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Aus: Ausgabe vom 07.11.2024, Seite 4 / Inland
Neues Wehrdienstmodell

Post von Pistorius

Kabinett beschließt Pläne für neuen Wehrdienst. Auch Erwerbslose sollen angeworben werden
Von Kristian Stemmler
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Grundausbildung mit G36: Die Bundeswehr will mehr Soldaten (Germersheim, 9.9.2024)

Post vom Minister gibt es nicht alle Tage. Vom nächsten Jahr an sollen aber alle jungen Menschen einen Brief von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bekommen, weil sie mit Erreichen des 18. Geburtstags »wehrfähig« werden. Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Gesetzentwurf des Verteidigungsministers gebilligt, mit dem der Wehrdienst neu geregelt und der Hunger der Bundeswehr nach Rekruten befriedigt werden soll. Kernstück des weitgehend auf Freiwilligkeit setzenden Modells ist ein Fragebogen.

Von einer neuen Wehrpflicht, die 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt wurde, ist im abgesegneten Entwurf nirgendwo die Rede. Wegen des Widerstands aus der SPD und der FDP musste Pistorius sich von den verpflichtenden Elementen, die er gern in seinem Modell untergebracht hätte, verabschieden. Dem Minister schwebte ein Verfahren wie in Schweden vor: Dort kann der Staat auch verpflichtend einziehen, wenn sich nicht genügend Freiwillige für das Militär finden.

Alle Männer und Frauen, die das 18. Lebensjahr erreichen, sollen einen Brief mit einem QR-Code erhalten, der zu einem Onlinefragebogen der Bundeswehr führt. Für Männer ist das Ausfüllen verpflichtend, für Frauen nicht – weil ein Wehrdienst von Frauen im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Gefragt wird in dem Bogen unter anderem nach der körperlichen Fitness und der grundsätzlichen Bereitschaft zum Wehrdienst. Die Bundeswehr sichtet die Fragebögen und will dann um die 10.000 Männer zur Musterung laden, um ihnen den Wehrdienst schmackhaft zu machen. Im ersten Jahr sollen so 5.000 Kandidaten gewonnen werden. Möglich ist dann eine Basisausbildung von sechs Monaten oder eine fast zweijährige Zeit bei der Truppe.

Die Neuregelung wird vor allem mit der angeblichen Bedrohung durch Russland begründet. Derzeit dienen rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten beim Militär, dazu kommen rund 60.000 Reservisten. Das ist Pistorius zu wenig. Der »deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung« erfordere einen »Verteidigungsumfang« von insgesamt rund 460.000 Soldaten, von denen rund 260.000 »aus der Reserve aufwachsen« sollen, so der Minister am Mittwoch gegenüber dpa.

Das neue Gesetz, das bis zum Frühjahr 2025 durch den Bundestag und Bundesrat soll, verfolgt aber noch einen anderen Zweck. Es ermögliche, die »Wehrerfassung wieder zu installieren«, die es seit Aussetzung der Wehrpflicht nicht mehr gebe, so Pistorius. Im »Verteidigungsfall« nämlich kann die Bundeswehr trotz Aussetzung der Wehrpflicht alle wehrfähigen Männer verpflichtend einziehen, hat laut dem Minister dafür aber momentan keine ausreichende Datengrundlage.

Auch unter Erwerbslosen will die Bundeswehr offenbar verstärkt re­krutieren. Am Nachmittag unterzeichneten Pistorius und Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BfA), eine Grundsatzvereinbarung. Ein Sprecher seines Ministeriums erklärte auf jW-Nachfrage, die Vereinbarung diene der »Personalgewinnung«. Zweck sei es, dass die BfA sämtliche Berufsfelder der Bundeswehr, auch zivile, künftig in der Beratung »Interessierten« präsentieren werde.

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) startete unterdessen eine Kampagne gegen das neue Wehrdienstmodell. Bereits heute schreibe die Armee junge Menschen mehrmals im Jahr an, heißt es dazu in einer Mitteilung. Der Datenweitergabe von den Meldebehörden an die Bundeswehr könne man aktuell widersprechen, nach den Plänen von Pistorius »bald aber wohl nicht mehr«, so die DFG-VK. Auf Grundlage der Fragebögen wolle die Armee junge Menschen zur Musterung einbestellen. Am Ende stehe »der Dienst an der Waffe«.

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