Im März droht Merz
Von Nico PoppDie Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die ihm zugedachte Rolle im Drehbuch der FDP zur Vorbereitung der nächsten Bundestagswahl nicht zu übernehmen, bringt die Republik auf Trab: Es wird, da die Entlassung des Bundesfinanzministers und FDP-Chefs Christian Lindner zum Rückzug der FDP aus der Regierungskoalition geführt hat, spätestens Ende März – wenn es denn dabei bleibt, dass Scholz am 15. Januar ohne eigene Mehrheit die Vertrauensfrage stellt und anschließend den Bundespräsidenten bittet, das Parlament aufzulösen – eine vorgezogene Neuwahl des Bundestages stattfinden.
In die gehen vor allem die Unionsparteien aus einer Position relativer Stärke. Aktuelle Wählerbefragungen sehen sie bundesweit bei oder knapp über 30 Prozent – weit weg von alter Stärke, aber doch deutlich vor allen anderen Parteien. Die erste Reihe von CDU und CSU macht nun erwartbar Druck. CDU-Chef Friedrich Merz sprach sich am Donnerstag für einen Wahltermin in der zweiten Januarhälfte aus. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder äußerte sich in München ähnlich. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst forderte »sofortige Neuwahlen«; Scholz solle »den Menschen jetzt nicht bis Ende März ihr demokratisches Recht vorenthalten, neu zu wählen«. Die Unionsfraktion forderte den Kanzler auf, spätestens in der nächsten Woche die Vertrauensfrage zu stellen.
Mehrere Unternehmerverbände sekundierten am Donnerstag in einer konzertierten Aktion: Der Außenhandelsverband, der Verband der Automobilindustrie, der Verband der chemischen Industrie und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie verlangten unisono schnellstmögliche Neuwahlen. Der Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands erklärte, eine Vertrauensfrage erst im Januar sei viel zu spät.
Scholz beharrte am Donnerstag aber darauf, sich nicht vor Januar das Misstrauen aussprechen zu lassen. Er werde nun das tun, was für das Land notwendig sei, sagte er in Berlin; seine Regierung werde auch in den kommenden Wochen und Monaten ihre Arbeit machen. Ein etwa 30minütiges Treffen von Scholz und Merz führte am Donnerstag nicht zu einer Verständigung. Das Gespräch sei ergebnislos geblieben, hieß es anschließend aus der Unionsfraktion. Merz hatte Scholz diesen Angaben zufolge angeboten, über anstehende Tagesordnungspunkte oder Gesetze im Bundestag zu reden, aber zur Voraussetzung hierfür erklärt, dass der Kanzler schon in den kommenden Tagen die Vertrauensfrage stellt.
Dahinter steckt nüchternes Kalkül. Die Unionsparteien rechnen offenkundig damit, dass sie am besten abschneiden werden, wenn die Neuwahl möglichst schnell kommt. Umgekehrt wittern sie bei einem um mehrere Monate hinausgezögerten Wahltermin die Gefahr, dass viele Menschen nicht einfach nur aus einer Ablehnung der Ampelpolitik heraus gleichsam »blind« CDU und CSU wählen werden, sondern sich genauer anschauen, wofür diese Parteien eigentlich stehen. Und neoliberale und transatlantische Extremisten wie Merz, Linnemann, Röttgen und Kiesewetter sind, das wissen sie selbst, alles andere als Wählermagneten. In der Union wird man sich noch gut an den Wahlkampf von 2021 erinnern, den man in der Favoritenrolle begann, um dann auf ein historisch schlechtes Ergebnis abzustürzen. Die Erinnerung daran fördert ohne Zweifel in der SPD die Entschlossenheit, den Wahlkampf, der jetzt begonnen hat, über mehrere Monate zu strecken – ob Scholz das durchhält, wird sich zeigen.
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