digitalen Zooms. Siebenkotten legt nach der Vorstellungsrunde gleich los. Die Regierung sei nicht nur beim Neubau meilenweit von den eigenen Vorgaben entfernt. Schlimmer noch, es gebe eine Abwärtsspirale. Was tun? Einiges. Zunächst brauche es ein »Zinsverbilligungsprogramm«. Also, Bauzinsen runter, damit Bauen günstiger wird. Ferner müsse, so der DMB-Präsident weiter, »Bauland mobilisiert werden.« Nur mit ausreichend Fläche für Wohnraum, besonders in Ballungsräumen, sei zweierlei möglich: hohe Nachfrage decken, Preise deckeln. Und nicht zuletzt müssten etwa Anteilskäufe von Hedgefonds an Wohnungsfirmen stärker eingeschränkt werden. Mittels »Share Deals« lasse sich die Grunderwerbssteuer umgehen, den Haushalten der Länder und Kommunen entgingen so rund eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen. Jährlich. In dieselbe Kerbe schlägt Kai H. Warnecke, der Präsident von Haus & Grund.
Dem Zentralverband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer sind internationale Investoren ein Dorn im Auge. Die interessierten sich nicht für Bewohner, Kiez und Stadtentwicklung, weiß Warnecke. Kein Ausverkauf des deutschen Immobilienbestands also. Ihn stört noch mehr. Der bürokratische Aufwand, umfangreiche Vorschriften bei Genehmigungsverfahren. »Das sind hohe staatlich verursachte Kosten.« Und absurd seien zahlreiche DIN-Normen im Bauwesen. Beispiel – Warnecke: »Warum muss ein Kinderzimmer von zwölf Quadratmetern acht Steckdosen haben?«
Gute Frage, Fragerunde für die Journalistenschar. Der jW-Autor beginnt, leicht angesäuert, aber höflich: »Schön und gut, noch ein Papier mit vielen bekannten Forderungen. Nur, an wen adressieren Sie die Punkte?« Siebenkotten übernimmt. Ganz klar, an die Ampel, an die Fraktionen, an die Länderchefs. »Wohnen ist existenziell, braucht einen höheren Stellenwert bei politisch Verantwortlichen.« Warnecke sekundiert. Mehr als nur ein »Ruck« sei nötig, der gordische Knoten in der Bau- und Wohnungspolitik müsse durchtrennt werden. Endlich. Siebenkotten nickt.
Ein Bonbon haben DMB und Haus & Grund noch. Die Vorstellung eines Genossenschaftsprojekts ihrer Lokalstrukturen in Bonn, gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie. Ein Neubau mit 55 barrierearmen, preisgebundenen Wohneinheiten, erläutert der Aufsichtsratsvorsitzende der Genossenschaft und langjährige SPD-Landtagsabgeordnete in NRW, Bernhard von Grünberg. Eine Art Pilot, eine Blaupause für weitere solcher Bauten, regional, überregional, bestenfalls bundesweit.
Zurück zum amourösen Techtelmechtel der Verbände. Warnecke kann – ähnlich wie Siebenkotten – nichts Schlechtes daran finden. Schließlich seien 98 Prozent der Mieter-Vermieter-Verhältnisse konfliktfrei, meint er. Hm, der DMB-Präsident erinnerte dann doch dran: »Für gewöhnlich stehen wir auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade.«
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