Was einmal zerstört ist
Von Raphael MolterAm Dienstag (29.10.) hat das Amtsgericht Karlsruhe in erster Instanz drei Mitarbeitende eines örtlichen Fanprojekts wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung zu jeweils vierstelligen Geldstrafen verurteilt. Nach zwei Verhandlungstagen folgte das Gericht damit weitgehend der Staatsanwaltschaft, die im Abschlussplädoyer etwas höhere Geldstrafen gefordert hatte. Die Verteidigung kündigte bereits an, in Berufung zu gehen. Die Sozialarbeiter hatten die Aussage gegen Mitglieder einer Ultragruppierung verweigert, um das Vertrauensverhältnis zu den Fans nicht zu gefährden. Was einmal zerstört ist, lässt sich nur schwer wieder aufbauen.
Es ist die nächste Runde staatlicher Verfolgung nach einem Pyrotechnikeinsatz an einem Sonnabend nachmittag im November 2022. Der Karlsruher SC sicherte sich vor knapp zwei Jahren in einem verrückten Spiel ein 4:4-Unentschieden gegen den FC St. Pauli. Die 2002 gegründete Ultragruppe »Rheinfire« (KSC) nahm das Spiel zum Anlass, um ihr 20. Jubiläum zu feiern. Der Block war einheitlich mit blauen Zetteln versehen, am Zaun wurde ein Banner mit dem Spruch »Raufen, saufen, Händel suchen« mit notiertem Gründungsjahr präsentiert und eine Blockfahne in Form des Gruppenlogos gezeigt. Zum Abschluss des Intros wurden die verhängnisvollen Rauchtöpfe in Blau und Weiß gezündet, dazu gab es Feuerwerk aus der Kurve. Einige Menschen beklagten Verletzungen aufgrund der starken Rauchentwicklung im Stadion.
Die Sozialarbeiter des Karlsruher Fanprojekts schufen anschließend einen geschützten Raum zur Aufarbeitung der Ereignisse, konnten somit also ganz im Sinne ihres Auftrags bei der Konfliktklärung helfen, ohne Polizei und Justiz einzuschalten. Konträr dazu steht das staatliche Handeln: So wurden mittlerweile zwei KSC-Ultras (vorläufig) zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt, übrigens ohne Nachweis einer direkten Tatbeteiligung. Auch das Fanprojekt geriet ins Fadenkreuz der Ermittler. Durch Vorladungen und später mit dem Vorwurf der Strafvereitelung versuchte die Karlsruher Staatsanwaltschaft, an vertrauliche Informationen zu gelangen.
Sozialarbeiter können sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, auch nicht im Kontext organisierter Fußballfans. Ein solches fordert das Bündnis für Zeugnisverweigerungsrecht (BfZ) seit Jahren. Entsprechend schockiert zeigte sich BfZ-Sprecher Georg Grohmann nach Urteilsverkündung: »Wir müssen von einer eklatanten Bedrohung der sozialen Arbeit insgesamt sprechen.«
Die Bundesregierung sieht das anders, wie eine kleine Anfrage aus den Reihen der Fraktion Die Linke Anfang des Jahres zeigte. In seiner Antwort positionierte sich das oberste Exekutivorgan des Staats gegen die Ausweitung des Verweigerungsrechts und begründet diese Linie mit dem Argument, dass die Tätigkeit von Mitarbeitenden in Fanprojekten »nicht dem der Strafprozessordnung zugrundeliegenden Verständnis von Berufsgeheimnisträgern« entspreche.
Politische Unterstützung für soziale Arbeit im Kontext organisierter Fußballfans ist schwer zu finden. Der Umgang mit dem Thema ähnelt dem mit der Migration. Der Politik dienen Fußballfans gerne als Sündenböcke – da geben sich die bürgerlichen Parteien von AfD bis SPD wenig, wie zuletzt der Sicherheitsgipfel (18.10.) wieder zeigte.
Will man die Ursachen dieser Dynamik beseitigen, sollte man sich nicht auf simple Appelle an die Herrschenden beschränken. Es ist zwecklos, der Bundesregierung im allgemeinen oder Justizminister Buschmann im speziellen vorzuwerfen, nicht die Konsequenzen ihrer Entscheidungen in der Praxis zu verstehen. Sie wissen genau, was sie tun. Der Beschluss, Sozialarbeiter im Fußballkontext nicht besser zu schützen, führt eine Linie der Sozialarbeitsbekämpfung fort, die bereits in der Frage der Finanzierung der Fanprojekte deutlich wurde. Man darf wohl mit Recht vermuten, dass politische Einschüchterung und Diskreditierung das Ziel sind.
Mathias Stein, ebenfalls Sprecher des Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht, betont, dass es sich die Fanprojektmitarbeitenden nicht erlauben können, Ruhe zu geben. Doch es trifft nicht nur sie. Die Verurteilungen sind Teil einer Vielzahl staatlicher Repressionen gegen organisierte Fußballfans und ihre Helfer insgesamt. Den staatlich organisierten Rechtsruck, das prognostizierte »Ende der politischen Liberalisierung« (A. Fisahn) – wir sehen sie auch im Fußball.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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