75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 21. November 2024, Nr. 272
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 07.11.2024, Seite 4 / Inland
Neues Wehrdienstmodell

Post von Pistorius

Kabinett beschließt Pläne für neuen Wehrdienst. Auch Erwerbslose sollen angeworben werden
Von Kristian Stemmler
4.jpg
Grundausbildung mit G36: Die Bundeswehr will mehr Soldaten (Germersheim, 9.9.2024)

Post vom Minister gibt es nicht alle Tage. Vom nächsten Jahr an sollen aber alle jungen Menschen einen Brief von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bekommen, weil sie mit Erreichen des 18. Geburtstags »wehrfähig« werden. Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Gesetzentwurf des Verteidigungsministers gebilligt, mit dem der Wehrdienst neu geregelt und der Hunger der Bundeswehr nach Rekruten befriedigt werden soll. Kernstück des weitgehend auf Freiwilligkeit setzenden Modells ist ein Fragebogen.

Von einer neuen Wehrpflicht, die 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt wurde, ist im abgesegneten Entwurf nirgendwo die Rede. Wegen des Widerstands aus der SPD und der FDP musste Pistorius sich von den verpflichtenden Elementen, die er gern in seinem Modell untergebracht hätte, verabschieden. Dem Minister schwebte ein Verfahren wie in Schweden vor: Dort kann der Staat auch verpflichtend einziehen, wenn sich nicht genügend Freiwillige für das Militär finden.

Alle Männer und Frauen, die das 18. Lebensjahr erreichen, sollen einen Brief mit einem QR-Code erhalten, der zu einem Onlinefragebogen der Bundeswehr führt. Für Männer ist das Ausfüllen verpflichtend, für Frauen nicht – weil ein Wehrdienst von Frauen im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Gefragt wird in dem Bogen unter anderem nach der körperlichen Fitness und der grundsätzlichen Bereitschaft zum Wehrdienst. Die Bundeswehr sichtet die Fragebögen und will dann um die 10.000 Männer zur Musterung laden, um ihnen den Wehrdienst schmackhaft zu machen. Im ersten Jahr sollen so 5.000 Kandidaten gewonnen werden. Möglich ist dann eine Basisausbildung von sechs Monaten oder eine fast zweijährige Zeit bei der Truppe.

Die Neuregelung wird vor allem mit der angeblichen Bedrohung durch Russland begründet. Derzeit dienen rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten beim Militär, dazu kommen rund 60.000 Reservisten. Das ist Pistorius zu wenig. Der »deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung« erfordere einen »Verteidigungsumfang« von insgesamt rund 460.000 Soldaten, von denen rund 260.000 »aus der Reserve aufwachsen« sollen, so der Minister am Mittwoch gegenüber dpa.

Das neue Gesetz, das bis zum Frühjahr 2025 durch den Bundestag und Bundesrat soll, verfolgt aber noch einen anderen Zweck. Es ermögliche, die »Wehrerfassung wieder zu installieren«, die es seit Aussetzung der Wehrpflicht nicht mehr gebe, so Pistorius. Im »Verteidigungsfall« nämlich kann die Bundeswehr trotz Aussetzung der Wehrpflicht alle wehrfähigen Männer verpflichtend einziehen, hat laut dem Minister dafür aber momentan keine ausreichende Datengrundlage.

Auch unter Erwerbslosen will die Bundeswehr offenbar verstärkt re­krutieren. Am Nachmittag unterzeichneten Pistorius und Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BfA), eine Grundsatzvereinbarung. Ein Sprecher seines Ministeriums erklärte auf jW-Nachfrage, die Vereinbarung diene der »Personalgewinnung«. Zweck sei es, dass die BfA sämtliche Berufsfelder der Bundeswehr, auch zivile, künftig in der Beratung »Interessierten« präsentieren werde.

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) startete unterdessen eine Kampagne gegen das neue Wehrdienstmodell. Bereits heute schreibe die Armee junge Menschen mehrmals im Jahr an, heißt es dazu in einer Mitteilung. Der Datenweitergabe von den Meldebehörden an die Bundeswehr könne man aktuell widersprechen, nach den Plänen von Pistorius »bald aber wohl nicht mehr«, so die DFG-VK. Auf Grundlage der Fragebögen wolle die Armee junge Menschen zur Musterung einbestellen. Am Ende stehe »der Dienst an der Waffe«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Eva Ruppert aus Bad Homburg (11. November 2024 um 15:35 Uhr)
    Mit einem Schreiben will der amtierende Minister für Verteidigung, d. h. für »Kriegstüchtigkeit« alle jungen Männer im »wehrfähigen Alter« (18 Jahre) anschreiben, um die 2011 ausgesetzte allgemeine Wehrpflicht zu umgehen. Von dieser musste der Minister in seinem von der Bundesregierung abgesegneten Entwurf vorläufig noch absehen, zu groß wäre der bisherige Widerstand von SPD und FDP wohl gewesen. Dass sich das in einer neuen Regierung, etwa mit der CDU, ändern könnte, ist zu vermuten.
    Mit einem QR-Code soll den 18jährigen Männern und Frauen ein Fragebogen zugestellt werden, auf dem sie sich zu persönlicher Fitness sowie der Bereitschaft zu Wehr- bzw. Kriegsdienst äußern sollen.
    So will der Minister junge Leute, vor allem auch Arbeitslose für den »Dienst an der Waffe« werben. (Die Beantwortung ist zunächst nur für junge Männer verpflichtend).
    Dem Minister schwebt eine Gesamtzahl von circa 420.000 Soldaten vor, die zur »Verteidigung« (gegen wen?) zur Verfügung stehen sollen. Im »Verteidigungsfall« – wann ist der real gegeben? – können dann alle wehrpflichtigen Männer »verpflichtend« eingezogen werden. Welche Versprechungen ihnen im Voraus gemacht werden, kann man nur ahnen. Alle Berufsfelder der Bundeswehr, auch zivile, sind im Angebot. Schon seit Jahren macht die Bundeswehr in Schulen und bei Veranstaltungen eifrig Reklame für den »Dienst an der Waffe«. Bis zum Frühjahr soll das neue Gesetz durch Bundestag und Bundesrat. Das kann sich jetzt angesichts der veränderten Regierungskonstellationen zeitlich verschieben.
    Unabhängig von einer zu erwartenden neuen Regierung der BRD ist es dringend, schon jetzt gegen einen solchen Gesetzentwurf zu protestieren. Nicht nur Friedensdemonstrationen, sondern alle Arten von zivilem Widerstand aus Bevölkerung und Gewerkschaften stehen ab sofort auf der Tagesordnung.

Ähnliche: