Sorry mit Hintergedanken
Von Jürgen HeiserNative Americans waren bei der US-Wahl 2020 in wichtigen Bundesstaaten entscheidende Wählergruppen. Zu diesen zählt auch Arizona, wo US-Präsident Joseph Biden im Endspurt des Wahlkampfs seinen ersten diplomatischen Besuch bei einer First Nation absolvierte und ein bisher von US-Regierungen nicht gekanntes Zeichen setzte. Mit den Worten »Ich entschuldige mich in aller Form als Präsident der Vereinigten Staaten« bat er in der Reservation der Gila River Indian Community nahe Phoenix um Verzeihung für das Leiden, dem Tausende Kinder der indigenen Ureinwohner der USA von 1819 bis 1969 ausgesetzt waren.
Das landesweite System der staatlichen Federal Indian Boarding Schools entriss sie ihren Familien und steckte sie in Umerziehungsinternate, um ihnen ihre indigene Identität und Kultur auszutreiben und sie an die weiße Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Die Mehrzahl dieser Internate wurde in die Hände der katholischen und anderer christlicher Kirchen gelegt. Auf seiner »Pilgerreise der Buße« hatte Papst Franziskus 2022 in Kanada die Greueltaten des Internatssystems als »Völkermord« definiert.
Biden besuche »Indianerland«, um »Unrecht wiedergutzumachen und einen neuen Weg in eine bessere Zukunft für uns alle zu beschreiten«, zitierte ihn die Lakota Times. Sein Schritt sei »lange überfällig« gewesen. Zahlreiche Überlebende der Boarding Schools und ihre Familien nahmen an der Veranstaltung teil. Kinder, die in Internate geschickt wurden, seien »emotional, körperlich und sexuell missbraucht und zu harter Arbeit gezwungen« worden, erklärte Biden. Es habe Zwangsadoptionen und »viele, viele Todesfälle« gegeben. Die 150 Jahre währende Zwangsdeportation der Kinder in etwa 400 solche Einrichtungen sei »eines der schrecklichsten Kapitel in der amerikanischen Geschichte«. »Wir sollten uns schämen«, sagte er und zitierte einen Überlebenden, der täglich misshandelt wurde, wenn er in seiner Sprache redete. Als den »ultimativen Amerikanisierer« bezeichnete diesen Alltag aus Züchtigung und Zwangsarbeit der zuvor in den sogenannten Indianerkriegen aktive US-General Richard Henry Pratt, 1879 Gründer einer »Industrieschule für Indianerkinder« in Carlisle, Pennsylvania.
Was trieb nun den in zwei Monaten scheidenden US-Präsidenten dazu, die Internate »eine Sünde auf unserer Seele« zu nennen? Seine Antwort: »Wir müssen das Gute und das Schlechte kennen, die Wahrheit darüber, wer wir als Nation sind.« Das zeichne große Nationen aus, sagte er. Und: »Wir sind eine große Nation. Wir sind die größte aller Nationen!« Die USA löschten ihre Geschichte nicht aus, »wir schreiben Geschichte, wir lernen aus der Geschichte und erinnern uns, damit wir als Nation heilen können«. Zwischenruf aus dem Publikum: »Wie kann man sich für einen Völkermord entschuldigen, während man in Palästina einen Völkermord begeht?« Bidens Wendung von einem Schuldbekenntnis zu einer nationalistischen Beschwörung der »Größe Amerikas« ist typisch für die Ignoranz Washingtons.
Ihr widersetzte sich Innenministerin Debra Haaland, als Laguna Pueblo die erste Indigene im Kabinett eines US-Präsidenten, als sie 2021 eine Kommission zur Untersuchung der Fälle beauftragte. Sie dokumentiert in ihrem Bericht die Fälle von mehr als 18.000 indigenen Kindern, von denen 973 getötet wurden. Sowohl der Bericht als auch unabhängige Forscher gehen davon aus, dass die Gesamtzahl viel höher ist.
Von »Stimmenfang« sprachen die United American Indians of New England (UAINE) im Hinblick auf Zeitpunkt und Ort von Bidens Rede zwei Wochen vor den US-Wahlen in einem »Swing State« mit fünf Prozent indigenem Bevölkerungsanteil. Opfer wie die in einem Internat in South Dakota misshandelte Rosebud Sioux Rosalie Whirlwind Soldier (79) und Aktivistinnen wie Cheryl Crazy Bull von den »unterfinanzierten Stammeshochschulen« erklärten, Bidens Entschuldigung sei nicht genug. »Eine ganze Generation von Menschen und unsere Zukunft wurden zerstört.« Die Internatspolitik sei kein »Schrecken der Vergangenheit«. Viele der Opfer lebten noch, erklärte Angelique Albert vom »Native Forward Scholars Fund«. Da müsse mehr kommen. »Reparationen« für die »familienfeindliche und Völkermordpolitik der USA« fordert die UAINE. »Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit der Landrückgabe. Und lasst Leonard Peltier frei!«
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