Signal an Rabat
Von Sabine KebirMit einer großen Militärparade ist am 1. November in Algerien der 70. Jahrestag des Beginns der antikolonialen Revolution begangen worden. Dabei muss die Bedeutung der Waffenschau im internationalen Kontext gesehen werden. Die vor allem aus russischer Produktion stammenden Waffen der algerischen Streitkräfte seien »exklusiv für die Verteidigung« bestimmt, versicherte Präsident Abdelmadjid Tebboune. Auf der Tribüne neben ihm saßen die Präsidenten Tunesiens, Mauretaniens und der Westsahara sowie der Vorsitzende des libyschen Präsidialrats. Unausgesprochen diente die Zusammenkunft der maghrebinischen Staatschefs anlässlich der Feierlichkeiten auch als Manifestation gegenüber dem Nachbarstaat Marokko, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die wichtigste Militärbasis der USA in Afrika ist.
Die geopolitische Blockkonfrontation ist es auch, die den Algerien und Marokko entzweienden Konflikt um die Unabhängigkeit der völkerrechtswidrig zu großen Teilen vom Königreich annektierten Westsahara schwer lösbar macht. Obgleich sich die Europäische Union in dieser Frage – noch? – ans Völkerrecht gebunden fühlt, versuchen einzelne Mitglieder, die schon viel in die industrielle Entwicklung der Westsahara investiert haben, die Annexion anzuerkennen. Vor drei Jahren wollte das Spaniens Premierminister Pedro Sánchez, konnte es aber nicht durchsetzen. Und kürzlich machte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen solchen Vorstoß – sehr zum Ärger Algeriens.
Zur Entspannung des Verhältnisses trägt auch nicht die zum algerischen Revolutionsjubiläum erfolgte Anerkennung Macrons bei, dass einer der ersten Führer der Revolution, Larbi Ben M'Hidi, im März 1957 in der Haft von französischen Polizeikräften zu Tode gefoltert wurde und nicht, wie bislang behauptet, Selbstmord beging. Reichlich verspätet einzelne Greueltaten zuzugeben – so algerische und auch einige französische Historiker –, stelle immer noch den Versuch dar, sich um die Anerkennung der vollen Schuld von 130 Jahren Kolonisation zu drücken.
Der Jahrestag war auch Anlass, dass 4.000 verurteilte Inhaftierte durch ein von Tebboune unterzeichnetes Dekret amnestiert wurden. Unter den Begnadigten war der jetzt 65jährige Journalist Ihsane El Kadi, der seit seiner Studentenzeit für die Berberkultur, Demokratie und Pressefreiheit aktiv war. Bevor er im Dezember 2022 verhaftet wurde, leitete er die renommierte Internetplattform Le Petit Café du Grand Maghreb, auf der Diskussionen zwischen Politikern, Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft ein breites Followerpublikum hatten. Die Plattform stand in der Tradition der Demokratiebewegung des Hirak, die 2019 den Rückzug des schwerkranken Präsidenten Abdelaziz Bouteflika erzwang und bis zur Coronakrise mit allwöchentlichen friedlichen Demonstrationen im ganzen Land für mehr Demokratie eintrat.
Weil El Kadi zur Finanzierung seiner Plattform Gelder aus dem Ausland nutzte und »die Sicherheit des Staates« gefährdet habe, wurde er zunächst zu fünf und im Verlauf eines Revisionsprozesses zu sieben Jahren Haft verurteilt. Tatsächlich hatte eine in Großbritannien lebende Tochter El Kadis dessen Medienunternehmen mitfinanziert. Da auch die Ausrüstung seiner Studios konfisziert wurde, konnte es keinen Zweifel geben, dass El Kadis Verurteilung als politisch motiviert verstanden werden musste. Sie rief sowohl in der algerischen Öffentlichkeit als auch international Proteste hervor, die unter anderem von Noam Chomsky, Annie Ernaux, Ken Loach und Arundhati Roy mitgetragen wurden. Inwieweit es El Kadi möglich sein wird, seinen Beruf wiederaufzunehmen, ist noch unklar.
Seine Verurteilung fand in einer Atmosphäre allgemeinen Rückbaus der Pressefreiheit statt, die auch für andere Medien existenzgefährdend war. Diese staatlichen Restriktionen waren insofern unverständlich, als sich sowohl Algeriens Ökonomie wie auch die Kaufkraft seiner Bürger im Aufwind befinden. Offene Foren wie El Kadis Café können dem Land nur zugute kommen.
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