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Aus: Ausgabe vom 12.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Nahostkonflikt

Ein Jahrzehnt Besetzung

Die US-Präsenz in Syrien soll das Land schwächen und destabilisieren
Von Wiebke Diehl
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Unangekündigter Besuch: Generalstabschef Mark Milley inspiziert US-Truppen im Nordosten Syriens (4.3.2023)

Falls es zu Kämpfen zwischen der Türkei und kurdischen Kämpfern kommen sollte, werde der neugewählte US-Präsident Donald Trump die US-Truppen lieber aus Nordostsyrien abziehen, als sie zu »Kanonenfutter« werden zu lassen. Dies habe Trump ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, so der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy jr., der seine Bewerbung im August zugunsten Trumps zurückgezogen hat, vergangene Woche in einem Gespräch mit dem US-Journalisten Tucker Carlson.

Erst im vergangenen Dezember hat der US-Senat mit einer überwältigenden Mehrheit von 84 zu 13 Stimmen einen Gesetzentwurf abgelehnt, der Präsident Joe Biden zum Abzug der mindestens 900 in Syrien stationierten US-Soldaten verpflichten sollte. Senator Rand Paul hatte argumentiert, gegen die seit dem 7. Oktober 2023 deutlich intensivierten Angriffe der »Achse des Widerstands« könnten sich diese nicht ausreichend verteidigen. Hinzu kämen die türkischen Angriffe auf kurdische Milizen in Nordostsyrien, bei denen die US-Soldaten ebenfalls zwischen die Fronten zu geraten drohten. Im März stimmte auch das Repräsentantenhaus für die Belassung der US-Truppen in Syrien.

An der syrisch-jordanisch-irakischen Grenze im Südwesten Syriens und in den von kurdisch dominierten Kräften kontrollierten Gebieten westlich des Euphrat im Nordosten unterhält Washington 28 militärische Einrichtungen, 24 davon Militärbasen, die sich bevorzugt in der Nähe der wichtigen syrischen Gas- und Ölvorkommen befinden. Als rechtliche Grundlage wird die militärische Ermächtigung des US-Kongresses von 2001 herangezogen, mit der nach den Anschlägen vom 11. September mehr als 40 Militäreinsätze in mindestens 19 Ländern »legitimiert« worden waren. Begründet hat man das militärische Eingreifen in Syrien im Jahr 2014 mit der Notwendigkeit, terroristische Gruppen zu bekämpfen, die von den USA allerdings schon seit Jahren gefördert worden waren.

Die US-Besatzungssoldaten stehlen in Kooperation mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDK) seit Jahren syrischen Weizen und syrisches Erdöl. So entzieht man Damaskus für die Versorgung der Bevölkerung benötigte Ressourcen und verstärkt die negativen Auswirkungen der Sanktionen, die mit der Verhängung des Caesar-Acts im Jahr 2020 verschärft worden sind. In der ersten Präsidentschaft Trumps erging gar eine Genehmigung an das US-amerikanische Unternehmen Delta Crescent Energy LLC, syrische Ölfelder zu erschließen. Ziel der US-Besetzung ist es, die »Achse des Widerstands« zu schwächen und die Wiederherstellung der syrischen Souveränität über das gesamte Staatsgebiet sowie den Aufbau von Landverbindungen über den Irak und Syrien zum Mittelmeer durch Iran zu verhindern. Außerdem will man den Einfluss Russlands, das 2015 auf Bitten der Regierung von Baschar Al-Assad in den Krieg eingegriffen hat, in Syrien und der gesamten Region schwächen sowie Chinas Initiative der »Neuen Seidenstraße« behindern.

Der seit Jahren geübte Widerstand gegen die US-Besetzung Syriens hat sich seit dem 7. Oktober 2023 erheblich verstärkt. Wie die US-Militärbasen im Irak werden Stützpunkte in Syrien regelmäßig angegriffen, mit dem Ziel, einen Abzug der US-Truppen zu bewirken. Auch einheimische arabische Stämme leisten zunehmend Gegenwehr. Letztere stehen seit über zwei Jahren in offenem bewaffnetem Konflikt mit den SDK. Anfang Oktober sind die Kämpfe zwischen beiden Seiten in der ostsyrischen Provinz Deir Al-Sor erneut aufgeflammt.

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  • Leserbrief von Jeanette Rassmann aus Königs Wusterhausen (14. November 2024 um 08:35 Uhr)
    In diesem Artikel wird komplett unterschlagen, dass der syrische Staat auch ein Embargo gegenüber den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien aufrechterhält. In diesen Gebieten befinden sich große Gefangenenlager, in denen IS-Kämpfer und deren Familien, auch ausländische, von den kurdischen Kräften mit Hilfe der US-Kräfte bewacht und unterhalten werden. Türkische Angriffe per Luftwaffe und Drohnen richten sich in diesen Gebieten permanent gegen Energieversorgungseinrichtungen, Lebensmittelspeicher, landwirtschaftliche Einrichtungen. Gleichzeitig werden gezielt Führungskräfte der Selbstverwaltung per Drohne getötet. Ja, die Ökonomie der Selbstverwaltung stützt sich auch auf Ölverkäufe. Es gibt Seitens der Selbstverwaltung Verhandlungsangebote an die syrische Regierung über einen Autonomiestatus und über Warenaustausch, die von Regierungsseite abgelehnt werden. Dass die USA eigene Interessen verfolgen, ist auch den Kräften vor Ort klar, es ist ein fragiles Zweckbündnis. Frau Diehl sollte auch einmal die kurdischen Gebiete besuchen, sich deren Standpunkte anhören und nicht immer nur einseitig die Positionen der syrischen Regierung vertreten.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (13. November 2024 um 14:15 Uhr)
    »Die US-Besatzungssoldaten stehlen in Kooperation mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDK) seit Jahren syrischen Weizen und syrisches Erdöl. So entzieht man Damaskus für die Versorgung der Bevölkerung benötigte Ressourcen und verstärkt die negativen Auswirkungen der Sanktionen, die mit der Verhängung des Caesar-Acts im Jahr 2020 verschärft worden sind«. Dank an Wiebke Diehl, dass hier die fragwürdige, schändliche Rolle der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) thematisiert wird.

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