Gulasch mit Verlegern
Von Barbara EderFrank Deppe fehlte. Und mit ihm auch Kim Kolja. Auf dem Podium der Eröffnungsveranstaltung der 29. Linken Literaturmesse in Nürnberg saßen am vergangenen Freitag anstelle der angekündigten Redner zwei junge Frauen. Sie analysierten die aktuelle politische Lage und stellten ihre Konzepte zum Aufbau von Gegenmacht vor. Im Glasbau des Nürnberger Künstlerhauses diskutierten Leyla Adil vom »Bund der KommunistInnen« und Özlem Demirel, EU-Abgeordnete von Die Linke und Verdi-Gewerkschaftssekretärin, über das Thema »Rechts um – oder volle Kraft links voraus?« Beide argumentierten gegen die aktuelle Phrasendrescherei vom »nationalen Schulterschluss« im Dienste von Aufrüstung und Remilitarisierung, die damit einhergehenden Kürzungen in den Sozialetats träfen zuallererst die Arbeiterklasse.
Demirel zufolge ziele der Jargon der Ampelregierung nicht auf die »Verteidigung der liberalen Demokratie«, statt dessen stehe die »Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie« auf dem Plan. Das Kapital suche nach neuen Absatzmärkten – und nur eine wehrhafte Klasse könne dieses Unterfangen durchkreuzen. Adil nach bilde sich diese erst in Opposition zum Staatsapparat heraus – mit dem Ziel einer übergeordneten Organisierung. Demnach setzt der »Bund der KommunistInnen« auch auf kommunale Selbstverwaltung im Rahmen dezentraler Stadtteilarbeit, so ließen sich auf Basis breiter Solidaritäten Krankenhäuser und Betriebe lokal bestreiken. Der gegenwärtige Rechtsruck hingegen habe tieferliegende Ursachen, der Aufstieg der AfD sei nur eines seiner Symptome. Seit der Gründung der BRD säßen Nazieliten im Staatsapparat – sich auf bürgerlichen Antifaschismus zu berufen, sei deshalb nicht viel mehr als eine Apologie der herrschenden Verhältnisse.
Mit dem, was ist, zu brechen, war auch in diesem Jahr erklärtes Ziel der Linken Literaturmesse Nürnberg – mit den dazugehörigen Büchern im Gepäck. In diesem Jahr umfasste das Rahmenprogramm rund 60 Veranstaltungen, Fragen zu Kapitalismuskritik und politischer Ökonomie standen im Zentrum – darunter Lothar Schröters Analyse zum Ukraine-Krieg und Thomas Sablowskis »Politische Ökonomie der Zeitenwende«, ergänzt um eine Kritik am dazugehörigen Narrativ von Susann Witt-Stahl. Ralf Hutters im Alibri-Verlag erschienenes Buch widmete sich der Kritik am christlichen Immobiliengeschäft, dessen Akteure laufende Gentrifizierungsprozesse und akute Wohnungsnot beschleunigen.
In fünf unterschiedlichen Räumen fanden die Lesungen und Diskussionsveranstaltungen parallel zueinander statt – darunter auch solche zu feministischen und antikolonialen Kämpfen. Die von Julia Fritzsche verfasste Nautilus-Flugschrift »Oben ohne« wurde zur Eröffnung der Messe von der Autorin präsentiert, einige Stunden später das von Nadja Bennewitz und Ingrid Artus herausgegebene Buch »Wir kommen aus dem Kampf heraus«. Berta Backof, eine kommunistisch orientierte Akteurin aus Nürnberg-Fürth, steht darin im Vordergrund – und damit auch eine Protagonistin des Widerstands gegen den Hitlerfaschismus. Gelesen hat am Sonntag auch der am Stand der Tageszeitung präsente ND-Redakteur Christof Meueler. »Die Welt in Schach halten« handelt von Wiglaf Drostes Suche nach ewigen Wahrheiten – samt satirischer Fallstricke, die sich dabei auftun.
Fast ist man geneigt, von einer friedlichen Koexistenz aller Verlage vor Ort zu sprechen – trotz spezieller inhaltlicher Ausrichtungen und divergierender Positionen: Egal ob anarchosyndikalistisch, marxistisch, traditionskommunistisch oder gender-queer – im Künstlerhaus in der Nürnberger Königstraße galt auch diesmal das Gesetz der guten Nachbarschaft. Am Freitag nachmittag hat der Wiener Mandelbaum-Verlag seinen Stand gegenüber dem der jungen Welt aufgebaut – und auch andernorts schien das wechselseitige Interesse aneinander zu überwiegen. Neben den schon seit Jahren auf der Messe präsenten Verlagen Assoziation A, Mangroven, Papyrossa, Promedia und Unrast beeindruckten vor allem die Bücher von jüngeren Editionen am Rand der Halle im zweiten Stock. Zwischen dem von Sarah Käsmayr in zweiter Generation fortgeführten Maro-Verlag und dem von Jeanine Dağyeli und Mario Pschera geleiteten, gleichnamigen Dağyeli-Verlag befand sich der Stand von w_orten & meer. Die unabhängige Edition mit Schwerpunkt auf Veröffentlichungen zum Thema diskriminierungskritisches Handeln hat mit Birgit Palzkills »Nicht binär leben« ein Buch präsentiert, das Menschen, die in geschlechtlichen Zwischenräumen denken, handeln und agieren, in den Vordergrund stellt. Gegen Ende des zweiten Messetages gab es dahingehend ein Solidaritätssignal von nebenan. Sarah Käsmayr deckte ihre Bücher mit dem violett eingefärbten Jahreskatalog der Kurt-Wolff-Stiftung ab. Bereits am Vortag hatten sich viele Mitglieder der darin präsentierten unabhängigen Verlage beim Gulaschessen im Stadtteilladen »Schwarze Katze« getroffen – ein autonomer Ort, an dem schon jetzt das Konzept für die kommende Buchmesse ausgehandelt wird.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. November 2024 um 08:18 Uhr)Es ist natürlich zu loben, dass so viel Nützliches erdacht, zu Papier gebracht und oft auch gelesen wird. Wenn es denn die Berge von beschriebenem Papier wären, die die notwendigen Veränderungen wie von Zauberhand allein hervorbrächten. Formulierte nicht schon Johann Wolfgang Goethe den klugen Satz »Der Worte sind genug gewechselt...«? Die Welt will nicht vorrangig verschieden interpretiert werden. Sie dürstet förmlich nach Veränderung. Die aber wurzelt mehr im realen Sein als im durch Papier beeinflussbaren Bewusstsein. Kluges setzt sich nicht von allein durch. Es braucht Organisation, viel mehr Organisation. Auch hier gilt: »Organisation ist nicht alles, aber ohne Organisation ist alles nichts«.
Ähnliche:
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Panknin, Martens, Hegen
vom 06.11.2024 -
»Menschen können nur aus dem Einzelschicksal lernen«
vom 06.11.2024 -
Rotlicht: Bruttoinlandsprodukt
vom 06.11.2024 -
Nachschlag: Preise runter, Gas rauf
vom 06.11.2024 -
Vorschlag
vom 06.11.2024 -
Veranstaltungen
vom 06.11.2024