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Aus: Ausgabe vom 07.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

So inklusiv war die Heimatfront

Bomben auf England: Steve McQueens Weltkriegsdrama »Blitz« gerät etwas offiziös
Von Holger Römers
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Nicht ohne meine Mama: George (Elliott Heffernan) hat keinen Bock auf Landverschickung

Steve McQueens Spielfilm »Blitz« handelt von den Reaktionen der Londoner Bevölkerung auf die anhaltende Bombardierung durch Hitlers Luftwaffe. Doch nach Aussagen des Regisseurs und Drehbuchautors ist das Werk auch von der jüngeren Vergangenheit inspiriert: McQueen, der zunächst in der bildenden Kunst Berühmtheit erlangt hatte, war von 2004 bis 2006 »offizieller Kriegskünstler« des Imperial War Museums. Als er kurz im Irak »eingebettet« war, habe er angesichts der Kameraderie der aus verschiedenen Landesteilen stammenden britischen Soldaten erstmals ein »Gefühl von Nationalismus« erfahren, gibt der 1969 geborene Brite in Interviews zu Protokoll. Dabei sei er sich allerdings stets des Zwiespalts bewusst geblieben, dass das »Gefühl der Einheit« ausgerechnet im Krieg wurzelte.

Deshalb ist es konsequent, dass sein fünfter Spielfilm dieses Gefühl einerseits auf die den Deutschen standhaltenden Londoner Zivilisten projiziert und sich andererseits darum bemüht, allerlei gesellschaftliche Widersprüche zu bedenken zu geben. Dabei haftet dem Ergebnis stellenweise der Charakter eines offiziösen Denkmals an – obwohl der auch als Produzent firmierende McQueen mit einem kommerziellen US-Streamer (nämlich Apple) kooperiert hat, der zum Verdruss des Filmemachers für »Blitz« bloß eine eingeschränkte internationale Kinoauswertung vorsieht.

Die Gesamtwirkung des Films ist verblüffend, da sich die Handlung auf die kleinste familiäre Einheit, Mutter und Kind, konzentriert. Die alleinerziehende Rita (Saoirse Ronan), die in einer Fabrik Fliegerbomben fertigt, lässt den etwa neunjährigen George (Elliott Heffernan) schweren Herzens von einem staatlichen Evakuierungsprogramm aufs Land bringen. Doch der Steppke nimmt, kaum dass der Zug die Hauptstadt verlassen hat, Reißaus, was der mit ihrem Vater Gerald (Paul Weller, der Mastermind von The Jam und The Style Council, in seiner ersten, fast stummen Kinorolle) zu Hause gebliebenen Frau erst recht Sorgen bereitet.

Wenn der kindliche Protagonist den Weg nach Hause sucht, erinnern einzelne Episoden an William Wellmans realistischen Hollywoodklassiker »Wild Boys of the Road« (1933). Andere hingegen sind, etwa wenn George einer Räuberbande in die Hände fällt, unverkennbar Charles Dickens nachempfunden. Das erfordert ständige Wechsel des Erzähltons, weshalb um so mehr erstaunt, dass der Film nie in seine Einzelteile zerfällt. Das dürfte sich wiederum der Absicht McQueens verdanken, ein möglichst facettenreiches, inklusives Bild der Heimatfront zu zeichnen – in dem die britischen Truppen indes ebenso unsichtbar bleiben wie die des Feindes.

In einem kurzen Monolog fällt der Begriff »Sozialismus«, der freilich sogleich mit »christlichen Werten« kurzgeschlossen wird. Die Nebenfigur, die diese Worte spricht, ist einem realen Mann nachempfunden, der ungeachtet seiner Kleinwüchsigkeit zum Organisator eines improvisierten öffentlichen Luftschutzkellers wurde. Ebenso dürfte es der historischen Wahrheit entsprechen, wenn Rita und ihre Kolleginnen eine Livesendung der BBC nutzen, um lautstark die nächtliche Umwidmung von U-Bahn-Stationen in Schutzräume zu fordern. In jedem Fall kann McQueen auf einen afrikanischstämmigen Luftschutzwächter als verbürgtes Vorbild für eine weitere Nebenfigur verweisen. Die lässt der schwarze Filmemacher, der das öffentliche Bild der britischen Nachkriegsgesellschaft mit der Anthologieserie »Small Axe« um die vielschichtige Darstellung westindischer Lebenswelten bereichert hat, eine kurze Rede gegen den Rassismus halten, der, wie eine einzige Rückblende früh andeutet, einst auch Ritas Trennung von Georges schwarzem Vater erzwang.

Diese demonstrative Bekräftigung von Diversität und Diskriminierung als geschichtliche Tatsachen droht vereinzelt salbungsvoll zu werden. Doch diese Tendenz wird durch die ebenso oft aufscheinende Lust des Filmemachers am schieren Spektakel aufgewogen. Zwar mündet die Anfangssequenz in einen Moment abstrakten Kinos, wenn in einem rätselhaften Schwarzweißbild Streifen über die Leinwand huschen. Doch der spröden Reverenz an McQueens Karrierebeginn als Videokünstler geht ein veritables Flammeninferno voran, vor dessen Hintergrund Feuerwehrmänner einen symbolkräftigen Kampf mit einem unbändigen Wasserschlauch führen. In einer späteren Sequenz, die ebenso wenig in den Plot eingebunden ist, schwelgen Kamera und Montage im Eskapismus einer Jazzband und ihres Publikums im realen Café de Paris, sie hielten den noblen Nachtklub im Kellergeschoss für bombensicher. Zu Unrecht.

»Blitz«, Regie: Steve McQueen, GB/USA 2024, 120 Min., Kinostart: heute

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