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Aus: Ausgabe vom 09.11.2024, Seite 8 / Inland
Prozess wegen Kletterprotests

»Auf die Anklagebank gehören Klimakillerkonzerne«

Nordrhein-Westfalen: Verfahren gegen Kohlegegnerin nach Kletteraktion eingestellt. Ein Gespräch mit Cécile Lecomte
Interview: Yaro Allisat
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Ein Kohlegegner im Rollstuhl hängt an einem Seil von der Brücke über der A 44 nahe Titz in NRW (16.1.2023)

Das Verfahren gegen Sie vor dem Amtsgericht Jülich ist nun eingestellt worden, am 4. November sollte die Verhandlung stattfinden. Worum ging es dabei?

Ich habe mich an den Protesten in Lützerath mit der antiableistischen Aktionsgruppe »Rollender Widerstand« an einer Kletteraktion beteiligt. Wir haben eine Zufahrt zum Tagebau versperrt. Ich selbst habe eine körperliche Behinderung und nutze einen Rollstuhl. Es war uns wichtig, bei den Protesten in Lützerath dabei zu sein. Behinderte Menschen sind besonders von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Sie werden in Katastrophenschutzplänen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt, und Flucht ist für sie viel schwieriger als für Nichtbehinderte. Wir erinnern uns an die zwölf Menschen, die in einem Heim bei den Überschwemmungen im Ahrtal nicht gerettet wurden.

Vor Gericht wäre es um den Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegangen. Das passive Hängen in einem Seil soll nach der Phantasie der Staatsanwaltschaft den Tatbestand des Widerstands erfüllen, weil Klettern der Polizei erschwere, die Protestaktion zu räumen. Ein gewagter Vorwurf, wenn alles, was die Polizei schwierig findet, als Widerstand umdefiniert wird. Der Vorwurf passt zur zunehmenden Kriminalisierung der Klimabewegung.

Die Einstellung des Verfahrens wurde damit begründet, dass das »Verschulden zu gering« gewesen sei und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht bestehe.

Ich frage mich, wieso ein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Aktion jemals bejaht wurde. Ich wurde als einzige von unserer Aktionsgruppe von der Staatsanwaltschaft verfolgt, vermutlich wegen meines jahrelangen politischen Engagements. Auf die Anklagebank gehören Klimakillerkonzerne wie RWE, VW und viele andere. Dafür müsste es öffentliches Interesse an einer Verfolgung geben!

Lützerath ist verloren. In Ost und West wird weiter Kohle gebaggert. Wo steht die Klimaschutzbewegung aus Ihrer Sicht?

Die Klimabewegung ist im Moment ein bisschen in einem Tief, und der Staat geht mit zunehmender Repression vor. Hochkonjunktur haben Kriege, Populismus, eine künstlich aufgeblasene und rassistisch geführte Migrationsdebatte. Es ist nicht einfach, die Menschen in dieser gesellschaftlichen Stimmung zu mobilisieren. Aber die Auswirkungen der Klimakrise warten nicht. Daher ist es wichtig, den Widrigkeiten zum Trotz aktiv zu bleiben.

Sie thematisieren auch Barrierearmut im Alltag und Aktivismus. Wie kann die Klimaschutzbewegung in Deutschland barriereärmer werden?

Die Barrierefreiheit auf Camps oder bei Aktionen wird immer öfter mitgedacht. Aber es gibt noch viel Luft nach oben. Die Klimabewegung ist nicht frei von Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung oder chronisch Erkrankten aufgrund ihrer Fähigkeiten, jW), und es verlangt viel Energie, solche Denkmuster und Strukturen zu dekonstruieren, die bereits Bestandteil der Gesellschaft sind, in der wir leben. Im Alltag gibt es viele Barrieren. Um einige Beispiele zu nennen: Social-Media-Kommunikation ohne Bildbeschreibung, kaum Inhalte in einfacher Sprache, Onlinemeetings ohne Gebärdensprache, Treffpunkte mit physischen Barrieren wie Treppen. Die Klimabewegung wäre außerdem inklusiver, wenn sie intersektionaler wäre. Viel zu oft werden behinderte Menschen bei klimapolitischen Forderungen vergessen. Viel zu oft kämpfen Betroffene alleine für ihre Rechte. Obwohl die Kämpfe sich zusammenführen ließen.

Bis vor ein paar Tagen hat die UN-Weltbiodiversitätskonferenz, COP 16, in Kolumbien getagt. Welche Auswirkungen haben die Ergebnisse?

Ich war 2015 schon bei der 21. Vertragsstaatenkonferenz zur UN-Klimarahmenkonvention, COP 21, in Paris dabei und habe mich an einer Kletteraktion in der Grande Arche de La Défense beteiligt. Gipfel wie diese haben mich nie wirklich überzeugt. Es wird viel geredet, aber viele Entscheidungen sind in der Möglichkeitsform formuliert und die Beschlüsse werden so oder so nicht eingehalten. Die notwendige Systemfrage, die Kapitalismusfrage, wird nicht gestellt.

Cécile Lecomte ist Klimaschutz-, Antiatom- und Behindertenrechtsaktivistin sowie Mitherausgeberin der Zeitschrift Graswurzelrevolution

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