Plündern
Von Helmut HögeEs gibt Plünderungen von oben und Plünderungen von unten. Die von oben sind weiter verbreitet. Navid Kermani berichtet in seinem Reisebuch »In die andere Richtung jetzt« (2024) von ostafrikanischen Ländern, in denen es beide Formen des Plünderns gab und gibt. Über Grande Comore, Hauptinsel der seit 1975 unabhängigen Komoren, schreibt er: »Die Stimmung ist am Boden, gerade dieser Tage sind Proteste gegen die Zentralregierung aufgeflammt, Krawalle, Plünderungen.«
Zu Madagaskar, ebenfalls mal eine französische Kolonie, notiert Kermani: Der Staat, das »ist eine Elite, die von der Kolonialherrschaft das Plündern übernommen hat. Eigentlich wäre Madagaskar ein reiches Land, es hat Vanille, Mineralien, Gold, Saphir, es hat phantastische Nationalparks, endlose Strände, die größte Artenvielfalt der Welt. Noch Ende der sechziger Jahre waren die Menschen hoffnungsfroh.« Einige gesellschaftliche Bereiche »entwickelten sich für nachkoloniale Verhältnisse ziemlich gut, allerdings waren da noch kaum Bodenschätze entdeckt, von denen eine verschwindende Minderheit um so ungenierter lebt.«
Über Madagaskar schreibt die Biologin Rebecca Gehrig in ihrem Erfahrungsbericht »Der Ruf der Lemuren« (2024): »Die Franzosen ließen in vielen Bereichen eine ausgebrannte Insel zurück, die Regierung machte nach Ausrufung der Unabhängigkeit 1960 gerade so weiter. Nur eine Spur korrupter. Eine kleine Elite bereichert sich auf Kosten der Bevölkerung. Der Ausverkauf ging munter weiter – und geht immer weiter.« 90 Prozent des Waldes sind bereits vernichtet. Gehrig traf drei Vietnamesen, die dort waren, um eine Schiffsladung Edelhölzer in ihr Land zu bringen, wo sie zu Möbeln verarbeitet werden. Im Süden Madagaskars brach 2021 die erste von der UNO ausgerufene »klimabedingte Hungersnot« aus.
In Falko Hennigs erstem Buch »Alles nur geklaut« (1999) las ich, dass sein Vater Sportlehrer in Ludwigsfelde war und ständig irgendwas aus der Schule nach Hause schleppte. Seine Frau bekam irgendwann Angst, er beruhigte sie mit den Worten: »Ach was, Honecker hat doch selbst gesagt, dass wir noch viel mehr aus unseren Betrieben rausholen können.«
In New York kam es 1965 und 1977 zu zwei »Blackouts« (Stromausfällen). Der erste bewirkte neun Monate später einen Babyboom, der zweite führte zu Plünderungen durch Unter- und Mittelschicht. Die Unterschicht konzentrierte sich auf Fernseher und ähnlich große Dinge. Die Mittelschicht plünderte Schmuck- und Uhrenläden. Die Preziosen versteckten sie am Körper, so dass die Polizei sie als Unbeteiligte davonkommen ließ.
Die Armen plündern meist aus Not, die Reichen aus »Gier«, wie ein armer Fischer gegenüber Navid Kermani meint. »Vor allem bricht mit den Bodenschätzen der ungeschriebene Vertrag zwischen Regierenden und Regierten zusammen, weil der Staat nicht auf Besteuerung angewiesen ist, um sich zu finanzieren, und damit auch nicht auf die Zustimmung des Volks.«
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