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Aus: Ausgabe vom 09.11.2024, Seite 8 / Ansichten

Härtefall des Tages: Mauerfall

Von Hagen Bonn
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»Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er.« 35 Jahre nach dem 9. November 1989 ist das Geschrei groß

Also, ich verstehe westdeutsche Feierkultur nicht. Da feiert man die Öffnung, also den Abriss der Berliner Mauer. Neulich sprach ich mit meinem Nachbarn darüber, einem ehemaligen Maurer, der meinte: »Die Mauer war doch noch gut, tipptopp, wieso musste die weg?« Ich fügte hinzu, dass die picobello Pflege der Anlage durch die Grenztruppen der DDR lobenswert war. Und warum? Das waren Fachkräfte! Schauen wir uns dagegen die Bundesregierung an. Wenn Fachkräftemangel, dann ja wohl dort!

Kann sich überdies jemand an die Leier von den »Brüdern und Schwestern« erinnern? Ich wusste schon 1990 über die neue Westfamilie: Herrgott, wer will denn mit so was verwandt sein? Also ich schon mal nicht! Wenn die Leute vor 35 Jahren gewusst hätten, was ihnen landschaftlich »blüht«, hätten sie an der Bornholmer Straße oder am Brandenburger Tor nicht gerufen: »Wir sind das Volk!« Sondern man hätten sich untergehakt und gebrüllt: »Wir sind die Mauer! Bleibt, wo ihr seid!«

Und da heutzutage die Mauer in den Köpfen doppelt so hoch ist wie das Original, wäre es Zeit, den »Aufbau Ost« konjunkturell neu zu denken. Verwandeln wir die ideologische Staatsgrenze doch wieder in die materielle Form! An ihrem ursprünglichen Ort. Ich spendiere eine Rolle Stacheldraht und einen Flutlichtmast. Als neue Regierung schlage ich (bisher einstimmig) den Kleingartenvereinsvorstand von nebenan vor. Deren Satzung ergibt wenigstens Sinn, ist alles fein säuberlich geregelt. Demokratisch wie nix, man spricht dort sogar mit Pflanzen; andererseits ist es verboten, Unkraut zu beleidigen. Verstehen Sie, was ich meine? Das wäre doch ein Anfang, ein neues »Auferstanden aus Ruinen«.

Noch mal zum Mauerfalltermin: Hätte man nicht ein paar Tage warten können? Da wäre »Volkstrauertag«, da wüsste dann jeder, was Sache ist.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Matthias A. aus Taufkirchen b. München (10. November 2024 um 17:03 Uhr)
    Sehr guter und passender Artikel. Ich schließe mich an und spende einen Sack Zement und 100 freiwillige Stunden für den Wiederaufbau. Matthias
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (9. November 2024 um 10:20 Uhr)
    Dieser humoristische Kommentar könnte so auch im »Tagesspiegel« oder einer politisch ähnlich ausgerichteten Publikation stehen. Er liest sich wie eine Satire auf die Kritiker der Wiedervereinigung und übergeht die vielen guten Gründe, für die es sich gelohnt hätte, auf die Wiedervereinigung zu verzichten, die Demokratisierung und die Transformation der DDR fortzuführen und die Kolonialisierung des Ostens durch den Westen zu verhindern. Oder wollte sich der Autor hier über Westdeutsche lustig machen, die sich auch insgeheim die Mauer zurückwünschen (aus anderen Motiven, versteht sich)?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (9. November 2024 um 08:07 Uhr)
    Sehr lustiger Text und sehr scharfsinnig. Jeder, der es hätte wissen wollen, hätte es wissen können. Aber die Umstände haben viele Menschen in die Fänge derer getrieben, denen die »Brüder und Schwestern« aus dem Osten ziemlich egal waren. Man hat schnell Willige gefunden, die ganz demokratisch, versteht sich, die Zügel in die Hand genommen und in die gewünschte Richtung manövriert haben. Da ging es von Anfang an nicht darum, die beiden Staaten zu vereinigen, wie heute immer wieder propagandistisch geschwafelt wird. Hier ging es um Okkupation der DDR, um ihr das alte und muffige BRD-System überzustreifen. Den gesellschaftlichen Entwicklungsstand der DDR-Bürger ignorierend, wurde damit begonnen, die Ossis zu angepassten Wessis zweiter Klasse umzuerziehen. Seit 35 Jahren wird den ehemaligen DDR-Bürgern auf allen Propagandakanälen suggeriert, in welchem Unrechtsstaat, Freiluftgefängnis und Unterdrückungssystem sie gelebt hätten. Und diejenigen, die es besser wissen, werden immer weniger, während die jüngere Generation keine Argumente hat. Und jedes Jahr am 9. November feiert sich das BRD-Establishment und lässt sich von DDR-Hassern bestätigen, dass sie die Guten sind. Außer in diesem Jahr. Da hat ein ausgewiesener und handverlesener Feind der DDR den Herrn Bundespräsidenten als Opportunisten entlarvt. So was kommt von so was.

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