75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 21. November 2024, Nr. 272
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 06.11.2024, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Mit Bild Hamas anschwärzen

Israels Premier soll mit »Leak« versucht haben, Platzen von Geiseldeal anderer Seite zuzuschieben
Von Knut Mellenthin
Nahostkonflikt_Israe_84018544.jpg
Fake News über Bande sollten Premier Netanjahu eine weiße Weste in Sachen Geiseln verschaffen (Jerusalem, 16.7.2024)

Israel wird von einem »Leak« erschüttert, das seinen Ursprung anscheinend im Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu hat. An den Ermittlungen sind neben der Polizei auch die Nachrichtendienste Schin Bet (Israel und besetzte Gebiete) und Mossad (Ausland) sowie die Streitkräfte beteiligt. Soweit ihre Erkenntnisse öffentlich bekannt sind, wurde ein erbeutetes Hamas-Dokument, das strenger Geheimhaltung unterlag, zweckdienlich »frisiert«, mit einer falschen Zuweisung versehen und dem deutschen Boulevardblatt Bild (knapp eine Million Auflage, angeblich sieben Millionen Leser) »exklusiv« überlassen. Auf diesem Umweg konnten alle israelischen Medien deren Darstellung übernehmen, ohne sich mit der Militärzensur anzulegen. Ein zweiter Empfänger war der frei arbeitende israelische Journalist Elon Parry, der die Story im britischen Wochenblatt Jewish Chronicle (Auflage 12.000), für das er regelmäßig schreibt, unterbrachte.

Die Veröffentlichung in der Bild erfolgte am 6. September. Unmittelbar danach wurde bekannt, dass nach den Urhebern des »Lecks« gesucht wurde. Am Freitag voriger Woche wurde die Verhaftung von vier Personen in diesem Zusammenhang gemeldet, inzwischen kam eine fünfte dazu. Einer dieser Menschen hat seit Sonntag einen Namen: Eliezer Feldstein (32), zumindest früher ein Pressesprecher Netanjahus, der diese Funktion aber angeblich nicht mehr ausübt. Israelische Medien berichten unter Berufung auf nicht nachprüfbare Insiderinformationen, dass Feldstein, der einen Sicherheitstest nicht bestanden habe, den Premierminister dennoch zu geheimen Sitzungen begleiten durfte und Zugang zu streng vertraulichem Material der Nachrichtendienste gehabt habe. Netanjahus Büro dementiert das.

Die anderen vier Verdächtigen sind israelischen Medien zufolge Soldaten. Sie sollen einer Spezialabteilung der militärischen Aufklärung angehört haben, die genau solche »Leaks« verhindern soll. Diese Abteilung habe zuerst auch im aktuellen Fall die Ermittlungen geführt, die dann aber vom Schin Bet übernommen worden seien.

In dem am 6. September veröffentlichten Artikel der Bild wird von einem »Dokument« aus dem Frühjahr berichtet, in dem die Hamas ihre Strategie in den Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch dargelegt habe. Angeblich wurde es von israelischen Soldaten im Gazastreifen auf einem Computer gefunden, der dem später getöteten Hamas-Chef Jahja Sinwar gehört habe. Dieser habe den Inhalt »persönlich abgesegnet«.

Zweck der Veröffentlichung war offenbar, der Hamas-Führung die ausschließliche Schuld am Scheitern der Verhandlungen zuzuweisen. Berichten israelischer Zeitungen zufolge, die sich auf Insider in den ermittelnden Diensten berufen, steht mittlerweile fest, dass angebliche Zitate aus dem »Dokument« manipuliert wurden und dass dieses keine zentrale Bedeutung hatte. Auch die Erzählung, dass der Text von Soldaten im Gazastreifen erbeutet worden sei, wird angezweifelt. Er sei »mit einem anderen Typ von Aufklärung« beschafft worden, hieß es am Montag im staatlichen Rundfunk Kan.

Völlige Übereinstimmung besteht offensichtlich zwischen den Aussagen des Bild-Artikels und zeitgleichen Äußerungen Netanjahus, seiner Ehefrau Sara und seines Sohnes Jair. Der Premierminister stand damals unter starkem öffentlichen Druck, nachdem am 31. August die Leichen von sechs erschossenen Geiseln im Gazastreifen entdeckt worden waren und die Familien der am 7. Oktober 2023 Entführten ihre Forderung nach einem Gefangenenaustausch verstärkt hatten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Teilnehmer der palästinasolidarischen Kundgebung am Sonnabend in...
    07.10.2024

    Für Israel und die Polizei

    Jahrestag des Hamas-Angriffs: Demonstrationen im Vorfeld ohne die herbeigeredeten Zwischenfälle. Integrationsbeauftragte gegen »Generalverdacht«
  • Kein Interesse an Zeugen: Israel straft Überbringer von Nachrich...
    09.08.2024

    Tödlich für Journalisten

    Israelische Angriffe töteten mindestens 165 Medienschaffende seit Beginn des Gazakriegs