Begrenzter Erdrutsch
Von Felix BartelsAm Ende war es mal wieder das größte Irgendwas. Das größte Comeback, der größte Sieg, der größten Bewegung, des größten Präsidenten, der ganz nebenbei noch der bescheidenste Mensch ist, den die Welt seit dem Urknall gesehen hat. Dass Trump und sein Apprentice Vance ausgerechnet in der Wahlnacht hätten beginnen sollen, die zur Gewohnheit gewordene Aufschneiderei zu lassen, wäre in der Tat zu viel verlangt gewesen. Ihr Sieg war deutlich.
In den sicheren Staaten gab es keine Überraschungen. Beide Kandidaten, Harris und Trump, gewannen jene Gebiete, die nach den Erfahrungen der letzten Wahlen und den Umfragen der zurückliegenden Monate fest der einen oder anderen Partei gehören. Der liberale, privilegiert-urbane Nordosten ging geschlossen an die Demokraten, desgleichen die Westküste. Die einschlägigen Staaten im Inland – Colorado, New Mexico, Illinois, Minnesota – sowie der halb Süd-, halb Nordstaat Virginia taten ebenfalls, was man von ihnen erwartet hatte. Die Republikaner holten den gesamten Südosten, wo die Tradition der Konföderation lebendig ist und seit der von Lyndon B. Johnson 1964 durchgesetzten Aufhebung der Rassentrennung loyal republikanisch gewählt wird. Auch der zentrale Teil des Mittleren Westens – innerhalb des Dreiecks Kentucky, Kansas, North Dakota – sowie die mittlerweile gesichert roten Zonen des östlichen – Ohio, Indiana – stimmten für Trump, zugleich die Rocky-Mountains-Staaten und der Südwesten des Landes mit Texas und Oklahoma. Zu verteilen blieben die sieben Swing States, und hier siegte Trump auf ganzer Linie.
Früh stand fest, dass North Carolina dem Trump-Lager zugeht, was die Umfragen mehr oder weniger vorausgesagt hatten. Gefreut haben dürfte sich der Mann aus Queens auch über den Sieg in Georgia, ihm bleibt dieses Mal die Mühe erspart, den Wahlleiter dort zum Betrug aufzufordern. Knapper war es in Arizona und Nevada, auch hier siegten die Republikaner schließlich. In den drei Rust-Belt-Staaten, die zu den Swing States zählen, hatte Harris in den Umfragen vorn gelegen, Trump räumte sie sämtlich ab – mit Stimmvorsprüngen im sechsstelligen Bereich.
Im Electoral College ergibt sich damit ein Kräfteverhältnis von 312 zu 226. Was auf den ersten Blick nicht nach jenem Landslide aussieht, der 2020 bloß herbeigerufen, nun aber gewissermaßen Wirklichkeit wurde. Zum einen nämlich ist Trumps Sieg innerhalb der sieben Swing States vollständig, zum anderen konnte der Kandidat beim Popular Vote, der absoluten Stimmzahl, deutlich siegen. 71,2 Millionen votierten für ihn, 66,3 Millionen für Harris (bei jW-Redaktionsschluss). Woraus praktisch wenig folgt, vor dem Hintergrund aber, dass die Demokraten landesweit in der Regel nach absoluten Stimmen im Vorteil sind, sagt das Ergebnis einiges aus – über Trumps Masche ebenso wie über Harris’ Unfähigkeit, gegen ihn zu mobilisieren. Hatte Biden 2020 noch mit einer Kampagne gewonnen, deren zentrale Aussage im Grunde bloß darin bestand, dass er nicht Trump sei, konnte nun Harris’ Hauptargument, nicht Biden zu sein, keinen vergleichbaren Effekt zeugen. Der beständige Trend, dass die Demokraten die Arbeiterklasse im Norden verlieren, setzte sich fort, bei schwarzen Wählern konnte Harris trotz Identifikationsvorteilen gegenüber dem weißen Biden nicht zulegen, und bei den Hispanics verloren die Demokraten sogar viele Wähler.
Was das alles für die kommenden vier Jahre bedeutet, ist nicht leicht zu sagen. Trump bleibt kaum berechenbar. Einigermaßen sicher wird der wirtschaftliche Konkurrenzkampf mit China im Zentrum von Im- und Exportpolitik stehen, das Recht auf Schusswaffen verteidigt, das Recht auf Abtreibung, wo es geht, attackiert werden. Ob Trump seine Ankündigung wahr macht, nach Amtsantritt nichtregistrierte Einwanderer im großen Stil abzuschieben, ob er mithin das mehr symbolische denn praktische Projekt der Mauer zu Mexiko vollenden kann, ist mehr eine Frage der Machbarkeit denn eine des zweifellos vorhandenen Willens. Dasselbe gilt für die offenbar an die Stelle des »Projects 2025« der Heritage Foundation getretene Idee, Elon Musk zum Leiter einer »Behörde für Regierungseffizienz« zu machen, wohinter sich das Unterfangen verbirgt, Mitarbeiter des Staatsapparats, die die Politik der Republikaner behindern könnten, auf sämtlichen Ebenen auszutauschen.
Sicher erwartet werden kann hingegen eine Forcierung der Nahostpolitik. Trump steht zum Krieg der israelischen Armee in Gaza deutlich loyaler als Harris und selbst Biden, die bei aller Parteilichkeit wenigstens hier und da Kritik an den Kriegsverbrechen Israels übten. In seiner letzten Amtsperiode hatte er zudem den Konflikt mit dem Iran forciert, durch die Aufkündigung des Atomabkommens, das ihm nicht radikal genug schien, durch Sanktionen sowie durch das auf iranischem Boden verübte Attentat auf den General Soleimani. Offen bleiben die Folgen für den Krieg in der Ukraine. Einerseits könnte eine Drosselung von Waffenlieferungen aus den USA die Bereitschaft der Ukraine für Verhandlungen erhöhen, andererseits könnte sie die Bereitschaft Russlands senken. Insgesamt bleibt die Aussicht in der Außenpolitik vage. Trump hält sich eher ungern an Bündnispflichten, er bevorzugt bilaterale Abkommen mit einzelnen Staaten. Schon in seiner ersten Amtsperiode hatte er die Geschäfte auf der globalen Ebene wie ein Geschäftsmann geführt, als Dealmaker. Auf dem Feld der Klimapolitik sind keine Überraschungen zu erwarten. Im November 2020 waren die USA auf Trumps Betreiben hin aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten (rückgängig gemacht später unter Biden), und sein »Drill, Baby, Drill!« aus zahlreichen Wahlkampfreden 2024 hat man noch immer im Ohr.
Hintergrund: Außerdem gewählt
Am Dienstag, den 5. November, ist nicht nur der kommende US-Präsident gewählt worden. In zehn Bundesstaaten fanden Volksabstimmungen zum Abtreibungsrecht statt. Als der Supreme Court im Juni 2022 das Präzedenzurteil Roe v. Wade gekippt hatte, wurde die Frage, ob Abtreibungen legal seien, von der Bundesebene auf die bundesstaatliche Ebene verlegt. Einige Bundesstaaten reagierten darauf recht zügig, man erließ Abtreibungsverbote oder schränkte die Möglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche ein. Die Volksabstimmungen am aktuellen Wahldienstag sollten diese Maßnahmen der Regierungen von Bundesstaaten durchkreuzen.
Mit unterschiedlichem Erfolg. In Florida scheiterte das Begehren an der 60-Prozent-Hürde. In Colorado, Maryland und Missouri hatten die Initiativen Erfolg. In Nebraska wurde ein bestehendes Recht auf Abtreibung in sehr strengen Grenzen (bis zur 12. Schwangerschaftswoche) bestätigt.
Ebenfalls parallel zur Präsidentschaftswahl fanden Wahlen für den Kongress statt. Deren Ausgang ist wesentlich für die kommenden zwei Jahre bis zu den Midterms. Wenn ein Präsident zuzüglich seiner Macht im Weißen Haus über Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses verfügt, kann er durchregieren. Hält die Opposition eine oder beide der Kammern, müssen Kompromisse gefunden werden (die in der Regel ökonomische oder politische Zugeständnisse kosten), sofern der Präsident nicht vorzieht, mittels Verordnungen zu regieren, die von seinem Nachfolger dann ohne weiteres wieder aufgehoben werden können.
Dieses Problem sollte Donald Trump in den nächsten zwei Jahren nicht haben. Am Dienstag konnten sich die Republikaner die Mehrheit im Senat sichern. Bei jW-Redaktionsschluss hatten sie mit 52 Sitzen trotz sechs noch auszuzählender die Mehrheit sicher. Im Repräsentantenhaus zeichnet sich für sie eine Mehrheit ab.
Wenn von Verzerrungen des demokratischen Prinzips im politischen System der USA die Rede ist, kann der Senat als eklatantes Beispiel gelten. Auf jeden Bundesstaat, gleich wie bevölkerungsreich, fallen zwei Senatoren. Auf Wyoming mit seinen 548.000 Einwohnern ebenso wie auf Kalifornien mit seinen 38.970.000. Ein Einwohner von Wyoming hat demnach das 71fache Stimmgewicht eines Einwohners von Kalifornien. Was vielleicht keine Nebensache ist, da der Senat Gesetze blockieren und den Haushalt einfrieren kann. (fb)
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