Formen und verformen
Von Ken MertenJederorts Chaos, allenfalls Katastrophen: Die Welt ist so aus den Fugen wie eh und je. Enis Maci und Pascal Richmann haben mit »Pando« nun den entsprechenden Roman geschrieben, benannt nach einer im Fishlake National Forest im US-Bundesstaat Utah stehenden Klonkolonie aus Amerikanischen Zitterpappeln. Soll heißen: Das Kuddelmuddel ist vernetzt, denn auch die Pappeln sind als Rhizom unterirdisch miteinander verbunden, und also sind alle Pappeln genau eine Pappel.
Eine einende Liebe gibt es auch: die zwischen Hans und Reja. Eine Liebe, die allem zum Trotz ist und immer sein wird, wie das aus dem Kehrreim von Didos Song »White Flag« entlehnte Motto vorab klarstellt. »Als Hans und Reja zu heiraten beschließen, in einer Eckkneipe, die Destille heißt, jubeln die Spieler an den Automaten ihnen zu. Und plötzlich – drei Kirschenpaare. Manni mit den Tränensäcken ist außer sich.« Im Ruhrgebiet beschlossen, in den USA getraut: Die beiden finden zueinander. So auch Dennis Rodman und Kim Jong Un, Jürgen Elsässer und die Antideutschen oder Jürgen Elsässer und der Faschismus. Dazwischen: Uiguren (Uiuiui!), Klima (Ach, du Elend!), Mormonentum, Verschwörungswahn und Moctezumas Schatz.
Stellenweise liest sich der Roman wie die Fortsetzung von Richmanns Langessay »Über Deutschland, über alles« (Hanser-Verlag 2017), in dem in Heinescher Tradition Deutschland bereist und Deutschtümelei bloßgestellt wird; der 1970 in Hildesheim geborene spätere NPD-Vorsitzende Holger Apfel zieht darin als kleiner Pimpf dem gleichenorts 1974 verstorbenen Oskar Schindler im Krankenhaus den Stecker. Das hat er natürlich nicht, aber Autoren, wie es in »Pando« heißt, »formen und verformen« die Welt. Nicht nur die: »Von falscher Arbeit verformte Körper« schlurfen da bucklig und auf Klumpfüßen durch den Dortmunder Hauptbahnhof. Über Generationen von Inzest gezüchteter Adelsnachwuchs weist am Kinn eine »Unform« auf, und unsportliche Jugendliche mit ihren »deformierten Teenagerkörpern« stopfen Doritos in diese.
Maci und Richmann haben für ihr gemeinsames Romandebüt die freie Form gewählt: Es geht hin und her, wird teils seitenweise zitiert (u. a. Elsässers gut gealterte germanophobe Inauguraladresse »Weshalb die Linke antideutsch sein muss« aus dem Arbeiterkampf, die sich nunmehr noch mehr loco liest als zu ihrer Verfassung 1990) und historisch bis zur Unterjochung der südamerikanischen Kulturen durch spanische Konquistadoren und den wenig Mitleid evozierenden Leiden Heinrich des VIII. zurückgegangen. Nur in die Zukunft trauen sich die Autorin (die 2023 gemeinsam mit Mazlum Nergiz »Karl May« auf die Bühne brachte, bevor beide beim Suhrkamp-Verlag einen Essayband zum großen Lügenbold ablieferten) und der Autor nicht. Vielleicht wollen sie ja nichts übereifrig vorformen. Schade, was auch immer das Autorenpaar mit der Welt vorgehabt hätte, es wäre sicher nur halb so schlimm wie die Realität und doppelt so unterhaltsam. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Enis Maci/Pascal Richmann: Pando. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2024, 206 Seiten, 24 Euro
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