Oben und unten in Cali
Von Sara Meyer, CaliDie UN-Artenschutzkonferenz unter dem Motto »Frieden mit der Natur« hat erstmals den Wert indigenen und afrokolumbianischen Wissens betont: 80 Prozent der globalen Biodiversität befinden sich in den Gebieten dieser Völker. Viele Delegierte dieser Gemeinschaften feierten im kolumbianischen Cali, dass ihre Kenntnisse und Überlieferungen endlich Anerkennung finden.
Ein bedeutender Beschluss war die Einrichtung eines Fonds zur fairen Verteilung der Gewinne aus digital verfügbaren genetischen Daten. Unternehmen der Pharmaindustrie, Lebensmittelherstellung, Kosmetik sowie Pflanzen- und Tierzucht, die von genetischen Informationen profitieren, sollen ein Prozent ihres Gewinns oder 0,1 Prozent ihres Umsatzes in den Fonds einzahlen. Das gilt jedoch nur für Großunternehmen, die über fünf Millionen US-Dollar Gewinn oder 50 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr erzielen. Obwohl die Zahlung freiwillig ist, geht die UNO davon aus, dass jährlich rund eine Milliarde Dollar zusammenkommen wird. Als die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad bekanntgab, dass der Vorschlag, indigenen Gemeinschaften mit einem ständigen Ausschuss mehr Gewicht zu verleihen, angenommen wurde, brach Jubel aus. Ihre Vertreter und Unterstützer umarmten sich, sangen und feierten diesen historischen Schritt.
Während in der »blauen Zone« etwa eine halbe Stunde außerhalb des Zentrums von Cali Regierungsvertreter verhandelten, fand mitten in der Stadt eine andere Art von Konferenz statt: die »COP des Volkes«. Hier versammelten sich indigene und afrokolumbianische Führungspersönlichkeiten, lokale Aktivisten und Händler. Sie nutzten die Gelegenheit für Diskussionen, kulturelle Veranstaltungen und den Verkauf von Kunsthandwerk. Trotz heiteren Musikprogramms war die Stimmung getrübt: Viele fühlten sich von den eigentlichen Verhandlungen ausgeschlossen und bemängelten die Distanz zwischen den Entscheidungsträgern und der Basis.
»Niemand aus der blauen Zone interessiert sich für das, was hier bei uns passiert«, beschwerte sich ein indigener Führer aus der stark von Konflikten betroffenen Region Cauca im Gespräch mit jW. »Ich kam zur COP 16 in der Hoffnung, dass man uns zuhören würde. Doch am Ende war es nur eine große Party, bei der weder Natur- noch von Umweltschutz eine Rolle spielten«, musste auch Esteban Manzano konstatieren. Der Umweltaktivist aus der Nähe von Cali setzt sich für saubere Flüsse und gegen die Verschmutzung durch Zucker- und Milchindustrie ein – er zeigte Videos verschmutzter Flüsse voll toter Fische und Biber. »Die Unternehmen entledigen sich ihres Mülls illegal in der Nacht«, erzählte er, »niemand schwimmt mehr in diesen Gewässern, und Trinkwasser liefern sie auch nicht. Statt dessen kaufen wir unser Wasser in Plastikbeuteln von Unternehmen wie Pepsi und Coca-Cola.« Ein Protest seiner Gruppe wurde von der Polizei gestoppt.
Dennoch sahen viele Teilnehmende aus der »grünen Zone« das Treffen als wertvolle Gelegenheit, Netzwerke zu knüpfen. Luis Acosta, Koordinator der indigenen Wache und Vertreter der größten indigenen Organisation Kolumbiens (ONIC), betonte, wie bedeutend diese Vernetzung für den gemeinsamen Kampf ist. Ebenso wichtig: die Vielfalt zu zeigen. So präsentierte sich jede Region in Holzhütten und bot ihre Produkte an, darunter Kaffee, Kakao, Kunsthandwerk und Heilpflanzen. Gleichzeitig erlebten viele lokale Künstler die COP 16 als Enttäuschung. Sie seien ignoriert worden, erklärte etwa der Sprecher des Künstlerkollektivs Casa de Burbuja. »Nur eine einzige Künstlerin durfte ihre Werke ausstellen, weil sie Beziehungen zur Stadtregierung hatte.« Ein anderer beklagt sich: »Die Konferenz war eine finanzielle Chance, die an uns vorbeiging.«
Auch die Präsenz von 4.000 Polizisten und 1.600 Soldaten stieß auf ein geteiltes Echo. Für einige Besucher bedeutete das Sicherheit, für andere war es eine gezielte Kontrolle im Sinne der ausländischen Gäste. Cali sollte den internationalen Ruf Kolumbiens als »gefährliches Drogenland« hinter sich lassen. Es schien, als sei das Stadtbild für die Konferenz bereinigt worden, weder Obdachlose noch Straßenverkäufer waren zu sehen. »Kolumbien hat alles dafür getan, einen guten Eindruck zu hinterlassen«, resümierte Manzano, »aber dabei die wahren, alltäglichen Probleme ignoriert.« Allein am Abschlusswochenende wurden zwei junge Männer in der Umgebung von Cali Opfer von Bandenkriminalität – eine bittere Realität, die die Gäste nicht zu Gesicht bekamen.
Hintergrund: Rahmen ohne Biss
Die COP 16 vom 21. Oktober bis zum 1. November in Cali, Kolumbien, war die 16. Sitzung der Konferenz der Vertragsparteien (Conference of the Parties, COP) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD). Beim letzten COP-CBD-Treffen im Dezember 2022 wurde der wegweisende Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal verabschiedet. Damit wurde unter anderem das Ziel festgelegt, 30 Prozent der Erdoberfläche bis 2030 effektiv unter Schutz zu stellen und mindestens 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederherzustellen. Bisher haben jedoch nur 30 der 196 Vertragsstaaten detaillierte Pläne vorgelegt, um die insgesamt 23 Ziele zu erreichen.
Die COP 16 diente unter anderem als Plattform, um die Umsetzung des Kunming-Montreal-Abkommens zu überprüfen und voranzutreiben. Als Achillesferse erwies sich dessen Finanzierung, über die keine Einigung erzielt werden konnte. Die reicheren Länder hatten sich zu einem jährlichen Beitrag von 20 Milliarden US-Dollar ab 2025 verpflichtet, der bis 2030 auf 30 Milliarden steigen soll. Die meisten Staaten halten ihre finanziellen Zusagen aber bisher nicht ein.
Kolumbien ist einerseits eines der artenreichsten Länder der Erde und beheimatet einen Teil des Amazonasregenwaldes und zahlreiche einzigartige und global bedeutende Ökosysteme. Auf der anderen Seite gibt es Entwaldung, illegalen Bergbau und Druck, Ressourcen wirtschaftlich zu nutzen. Im Rahmen der COP 16 betonte der Gastgeber die Bedeutung indigener Völker für den Schutz der Natur und sprach sich für deren Rechte und Beteiligung aus, mit Erfolg: Zukünftig soll es ein Gremium geben, das spezifisch indigene Interessen vertritt. (ek)
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