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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Das Ding mit der Solidarität

Reaktionen nach den Vorkommnissen von Amsterdam. Ein Kommentar
Von Mathias Dehne und Raphael Molter
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In Alarmbereitschaft: Die Amsterdamer Polizei kompensiert Versagen mit Extraschichten (9.11.2024)

Nach den Auseinandersetzungen am Donnerstag abend im Anschluss an das Europa-League-Spiel zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv (jW berichtete), sind viele Dinge weiterhin ungeklärt. Einig sind sich hierzulande lediglich Bundesregierung, Politiker von Die Linke und antideutsche (­Ultras-)Gruppen. Sie folgen offenbar der Annahme, dass dreimal rechts abbiegen auch links ergibt und bekunden unisono ihre Solidarität mit rechten israelischen Fußballfans.

So entrüstete sich Freitag mittag die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Die Linke) auf dem Kurznachrichtendienst X: »Juden*Jüdinnen in #Amsterdam werden aufgefordert, in Hotels zu bleiben, jüdische Symbole und Erkennungsmerkmale zu verstecken. Sie werden gejagt. Mitten in Europa. Der als ›Israelkritik‹ verschleierte Antisemitismus zeigt sein wahres Gesicht.« Außen vor lässt sie, dass die Aufforderung der israelischen Botschaft, wie Al-Majadin Español schreibt, Staatsbürgern galt und sie zum Verzicht auf Plakate aufforderte, die auf ihre israelische Identität in der Öffentlichkeit hinweisen. Auch der sächsische Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, ebenfalls Die Linke, schrieb: »Europa muss gegen jede Form von Antisemitismus zusammenstehen und Menschenhass entschlossen entgegentreten«. Weiter im Abwärtsstrudel der Solidarität geht es Freitag abend auf dem Protest eines Bündnisses israelsolidarischer Gruppen gegen eine propalästinensische Kundgebung in Leipzig. Neben Israel-Fahnen ist dort auch ein Pappschild mit der Aufschrift »We stand with Maccabi!« zu sehen. Der moralische Kompass zeigt auch in diesem Fall klar auf die deutsche Staatsräson.

Deutlich jedoch wurde in diversen Videos und Augenzeugenberichten der Ereignisse eigentlich nur eins: Die Übergriffe erfolgten nicht aus heiterem Himmel. »Sie (Anhänger von Maccabi, jW) begannen, Häuser von Menschen in Amsterdam mit palästinensischen Flaggen anzugreifen, und damit fing die Gewalt an«, sagte der Stadtrat Jazie Veldhuyzen am Freitag gegenüber Al-Dschasira. Der Mitbegründer der neuen antikolonialen Partei De Vonk erklärte weiter: »Als Reaktion darauf haben sich die Amsterdamer mobilisiert und sich gegen die Angriffe gewehrt, die am Mittwoch von den Maccabi-Hooligans ausgingen.« Das jüdische, antizionistische Kollektiv Erev Rav sagte deshalb eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht für Sonnabend in Amsterdam ab.

Die Speerspitze der oft rechten und Netanjahu-treuen Anhänger von Maccabi ist die Ultras-Gruppe Maccabi Fanatics. Laut diversen Berichten sollen diese sich als einzige gegen Angriffe aktiv gewehrt haben. Wenn nun von einer vorab bekannten Gefahrenlage berichtet wird (siehe Die Zeit), wird zudem vernachlässigt, dass die Maccabi Fanatics eine Freundschaft zu den Ultras Amsterdam des Gastgebervereins Ajax pflegen. Dies bezeugen gemeinsame Graffiti, Fahnen, aber auch gegenseitige Spielbesuche. Eine Gefahrenlage mit direktem Fußballbezug war folglich nicht zu erwarten gewesen.

Im deutschen Profifußball äußerten sich bereits einige Klubs und schlugen in dieselbe Kerbe wie die Politik: »Antisemitismus«, »Pogrom«, »antijüdischer Horror«. Organisierte Fans zeigen sich bis auf wenige Ausnahmen unkritisch oder stellen sich auf die Seite der Fans von Maccabi Tel Aviv. Die Ultras Endeavor 3000 von Werder Bremen entrollten am Sonnabend ein Spruchband mit der Aufschrift »Solidarität mit Betroffenen antisemitischer Gewalt! Pogromen entgegentreten – nie wieder ist immer!«

Was viele linke Ultras-Gruppen hierzulande schnell vergessen: Sie selbst sind dabei, in die bürgerliche Mitte zu rutschen. Wer sich bei Antisemitismusanschuldigungen und Berichten über vermeintliche Pogrome von der Räson desselben Staates leiten lässt, der es seinen Prügeltruppen nur zu gerne überlässt, Wochenende für Wochenende mit Gewalt und Repression gegen Fans vorzugehen, hat die Rebellion ab- und den Maulkorb angelegt. Das republikweite Schweigen zum Genozid in Gaza, arbeitsrechtliche Konsequenzen für Berufsspieler wie Anwar El Ghazi (ehemals FSV Mainz) aufgrund von palästinasolidarischen Gesten – all das bleibt ohne Kritik aus den Kurven. Es scheint, als hätten deutsche Ultras längst die »Sprache des Imperiums« (D. Losurdo) übernommen.

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