Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Palästina-Solidarität

Vom Staatsschutz verfolgt

Österreich: Flughafenangestellte verliert wegen propalästinensischer Zeichnung ihrer Tochter die Arbeit
Von Dieter Reinisch, Wien
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Solidarität mit den bedrängten Palästinensern widerspricht auch in Österreich der sogenannten Staatsräson (Wien, 4.5.2024)

Sie habe ihren Beruf geliebt, erzählt Dorra A., als sie jW in einem Wiener Kaffeehaus erstmals trifft. Über ein Jahr lang hat sie am Flughafen Wien-Schwechat gearbeitet. Ihre Chefin war sehr zufrieden mit ihr und hätte sie gerne weiterhin als Mitarbeiterin – das geht aus dem E-Mail-Verkehr zwischen Dorra A. und einer Schweizer Privatfirma hervor, die für die Gateabfertigung und andere Dienste zuständig ist. Dennoch musste ihr Dienstverhältnis gekündigt werden. Seit dem Sommer ist die 43jährige gebürtige Tunesierin nun arbeitslos. Eine Rückkehr an ihren ehemaligen Arbeitsplatz ist unmöglich.

Denn im November vergangenen Jahres hatte ihre damals 13jährige Tochter ein Plakat gezeichnet. Sie soll vier weiße A4-Blätter zusammengeklebt, darauf eine palästinensische Fahne gemalt und darüber »From the river to the sea, Palestine will be free!« geschrieben haben. So ist es zumindest in den Unterlagen der Landespolizeidirektion Wien (LPD) zu lesen, die Rechtsanwältin Astrid Wagner der jW zur Einsicht gab.

Dorra A. hat das darin erwähnte Plakat nie selbst gesehen: »Ich war damals in der Arbeit. Meine Tochter hat es auf den Balkon gehängt, und dann hat es irgendwann der Wind weggeblasen.« Doch in dieser Zeit hat jemand das Plakat fotografiert – in einer wenig frequentierten Sackgasse im 21. Wiener Gemeindebezirk. Das Foto kam dann in die Hände des österreichischen Verfassungsschutzes, offizieller Name: Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Der digitalen Akte über Dorra A. ist es in schlechter Qualität beigelegt – was auf dem Plakat zu lesen sein soll, ist nicht erkennbar.

An einem Sonntag standen dann zwei DSN-Beamte vor der Wohnungstür: »Ein Mann und eine Frau, die um Einlass fragten«, berichtet die Tochter jW. Eintreten lassen hat sie die beiden nicht, ein paar Fragen haben sie dennoch gestellt – ohne Beisein oder Zustimmung einer erwachsenen Vertrauensperson. Denn die Mutter war an jenem Sonntag abermals im Dienst. Was Dorra A. zu jenem Zeitpunkt noch nicht wusste: Gegen ihre Tochter war ein Strafverfahren eingeleitet worden. Vorwurf: »Gutheißung einer terroristischen Straftat«.

Die LPD lud Dorra A. als Zeugin im Ermittlungsverfahren gegen ihre Tochter vor. Am 9. Januar 2024 wurde sie befragt. Das Protokoll liegt jW vor. Bei der Zeugenvernehmung wurde sie über das Plakat, seine Anbringung und Entfernung befragt. Am 24. Januar informierte die Staatsanwaltschaft Wien sie über die Einstellung des Verfahrens, den »Vorwurf des Gutheißens einer terroristischen Straftat im November 2023 durch Anbringung eines Plakats am Balkon der Wohnung« betreffend.

Genau ein halbes Jahr später erreichte Dorra A. allerdings im Urlaub in Tunesien eine E-Mail von ihrer Firma: »Meine Chefin schrieb mir, dass ihr das Umweltministerium mitgeteilt hat, dass meine Zuverlässigkeitsprüfung negativ ausgefallen sei. Sie wisse nicht, was los sei. Vielleicht müsse sie meinen Urlaub verlängern.« Dorra A. arbeitete damals in der Duty-free-Zone des Flughafens. Dafür muss jährliche eine Zuverlässigkeitsprüfung (ZÜP) durchgeführt werden. Übermittelt wird das Ergebnis durch das von der grünen Partei geführte Umweltministerium, das für den Flughafen zuständig ist.

Doch auf Nachfrage durch Anwältin Wagner verwies das Umweltministerium darauf, dass das Innenministerium die ZÜP durchführe. Am 5. September antwortete dieses durch die DSN: »Gemäß Paragraph 140 d Luftfahrtgesetz (LFG) haben die Sicherheitsbehörden an der Durchführung von Zuverlässigkeitsüberprüfungen gemäß Paragraph 134 LFG mitzuwirken.« Doch heißt es weiter: »Es wird angemerkt, dass bei Verfahren nach dem LFG in der DSN kein AVG-Verfahren und somit auch kein Recht auf Akteneinsicht vorgesehen ist.« AVG ist das Allgemeine Verwaltungsgesetz Österreichs.

Kurz: Das DSN hatte Dorra A. eine negative ZÜP ausgestellt, doch sie erhielt zunächst keine Auskunft. Das Dienstverhältnis musste nach dem Aufbrauchen ihres Resturlaubs beendet werden: »Wir haben uns freundschaftlich getrennt. Die Firma kann nichts dafür, und meine Chefin versicherte mir, sie wolle mich sofort wieder einstellen, sobald ich eine positive ZÜP habe.« Doch danach sieht es nicht aus: Dorra A. forderte ihre personenbezogenen DSN-Daten am 12. September an. Am 9. Oktober erhielt sie ein paar Seiten, alle in weiten Teilen geschwärzt. In Anlage 1 ist zu lesen: »Negative Zuverlässigkeitsprüfung«. Anlage 5 ist ein Eintrag, der am 14. November 2023 angelegt wurde und als »archivwürdig« eingestuft wurde. Auch dieser ist geschwärzt, zu lesen ist: »Wahrnehmungsmeldung – Anti-Israel-Plakat«.

Dorra A. wurde also im Sommer 2024 eine negative ZÜP ausgestellt, da ihre Tochter im November 2023 ein Plakat mit palästinensischer Flagge gezeichnet hatte, das sie selbst nie zu sehen bekam. Die alleinerziehende Mutter ist nun arbeitslos, da der Verfassungsschutz sie als »nicht zuverlässig« eingestuft hat. Ob das auch Einfluss auf ihren aktuellen Antrag auf österreichische Staatsbürgerschaft hat, ist unklar. Im kommenden Jahr hat sie dafür den nächsten Termin beim Amt.

»Ich denke, es ist unmenschlich, dass jemand entscheidet, dass aufgrund dieses Plakats meine Zuverlässigkeit negativ ist«, betont Dorra A. gegenüber jW: »Diese Personen, die das entschieden haben, kennen mich nicht, sie wissen nicht, was ich denke und wie ich lebe.« Sie sei nicht mehr davon überzeugt, dass Österreich ein freier Rechtsstaat sei.

Ihre Tochter habe sie bei ihrem letzten Aufenthalt in Tunesien gefragt, ob sie nicht dort bleiben könnten: »Sie hat mir gesagt, sie will nicht mehr nach Österreich zurück. Sie hat Angst.«

Hintergrund: ZÜP

Um am Flughafen Wien-Schwechat arbeiten zu können, braucht man eine positive Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZÜP) durch die Behörden. Ihre Kriterien sind nicht einsehbar. Vor Beginn des Dienstverhältnisses muss der Antrag selbst online gestellt – und bezahlt – werden. Arbeitet man bereits dort, wird alle fünf Jahre eine neue ZÜP fällig. Bei Personal, das im Sicherheitsbereich tätig ist, bedarf es einer jährlichen positiven ZÜP. Dies war bei Dorra A. der Fall, denn sie arbeitete im Duty-free-Bereich, also nach dem Sicherheitscheck für Passagiere und Personal.

In Auftrag gegeben wird die ZÜP vom Betroffenen, also dem Angestellten bzw. der Firma, die ihn angestellt hat. Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie administriert die ZÜP, da es für den Flughafen zuständig ist. Es kommuniziert auch die Ergebnisse. Durchgeführt wird die ZÜP allerdings von den »Sicherheitsbehörden«, die dem Bundesministerium für Inneres unterstellt sind, wie auch aus der Korrespondenz von Rechtsanwältin Astrid Wagner mit dem Ministerium und dem »Verfassungsschutz« DSN ersichtlich ist. Im Fall von Dorra A. hat dieser die ZÜP durchgeführt und sie als »nicht zuverlässig« eingestuft.

Vermutet wird, dass ein Grund für die negative ZÜP war, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Dorra A.s Tochter wegen »Gutheißung terroristischer Straftaten« eingestellt hat, da diese zur Tatzeit noch nicht strafmündig war. Statt dessen wird das selbstgemalte Plakat nun der Mutter zum Verhängnis. Gegen die ZÜP kann Einspruch innerhalb einer Frist gelegt werden. Auf den Websites genannter Ministerien findet man über die Möglichkeit des Einspruchs aber keine genauen Informationen.

Rechtsanwältin Wagner sieht als einzigen Ausweg eine Klage gegen die Republik. Doch diese könnte von Beginn an aussichtslos sein. Denn der DSN dürfte die Informationsweitergabe verweigern: Schließlich gilt die malende Tochter als Gefahr für die nationale Sicherheit. (dr)

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