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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Nahostkonflikt

»Intifada« nicht erlaubt

Österreichs Geheimdienst wittert hinter jeglicher Palästina-Solidarität »Hamas«
Von Dieter Reinisch, Wien
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Nach Auffassung des Staatschutzes verbergen sich hinter Friedenscamps für Palästina gefährliche Hamas-»Terroristen« (Wien, 7.5.2024)

In der Nacht auf den 9. Mai 2024 wurde nach drei Tagen das Studentencamp in Solidarität mit Palästina auf einem Grundstück der Universität Wien von der Polizei geräumt. Während der Räumung sagte der Sprecher der Wiener Polizei, Mattias Schuster, im jW-Interview, dass das Lager nach regelmäßigen Überprüfungen durch den Verfassungsschutz beendet wurde, weil es vermehrt zu gewaltverherrlichenden Aussagen gekommen sei: »Es gab Rufe in Zusammenhang mit Palästina, die einen strafrechtlichen Tatbestand beinhalten.« Auf mehrfache Nachfrage gab Schuster schließlich an, dass geräumt worden sei, da zu »Intifada«, dem arabischen Wort für »Aufstand«, aufgerufen worden sei. In der Tat wurde hinsichtlich der palästinasolidarischen Studentencamps auf beiden Seiten des Atlantiks von einer »Student Intifada« gesprochen.

Ein Verbot des Begriffs »Intifada«, das eine Auflösung von Versammlungen rechtfertigen würde, war zur Zeit der Räumung jedoch nicht bekannt. Am 28. Oktober wurde dann Walter Höller, der eine Mandantin im Zusammenhang einer späteren Räumung eines weiteren Camps vor der Technischen Universität Wien vertrat, bei einem Gerichtstermin am Wiener Verwaltungsgericht im 19. Bezirk ein Schreiben überreicht, wie er jW berichtete. Es handelt sich um eine Dienstanweisung des Verfassungsschutzes DSN, datierend vom 8. Mai 2024, also dem Tag der Campauflösung auf dem Gelände der Universität Wien. Der Titel lautet: »Versammlungsrecht: Einschätzung der Begriffsverwendung ›Intifada‹ durch Versammlungsteilnehmer/innen«.

Zu lesen ist (Hervorhebungen im Original): »In der jüngeren Geschichte haben pro-palästinensische Gruppen oder Terrororganisationen wie die HAMAS immer wieder zu ›Intifadas‹ aufgerufen. Im aktuellen Kontext ist dieser Begriff vor dem Hintergrund der am 27./28. Oktober 2023 begonnenen Militäroperation ›Iron Swords‹ der IDF zu sehen.« IDF, das ist die israelische Armee. Weiter heißt es: »Der Begriff ist als Aufruf zum gewaltsamen Widerstand bzw. Aufstand gegen die angeführte Militäraktion zu sehen. Insbesondere durch den Aufruf der Terrororganisation HAMAS zu ›Intifadas‹ sind unter diesen gewaltsamen Widerstand auch terroristische Straftaten zu subsumieren.« Daher, lautet das Fazit, bestehe bei der Verwendung des Wortes »Intifada« der Verdacht, dass »terroristische Straftaten zumindest gutgeheißen werden«.

Die Anwältin Astrid Wagner hebt jedoch gegenüber jW hervor, dass dies »wie die Repression wegen ›From the river to the sea‹ der Rechtslage widerspricht«. Das beweisen mehrere Gerichtsverfahren, in denen die Verbote wieder gekippt wurden. Doch handele es sich bei dem Dokument vom 8. Mai nicht um einen Bescheid, sondern um »eine Dienstanweisung an die Unterbehörden«, also die Polizei, so Höller. Im Gegensatz zu einem Bescheid kann eine Dienstanweisung nicht beim Verwaltungsgericht bekämpft werden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Martin Mair aus Söchau (10. November 2024 um 23:15 Uhr)
    Eine Dienstanweisung an sich kann nicht direkt bekämpft werden, aber einen Haftungsanspruch des Verfassers der Dienstanweisung entsprechend Amtshaftungsgesetz auslösen. Dienstanweisungen sind natürlich entsprechend Informationsfreiheitsgesetz zu beauskunften. Nur wer tut sich die Arbeit an bzw. hat das nötige Kleingeld, um Amtshaftungsklagen vorzufinanzieren bzw. im Falle der Erfolglosigkeit die Kosten zu tragen? Das Skandieren von Rufen wie »Intifada« sollte allerdings schon kritisiert werden, weil eben diese altbackenen, machistischen Widerstandsmythen einen wirksamen, gewaltfreien Widerstand, eine Zusammenarbeit mit der israelischen Friedensbewegung erschweren. Nur wenn alle emanzipatorischen Kräfte sich zusammen tun, statt sich in Einzelkämpfen aufzureiben, besteht Aussicht auf Erfolg, auf einen echten Frieden in Freiheit und Wohlergehen für möglichst alle!

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