Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 07.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Landlust

Teller

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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»Man habe immer damit gerechnet, dass ein armer Schlucker mit knurrendem Magen habe hereinschneien können«

Immer wieder versuche ich, in meinem »alltäglichen Alltag« (Bockbaer) »themenspezifische Blöcke zu clustern« (Tim Detzner, Die Linke), heißt: Biertrinken, Ablenkung, Unterhaltung und »Recherche« zusammenzubringen, ja zusammenzuschmeißen, auf einen Time-Haufen zu pfeffern, ergo lebensspezifisch zu clustern, was bedeutet, »dass man« all in one »ins Umsetzen, ins Praktische kommt«, wie es uns kürzlich die rhetorische Atombombe und Intellektualruine Nanny Faeser auf einer Pressekonferenz lehrte.

Läuft die geclusterte Chose, darf man sich mit der Innennulpe denken: »Wir sind im Doing«, echt, ey, und das dachte ich mir, als ich neulich mit Ludwig und seinem Kumpel Sigi beim sonntäglichen Frühschoppen am Küchentisch saß.

Der Sigi ist Zimmermann, Ende sechzig, Raucher von Amts wegen, fadendürr, hat schütteres halblanges Haar und ein gegerbtes und von Furchen durchzogenes Gesicht. Er stammt aus Kitschendorf und schaut mit seiner Statur und in seinem Holzfällerhemd, seiner fleckenübersäten Juppe und mit seinen Hosenträgern Karl Valentin recht ähnlich.

Er turnt, obwohl natürlich in Rente, auf diversen Baustellen herum, weil er keine Ruhe geben könne. Vor einiger Zeit, hatte mir Ludwig im Vorfeld des Meetings erzählt, sei der Sigi zu einem Auftraggeber gefahren, habe geklingelt, und die Frau, die ihm geöffnet hatte, habe zu ihrem Mann in den Hausflur hineingerufen: »Der is’ vom Zirkus! Der will Geld sammeln für die Viecher!«

Der Sigi zieht einen Zollstock und einen Zimmermannsbleistift aus der Hosentasche, legt beides neben seinen Teller und beginnt zu reden, wie ein Kind redet er, aufs anmutigste naiv, sprudelnd, und seinen endlosen Vortrag über Baustoff-, Benzin- und Brennholzkosten unterbricht in regelmäßigen Intervallen eine peitschende Lache.

Daheim, so der Sigi dann, bereite er seit Jahren das Sonntagsmahl zu, Braten, Schnitzel und so weiter, sein Repertoire decke eine Spanne von acht Wochen ab, anschließend fange der Zyklus von vorne an. In der Nachbarschaft höre man um halb zwei die Deckel der Biotonnen klappern, die Leut’ schmissen heute übriggebliebenes Essen bedenkenlos weg, eine Schweinerei sei das.

»Aber das ist der Zeitwandel. Oder Zeitenwandel. Oder wie des haaßt«, sagt er und pickt einen Brocken Zwetschgenkuchen auf. Früher, fährt er fort, sei’s so gewesen, dass stets ein zusätzlicher Teller auf dem Tisch gestanden habe, für egal wen. Man habe immer damit gerechnet, dass ein armer Schlucker mit knurrendem Magen habe hereinschneien können.

»Genau«, greift Ludwig Sigis Schilderung auf. Ludwigs Vater war Posterer, und hier im Haus habe seine Mutter mittags nie unter zehn Leute verköstigt, Schüler, Gemeindearbeiter inklusive, volles Ofenrohr ins Doing kommend.

Der Sigi ist ein gottesfürchtiger Artist, »die Katze auf dem Dachstuhl« nennt ihn Ludwig. Über Riegel und Sparren balanciert er ohne Sicherung, beim Baumkronenschneiden in zehn Meter Höhe halte er’s genauso. »Seile und des Zeich, solche Grempf« – Krämpfe, mithin solch einen Unfug – »mach’ mer net, Dunnerweddl!«

Ich frage ihn, ob er sich für Politik interessiere, und Sigi sagt: »Naa, nemmer. Die solla moch’n, was meg’n.«

Nach einem zweiten Stück Kuchen bricht er auf. Ludwig öffnet noch zwei Spalter. Er ist ein abgeklärter Sanguiniker. Weichholzmöbel, zum Beispiel die herrlichen hellen Bauernschränke (zwei der Art verwittern auf seinem Balkon), wolle niemand mehr, bringe man nicht mehr los, und sowieso werde nun »ganz Dettelsa ab’g’rissen. Na ja. Na ja.«

»Planiert und asphaltiert«, sage ich. »Ja«, Ludwig streicht sich durch seinen imposanten weißgrauen Bart, »Revolution wäre heute, wenn man etwas unterlässt.«

Das könnte von Carl Amery oder Walter Benjamin sein. Links müsste dieser Tage bedeuten: verhindern, nicht entwickeln. Und einen Teller für einen unangemeldeten Gast hinstellen.

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