»Nach Neuwahlen könnte es nicht mehr klappen«
Interview: Gitta DüperthalViele Organisationen sehen nach dem Ende der Ampelkoalition Projekte ihres Interesses gefährdet, weil diese möglicherweise gar nicht mehr umgesetzt werden könnten. Juristenverbände fordern trotz Regierungskrise, das Gesetz zum Bundesverfassungsgericht zu ändern.
Das Gesetzesvorhaben, das Bundesverfassungsgericht zu schützen, hat einen Konsens bei Ampel und Union. Es ist abstimmungsbereit. Wichtig ist, es in diesem Jahr zu beschließen, weil absehbar ist, dass es nach den Neuwahlen im nächsten Jahr nicht mehr klappen könnte. Die Mehrheitsverhältnisse könnten sich dann so ändern, dass eine dafür notwendige Zweidrittelmehrheit nicht mehr vorhanden wäre. Würden etwa Parteien wie die FDP oder die Linkspartei an der Fünfprozentklausel scheitern, könnte die AfD auf sehr viele Mandate kommen. Beim BSW weiß man nicht, wie es sich verhalten wird. Es ist eine Wundertüte.
Das Gesetz wird begründet mit dem »Schutz« des Bundesverfassungsgerichts vor einer rechten Umbesetzung durch die AfD. Was könnte passieren?
Wir haben gesehen, wie schnell der Umbau des höchsten Gerichtshofs in anderen Staaten vonstattenging, zum Beispiel in Polen. Damit es nicht zu solchen Entwicklungen kommen kann, wie etwa auch unter der ersten Trump-Regierung in den USA, wo nun sechs von neun Richtern des Supreme Court äußerst konservativ und zugleich auf Lebenszeit ernannt sind. Diese höchsten Gerichte waren schlecht geschützt. Wir müssen einen Schutz installieren.
Wie werten Sie das Treiben der Unionsparteien, den Kanzler zum Stellen der Vertrauensfrage zu drängen und anderenfalls jegliche inhaltliche Arbeit zu verweigern?
Wir finden es brandgefährlich. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Unionsparteien aus vorgezogenem Wahlkampfkalkül politisiert und sachfremd vorgehen, statt verantwortungsvoll dringend erforderliche Dinge jetzt noch umzusetzen: zumal solche, die sie selber sogar befürwortet hatten. Das ist schäbig.
In welchen Bereichen könnten Entscheidungen eines rechts umbesetzten Verfassungsgerichts problematisch sein?
Zum Beispiel beim Thema Wohnungsnot, wenn es um die Frage der Enteignung von großen Immobilienkonzernen geht, obgleich Artikel 15 Grundgesetz eine Vergesellschaftung ausdrücklich vorsieht. Auch beim Thema Schwangerschaftsabbruch könnte ein so umgebautes Gericht das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren eigenen Körper geringschätzen und nur auf den Schutz des ungeborenen Lebens abheben.
Könnte eine Gesetzesänderung das Bundesverfassungsgericht wirklich sicher vor rechten Einflüssen bewahren?
Komplett zu sichern ist es nicht. Nimmt man aber die bereits im Bundesverfassungsgerichtsgesetz existenten Regelungen in die Verfassung auf, dann wären sie nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit zu ändern. Das Gesetz regelt die Kompetenzen des Gerichts und den Ablauf dort. Bislang läuft alles nach alten demokratischen Gepflogenheiten: Die Parteien im Bundestag einigen sich auf eine Besetzung mit einer Verfassungsrichterin oder einem -richter. Mit dem Erstarken der AfD ist nicht mehr davon auszugehen, dass das weiterhin so passiert.
Das Bundesverfassungsgericht war auch bisher partei- und wirtschaftsnah besetzt.
Das Gericht ist mit dem Vorschlagsrecht der Parteien politisch besetzt. Der Grund dafür ist, dass so widergespiegelt werden kann, welche politischen Positionen in der Gesellschaft vertreten sind. Es gibt etwa sehr konservative Vorschläge der Unionsparteien oder eher progressivere der Grünen. Mit extrem rechtem Einfluss ist die Gefahr, dass deren Urteile nicht mehr die unterschiedlichen Positionierungen abbilden.
Hängt die Entwicklung extrem rechter Einflüsse dort nicht letztlich auch mit dem Erstarken marktradikaler Kräfte im Kapitalismus zusammen?
Klar birgt das Risiken. Das Verfassungsgericht soll Grundrechte der Bürger bewahren, somit auch ein Bollwerk gegen eine neoliberale Entwicklung sein.
Lukas Theune ist Rechtsanwalt in Berlin und Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 21.03.2024
AfD setzt auf Karlsruhe
- 31.01.2024
Schutzschild für Karlsruhe
- 24.01.2024
Portal berichtet über Pläne einer neuen Syrien-Orientierung der USA
Mehr aus: Inland
-
BDI fordert »Souveränität«
vom 12.11.2024 -
Union verweigert Deal
vom 12.11.2024 -
Lob aus Israel
vom 12.11.2024 -
Kurs auf Prellbock
vom 12.11.2024 -
Teure Immobilien, hohe Mieten
vom 12.11.2024