Am liebsten im Club
Von René HamannCaribou waren nie so groß wie etwa Radiohead. Aber es gab einen späten Sommer der nuller Jahre (allerdings schon 2012), in dem Caribou als Vorband von Radiohead selbige schön an die Wand spielten. In der Berliner Wuhlheide war das. Alles löste sich im Glück dieser hypnotischen, mild ekstatischen Musik auf. Spätsommersonne, kommende Nacht, Alleinsein in Liebe.
Es waren die goldenen Jahre dieser Band um den Kanadier Daniel Snaith. Nachdem sie sich mit »Melody Day« (2007) erstmals nach vorne gespielt hatten, indem sie sich gleichzeitig von Indie-Drone und Gitarrenpsychedelika verabschiedeten, zogen sie mit »Swim« (2010) gleichzeitig in Club und Formatradio ein. »Our Love« (2014) verfeinerte dann den Sound in Richtung Soul House und konsolidierte die Band.
Nach diesen fantastischen Alben ging es langsam bergab. Ähnlich wie bei Animal Collective oder Hot Chip, zwischen denen Snaith in der Rezeption ungefähr stand, folgten nach den Höhepunkten weitere Experimente, die sich nicht mehr so erschließen wollten wie Zahlen beim Sudoku, sondern eher arg kalkuliert oder einfach ausgedacht klangen. Wie zuletzt »Suddenly« (2020), als Snaith die sich wiederholenden Sound- und Songmuster dadurch auffrischen wollte, dass er sie mutwillig schnitt und wild wieder zusammenfügte: Break statt Flow.
»Honey« setzt nun wieder auf Flow. Das »Neue« an dem Album ist seine Quietschigkeit, die in einem Überpopsound gründet und zugleich in der rabiaten Plünderung von frühem Acid House bis zu Eurodance/Eurotrash. Am deutlichsten wird das im Stück »Volume«, das mehr »Pump Up the Volume« von M|A|R|R|S ist als ein eigenes, neues Stück. Und ja, ein unterschätzter Klassiker – fast schade, dass Snaith auf andere Sprachsamples wie »This is a journey into sound« oder den markanten, geklauten Basslauf verzichtet. Der Basslauf ist überhaupt sehr out. Schade eigentlich.
Das große Ding sind hier Sprachsamples und nahezu körperlose Frauenstimmen. Snaith traut sich kaum noch, selbst zu singen, statt dessen singt eine KI. Eine KI-generierte Frauenstimme. So klingt das zumindest. Die Sprachsamples brechen den Soul auf einer Art Babysprache herunter – wenn 15mal hintereinander »Broke My Heart« gesprochen wird, hat das schon fast den Charakter von konkreter Poesie.
Überhaupt scheint das Familienglück von Snaith deutliche Risse bekommen zu haben. Von der allumfänglichen Liebe von »Our Love« oder »Suddenly« ist kaum noch etwas zu spüren, es geht in Richtung Herzschmerz. Zumindest das lässt sich aus »Honey« heraushören. Wobei das Album zum Ende hin schlüssiger wird, auch die Tracks werden besser.
Interessant ist, sich parallel den Auftritt zum Album im Belfaster Boiler Room anzusehen (auf Youtube zu finden). Hier funktioniert das Album, hier gewinnt die Musik einige Schichten hinzu. Was vielleicht daran liegt, dass Caribou hier mit klassischem Bandset spielen, inklusive Bass und Gitarre. Wobei ich noch nie eine Livegitarre so bedeutungslos erlebt habe, auch vom Bass bekommt man nicht wirklich etwas mit. Statt dessen dominieren das live gespielte Schlagzeug (von Geklöppel bis sehr, sehr gut) und Daniel Snaiths live gesetzte Italo-House-Akkorde. Hier, im Club, in dem sie leicht erhöht wie im Boxring stehen, der ja nie rund ist, umringt von einer feierlaunigen Menge, entfaltet sich ihre Clubmusik in ihrer ganzen Schönheit – hier wird sogar die Melancholie spür- und tanzbar, die immer mitschwingt bei Caribou. Auch wenn die alten Hits natürlich noch immer die Hits sind.
Vielleicht komme ich auch einfach aus der falschen Ecke, und Caribou sind schon immer eher House, Disco, Club gewesen als Indie. Oder sie sind eben Indie House, obwohl es schon zu spät ist für derlei Einordnungen. Viel zu spät.
Caribou: »Honey« (City Slang)
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