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Aus: Ausgabe vom 06.11.2024, Seite 2 / Inland
Proteste für Gaza

»Viele Studierende haben Strafbefehle erhalten«

Autoritärer Umbau der Universitäten: Repression gegen Protest auf dem Campus. Ein Gespräch mit Bene A.
Interview: Annuschka Eckhardt
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Brutal wurde die Besetzung an der Freien Universität von der Polizei geräumt (Berlin, 14.12.2023)

Ende Oktober sollte im Amtsgericht Tiergarten das zweite Strafverfahren wegen Teilnahme an der Hörsaalbesetzung an der Freien Universität Berlin am 14. Dezember 2023 verhandelt werden. Ein Student wurde dabei des Hausfriedensbruchs beschuldigt. Warum fand der Prozess nicht statt?

Die Hörsaalbesetzung im Dezember 2023 wurde durch die Polizei auf Veranlassung des Universitätspräsidenten Günter Ziegler durch Räumung beendet. Die FU hatte Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch gestellt und wäre beim Strafverfahren theoretisch als Nebenklägerin aufgetreten. Von der Universitätsleitung ist aber niemand erschienen, laut Gericht war die Verhandlung deshalb nicht möglich. Daraufhin wurde dem Angeklagten angeboten, das Verfahren einzustellen, unter der Auflage einer Zahlung von 200 Euro an einen gemeinnützigen Verein. Das zeigt uns, dass die Justiz versucht, die politische Prozessführung, die angestrebt wurde, klein zu halten. Der Angeklagte hat sich gegen die Zahlung entschieden und steht zu seinen politischen Aktionen und Standpunkten.

Warum ist Ihnen eine politische Prozessführung in diesen Fällen so wichtig?

Nach mehr als einem Jahr Genozid in Gaza gibt es dort keine einzige Universität mehr. Hierzulande sehen wir, dass die Justiz ganz klar politisch handelt und in ihrer Funktion die aktuellen politischen Verhältnisse absichert. Es haben viele Studierende Strafbefehle erhalten. Zwei Gerichtsverfahren haben bis jetzt stattgefunden, aber es sind etliche weitere terminiert. Diese verschärften Repressionen finden nicht isoliert an den Universitäten statt, sondern auch auf der Straße durch die Kriminalisierung palästinasolidarischer Proteste. Demo- und Veranstaltungsverbote werden verhängt, Hausdurchsuchungen durchgeführt, der Kultur- und Sozialbetrieb angegriffen – die Liste der repressiven Maßnahmen ist lang.

Studentischer Protest hat an der FU eigentlich Tradition. Warum fürchten sich Stadt, Staat und Unileitung so sehr?

Die FU schmückt sich ständig mit der Geschichte des studentischen Protests, der einen Teil der Gründungsgeschichte der Universität bestimmt. Gleichzeitig sehen wir, wie Präsident Ziegler beispielsweise vor dem Akademischen Senat inzwischen davon ausgeht, dass Besetzungen kein geeignetes Mittel der Kommunikation oder des Protests seien. Es werden also öffentliche, universitäre und aus unserer Sicht eben auch studentische Räumlichkeiten für Aushandlungsprozesse verschlossen.

Deutsche Universitäten stehen unter einem enormen politischen Druck. Dafür ist die Besetzung der Humboldt-Universität ein gutes Beispiel: Unipräsidentin Julia von Blumenthal hatte nach einem Anruf vom Berliner Polizeipräsidium und aus oberen Reihen des Senats eine Entscheidung für die Räumung getroffen, sich dem Druck also gebeugt.

Stichwort Hochschulgesetz: Welche Rechte von Studierenden werden seit vergangenem Jahr verstärkt beschnitten?

Ein Symptom des autoritären Umbaus der Universitäten ist die Verschärfung des Hochschulgesetzes und die damit einhergehende Möglichkeit von Zwangsexmatrikulation. Stark beschnitten wurde das Recht auf Protest. Polizisten strömten zu Dutzenden auf die Campi. Diese Polizeipräsenz und auch die Polizeigewalt, die wir in den vergangenen Monaten auf dem Campus beobachten mussten, haben das Sicherheitsgefühl für Studierende an der Uni gemindert, natürlich sind migrantische und von Rassismus betroffene Studierende davon noch mal exponentiell stärker betroffen. Darüber hinaus sehen wir, dass freie Meinungsäußerungen, aber insbesondere auch kritische Lehre und kritisches Studieren extrem unter Beschuss sind.

Staatsräson in den Unis – wie ist die Situation für Studierende ohne EU-Pass?

Die Staatsräson wird als ideologischer Kitt dafür verwendet, dass insbesondere Studierende ohne EU-Pass den Repressionen noch mal auf verschärfte Weise ausgesetzt sind. Die Universitäten bedienen sich des systematischen Rassismus des europäischen Grenzregimes. Für palästinasolidarische Studierende ohne EU-Pass kann der Aufenthaltstitel durch offene Strafverfahren bedroht werden. Deshalb fordern wir vor allem, dass die Universitäten alle Strafanzeigen fallen lassen, ein Ende der Polizeipräsenz auf unseren Campus und die Rücknahme der Wiedereinführung des Ordnungsrechts im Hochschulgesetz.

Bene A. ist Sprecherin von »Hands off Student Rights«, einer Kampagne gegen Zwangsexmatrikulation und Repressionen an Universitäten

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