Eine gebrochene Bevölkerung
Von Ina SembdnerDie Zustände im Gazastreifen sind nach Schilderungen von Jan Egeland, Generalsekretär des norwegischen Flüchtlingsrats (NRC), schlimmer als je zuvor. »Die komplette Zerstörung, die ich in dieser Woche in der Stadt Gaza und anderen urbanen Gebieten des nördlichen und zentralen Gazastreifens gesehen habe, ist schlimmer als alles, was ich mir als ein langjähriger Helfer vorstellen kann«, sagte Egeland am Donnerstag nach einem Besuch vor Ort. Seit seiner letzten Visite im Februar habe sich die Lage noch drastisch verschlechtert. Was er im Norden gesehen habe, sei eine gebrochene Bevölkerung. Einige Familien könnten nicht einmal ihre Toten begraben. »Einige sind seit Tagen ohne Nahrung, Trinkwasser ist nirgendwo zu finden. Es ist eine Szene der absoluten Verzweiflung nach der anderen.«
Davon unbeeindruckt kündigte die israelische Armee gleichentags an, ihre Einsätze rund um Dschabalija und Beit Lahia im Norden auszuweiten und verstärkte sogleich die Bombardements. »Nachdem sie die meisten oder alle Menschen in Dschabalija vertrieben haben, bombardieren sie jetzt überall, töten Menschen auf den Straßen und in ihren Häusern, um alle zu vertreiben«, sagte ein Einwohner via Chat-App gegenüber Reuters. Und seit Mittwoch steigt die Sorge, nicht zurückkehren zu können. Dazu hieß es vom Militär: »Die Erklärung, die der IDF (israelische Streitkräfte) in den letzten 24 Stunden zugeschrieben wurde, und in der behauptet wird, dass es den Bewohnern des nördlichen Gazastreifens nicht erlaubt sei, in ihre Häuser zurückzukehren, ist falsch und spiegelt nicht die Ziele und Werte der IDF wider.« Später wurden erneut Evakuierungsbefehle ausgegeben.
Der Guardian hatte am Mittwoch den israelisch-US-amerikanischen Professor für Holocaust- und Genozidforschung Omer Bartov mit der Aussage zitiert: Der Angriff Israels auf Rafah im Mai sei der Wendepunkt gewesen. Hatte man auch zuvor schon die genozidale Absicht Israels erkennen können, wurde sie jetzt offenkundig. Was gerade in Dschabalija geschehe, wo in den vergangenen drei Wochen über 1.000 Menschen getötet wurden, sei »die letzte Phase dieses Völkermords«. Auch Egeland warnte, dass die Schaffung sogenannter humanitärer Blasen durch Israel letztlich zur Entvölkerung des Gebiets führen könnte.
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