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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 7 / Ausland
Konflikt in Osteuropa

Kontrapunkt in Sotschi

Russland: Beim Waldai-Forum hat sich Präsident Putin ebenso konziliant wie unnachgiebig gezeigt
Von Reinhard Lauterbach
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Ist langen Reden nicht abgeneigt: Der russische Präsident Putin auf dem Waldai-Forum (Sotschi, 7.11.2024)

Zum Ukraine-Krieg hat sich Wladimir Putin beim diesjährigen Treffen der Denkfabrik Waldai-Forum in der vergangenen Woche in Sotschi nur auf Nachfrage des moderierenden Chefredakteurs der Zeitschrift Russia in Global Affairs, Fjodor Lukja­now, geäußert. Dabei sagte er nicht viel Neues. Er begründete das Recht der Bewohner von Krim und Donbass, sich von der Ukraine zu trennen, mit dem vorangegangenen Staatsstreich in Kiew und juristisch mit einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs der UNO im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt vor 25 Jahren. Wenn damals die Albaner im Kosovo aus dem serbischen Staat hätten austreten dürfen, ohne Serbien um Erlaubnis zu fragen, dann gelte dieses Prinzip auch für die Bewohner des Südostens der Ukraine. Putin allerdings nannte diese Menschen im selben Atemzug plötzlich »Bewohner historisch russischer Gebiete« und verlagerte damit den Akzent von der Ebene kollektiver Menschenrechte auf die historisch begründeter russischer Gebietsansprüche. Wenn man solche immer zum Argument machen wollte, wäre die Pandorabüchse des ewigen Revisionismus weit geöffnet.

Gleichzeitig gab sich Putin aber gegenüber dem Westen dialog- und kontaktbereit. Nur müsse die Initiative zu solchen Kontakten vom Westen ausgehen – dieser habe sie schließlich von sich aus abgebrochen und den Versuch unternommen, Russland eine »strategische Niederlage« zuzufügen. »Strategische Niederlage« bedeute, Russlands Existenz bzw. – das setzte er gleich – Existenz als Großmacht zu negieren. Solange dieser negative Ansatz so bleibe, gebe es nichts zu verhandeln. Auch nicht auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle. In der Sache ist Putin also nicht verhandlungsbereiter geworden, er sagte es nur in konzilianterer Form. Damit nimmt er sicherlich Rücksicht darauf, dass Russland sich unter seiner Führung als Verbündeter des globalen Südens in dessen antikolonialer Emanzipation versteht und gut weiß, dass ein allzu stures Beharren auf den historischen Begründungen der russischen Kriegsziele außerhalb seines Landes nur auf begrenztes Verständnis stößt. Indien und China als die wichtigsten BRICS-Partner Russlands haben mehrmals deutlich gemacht, dass sie lieber heute als morgen eine Verhandlungslösung anstreben. Dem hat Putin Rechnung getragen und seinen Standpunkt so definiert, dass der Schwarze Peter, warum es keinen Dialog gebe, beim Westen landet.

Zur Lage des eigenen Landes vermied Putin jeden Triumphalismus: keine Rede mehr davon, dass Russland den Sanktionen erfolgreich Paroli geboten habe. Mit dem Vorwurf an den Westen, er wolle Russland schädigen, räumte Putin ein, dass diese Schädigung auch eingetreten ist. Pläne, den US-Dollar entthronen zu wollen, bestritt er. Es gehe nur darum, ihm eine andere Finanzordnung an die Seite zu stellen. Wie auch die russische Zivilisation der westlichen in keiner Weise feindlich gegenüberstehe, sie wolle nur neben ihr aus eigenem Recht bestehen können. Wie sehr er selbst »Westler« ist, demonstrierte er mit einem Zitat des »Verweile doch!« aus Goethes »Faust«: Der Westen versuche vergeblich, den Augenblick aufzuhalten, weil er so schön sei.

Was die Weltordnung angeht, so lieferte Putins mehrstündige Rede ein Gemisch aus Versatzstücken des historischen Materialismus mit unmaterialistischem Inhalt. Die Menschheit lebe in der Epoche einer neuen Revolution ähnlich der Französischen oder Russischen, diese »historische Dialektik« lasse sich nicht außer Kraft setzen. Dabei strebe sie nach einer gleichberechtigten Welt, in der alle an den Früchten des global erzeugten Reichtums teilhaben. Das schönste Argument brachte Putin, als er forderte, die Weltöffentlichkeit müsse »polyphon« zusammenarbeiten, damit jede Stimme zu hören sei. Dass Putin oder seine Redenschreiber große Musikkenner wären, hat noch nie jemand behauptet. Aber jeder Kontrapunkt hat einen Generalbass, auf den sich alles stützt – in Putins Kontext wären das die Großmächte. Im übrigen hat nicht einmal Johann Sebastian Bach Fugen zu mehr als acht Stimmen (im »Musikalischen Opfer«) geschrieben, Staaten aber gibt es an die 200.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (17. November 2024 um 16:02 Uhr)
    Inzwischen hat Thomas Röper eine Übersetzung der betreffenden Äußerungen Putins veröffentlicht. Der Artikel von Herrn Lauterbach ist da um den wichtigen Punkt zu ergänzen, nämlich dass Putin erneut daran erinnert hatte, dass Russland mit den Donbass-Republiken »entsprechende zwischenstaatliche Verträge« Verträge abgeschlossen hätte, aufgrund derer Russland den Donbassrepubliken zur Hilfe gegen Kiewer Feindseligkeiten verpflichtet wäre. In seiner Rede zum Kriegseintritt vom 24.2.2022 hatte Putin etwas deutlicher ausdrücklich das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta genannt und damit angesichts von Selenskijs Atombombendrohung auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom 19.2.2022 auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht der Donbass-Republiken verwiesen. Vielleicht nimmt man diesen haltbarsten Strang der russischen Begründung für den Eintritt in den Donbass-Krieg im Westen jetzt nach der Wahl Trumps ja mal etwas besser wahr. In der Vergangenheit ist Putins Hauptgrund bedauerlicherweise von der westlichen Propagandablase weitgehend ignoriert worden, um sich stattdessen um so intensiver an unwichtigeren Nebensträngen der russischen Argumentation oder an schlichtweg erfundenen Kriegsgründen abzuarbeiten. Dass Putin nun erneut auf das Selbstverteidigungsrecht der Donbassrepubliken hingewiesen hat, deutet auch auf eine gewisse Unabhängigkeit von China. Denn wenn Kosovo und Donbass ein Sezessionsrecht und Selbstverteidigungsrecht haben, dann natürlich auch Taiwan. Das wird durch einen Verweis auf die Historie nur unwesentlich abgeschwächt, denn ob Geschichte maßgeblich ist oder nicht, das hängt entscheidend davon ab, wie sie von den Menschen gewertet wird. Das ist höchst subjektiv. Einen aus sich selbst heraus validen Grund kann das historische Argument natürlich nicht liefern.

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