Elefant in der Puppenstube
Von Pierre Deason-TomoryEs war nur ein Gerücht, das deshalb auch nicht dementiert werden musste, dass der deutschstämmige US-Präsident Donald Trump die Klassikerstadt Weimar besuchen würde. Doch tatsächlich saßen sich gestern zu später Stunde im Weimarer Rathaus der Protokollchef der Stadt und ein Gesandter aus Washington gegenüber.
»Werden sich Mr. President in dieser Ruine ins Goldene Buch der Stadt eintragen?«
»Nein. Es wird keine Eintragung ins Goldene Buch geben.«
»Das wäre ein diplomatischer Eklat!«
»Wir sind untröstlich, aber wir mussten unser Goldenes Buch verkaufen, um mit dem Geld die Häuser neu anzustreichen entlang der Straßen, die der Konvoi des Präsidenten passieren wird.«
»War das denn nötig?«
»Nicht unbedingt, aber wenn das Geld schon mal da ist …«
»Mr. President würden gerne gegenüber im Hotel Elephant übernachten.«
»Das geht leider auch nicht, aus historischen Gründen. Da hat der Hitler immer eingecheckt.«
»Das ist der Grund, warum Mr. President darauf bestehen. Er interessiert sich sehr für Geschichte. Welche Ihrer Universitäten wird nach Mr. President benannt?«
»Danke, die haben schon Namen. Wir dachten, Trump zu Ehren unser McDonald’s an der Autobahn umzubenennen in Donald’s McDonald’s.«
»Ein McDonald’s an der Autobahn?«
»Das ist nicht irgendein McDonald’s! Die Bude hat noch der Hitler eingeweiht! Aus Gründen ist es für Staatsgäste in Weimar übrigens Pflicht, die KZ-Gedenkstätte Buchenwald zu besuchen, wir erwarten …«
»Natürlich, Mr. President haben die Absicht, das KZ zu besuchen. Seine Freundin Alice Weidel soll ihn dabei begleiten.«
»Frau Weidel hat dort Hausverbot.«
»Was muss man tun, um Hausverbot in einem KZ zu bekommen?«
»Die Leitung duldet keine Faschisten in der Gedenkstätte.«
»Aber Mr. President dürfen rein? Immerhin ein Beweis, dass er kein Faschist ist.«
»Nun ja … ihm wird das sowjetische Speziallager auf dem ehemaligen KZ-Gelände gezeigt, da wurden nach 1945 Faschisten gefangengehalten. Aber kein Grund zur Sorge, die machen schon lange nüscht mehr. Danach steht eine Aufführung von Goethes ›Faust‹ auf dem Programm.«
»Dauert das lange?«
»Nein. Vier, höchstens fünf Stunden.«
»No way. Mr. President schlafen im Theater immer nach zehn Minuten ein.«
»Wird keiner mitkriegen, die Weimarer schlafen immer schon nach fünf Minuten ein. Neulich haben sie im Nationaltheater ›Hänsel und Gretel‹ statt ›Faust‹ aufgeführt – keine Reaktionen. Im Anschluss gibt es ein Galadinner mit Thüringer Küche.«
»Sehr gut. Trump will unbedingt eine Bratwurst mit Klößen kosten.«
»Das ist bei uns verboten. Jugendschutz. Eine Bratwurst und zwei Klöße auf dem Teller sehen aus wie ein frittierter Riesenpenis.«
»Schade. Das würde ihm sicherlich gefallen.«
»Lieber Mister Gesandter, bevor Sie sich weiter um Kopf und Kragen reden, muss ich das hier auflösen: Sie werden gerade gefilmt für die deutsche Fernsehshow ›Verstehen Sie Spaß?‹!«
»Is nich wahr! Und Sie werden gerade gefilmt für die amerikanische Ausgabe von ›Verstehen Sie Spaß?‹.«
»Scheiße! Wir haben uns gegenseitig gefaked! Was machen wir jetzt?«
»Wir bringen die Aufnahmen trotzdem. Die Leute merken eh nichts mehr.«
»Stimmt. Die Leute glauben sogar, dass Trump wirklich wieder zum Präsidenten gewählt worden ist.«
»Das ist kein Fake. Trump ist wirklich wieder Präsident. Habt ihr das in Weimar etwa verpasst?«
»In Weimar? Es gibt gar kein Weimar. Weimar hat es nie gegeben.«
»Klappe!« ruft es aus dem Off. Die Lichter gehen an, Bühnenarbeiter erscheinen und tragen die Kulissen und die beiden Darsteller weg.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (11. November 2024 um 01:48 Uhr)Eine ähnliche Glosse, wie die über einen fiktiven Staatsbesuch Trumps in Weimar mit allerlei übertriebenen Vorbereitungen, hätte junge Welt auch vor einigen Jahrzehnten veröffentlichen können. Hat sie damals aber nicht. Damals handelte es sich um einen Besuch Erich Honeckers gemeinsam mit dem österreichischen Staatspräsidenten in Weimar. Der gesamte Markt vor dem Hotel Elephant wurde tagelang gesperrt. Menschen, die dort nicht wohnten, wurden nicht durchgelassen. Die Bäckerei blieb auf ihrem vertrockneten Kuchen sitzen. Da ich zu diesem Zeitpunkt als Gastdirigent mitten in einer Probenwoche war, wohnte ich ebenfalls in diesem Hotel. Einige Herren erklärten mir dann, das Hotel müsse für zwei Tage geräumt werden, andernfalls würden sie mich im Zimmer einschließen. Da Sa/So ohnehin keine Proben stattfanden, versorgte ich mich mit Proviant und wählte letzteres. Diese zwei Tage im Hotel Elephant waren die (bisher) einzigen, die ich in Haft verbrachte in Form eines gemütlichen Partiturstudiums. Abends sah ich im Fernsehen, dass der Markt während des Staatsbesuchs dennoch rege bevölkert war, oh Wunder.
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