Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. Dezember 2024, Nr. 296
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 18.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Metal

Wenn es Blut schneit

Death Metal ist Krieg: »Die Urkatastrophe« von Kanonenfieber
Von Ken Merten
11.jpg
Technik, die begeistert: Kanonenfieber live in Zürich (5.8.2024)

Krieg wird im Metal ja gern gespielt: Iron Maidens Bruce Dickinson schwingt uniformiert die Union Flag und singt vom »Trooper«, ehe es noch tiefer in die Geschichte geht, bis zum Eroberer Alexander dem Großen. Sabaton machen überhaupt nichts anderes, als Kriegshandwerk und Schlachten zu vertonen. Selbst Heaven Shall Burn, an sich linksliberal, besingen mit »Tirpitz« ein Schlachtschiff der NS-faschistischen Marine. Und dank Nargaroth wissen wir auch: »Black Metal ist Krieg«. Ratatata!

Warum das Ganze? Vielleicht weil beide, Metal und Krieg, mit schwerem Gerät operieren und Präzision verlangen. Wie Krieg geführt wird, entspricht dem Stand der Produktivkräfte. Der Erste Weltkrieg wäre kein Graben- und Abnutzungskampf geworden, wäre die Rüstungsindustrie auf einem anderen Stand gewesen. Auch Metal ist Ergebnis eines historischen Moments: elektrifizierte Gitarren, angeschlossen am Verstärker, mit ausreichend Bumms und mit Verzerrern versehen, die den Powerchords ihre Powerklänge gaben.

»Die E-Gitarre ist das großartigste Instrument auf Erden«, sagt Kip, eine der Hauptfiguren in John Wrays Roman »Unter Wölfen« (2024) über die Metalszenen Ende der 1980er und Anfang 1990er. Die Freude darum, zur rechten Zeit zu leben: »Dass wir das erfahren dürfen, ist ein irres Glück.«

Technik, die begeistert: Ähnlich enthusiastisch feierten Millionen den Kriegsbeginn 1914, ehe die Ernüchterung eintrat, die Metzelei aber vier Jahre lang währte.

Euphorie, Not, Verzweiflung und Wahnsinn – das Bamberger Metalprojekt Kanonenfieber verhandelt seit 2020 den Ersten Weltkrieg. Kopf und Sänger »Noise« hatte sich von einem Barfußhistoriker beraten lassen und mit »Menschenmühle« 2021 das Debütalbum selbst produziert. »Blackened Death Metal« soll’s sein, aber Death mit melodischem Einschlag ist es.

Die Bühnenshow, mit Reichswehruniformen und Kunstschnee, mag sicher den einen oder anderen Germanogeilen anziehen – inhaltlich aber schmuggeln Kanonenfieber Antikriegspropaganda ins doppelfußmaschinelle Stahlgewitter. »Grabenlieder / Wenn es Blut schneit / Tod und Angst / Zur Weihnachtszeit« – Wehrkraftzersetzung im Song »Grabenlieder« und in anderen stets mitgeliefert, ist eine Löcher ins maskuline Kriegerbild reißende Homoerotik: »Kein Christbaum und keine Familie / Nur Männer kauern im Unterstand.« Zumal Fraternisierung im Angesicht elendigen Verreckens, wie im akustischen Schlusspunkt des Debüts, »Verscharrt und ungerühmt«: »Im Leiden sind wir gleich / Augen trüb, Gesichter bleich / Ich liege tot im Niemandsland / Mit dem Feinde Hand in Hand.«

Es folgten drei EPs und ein nicht nur bezüglich der englischen Sprache schräger Schnellschuss im Dienste von Freiheit und Democracy nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Eine relative Ruhe, die Noise und Co. für das seit 2017 bestehende religionsfeindliche Projekt Non Est Deus nutzten und mit »Impious« (2022) und »Legacy« (2023) zwei Alben rausbrachten.

Nun ist das Unglück geschehen: Kanonenfieber haben bei Sony-Subunternehmen Century Media Records unterschrieben. »Die Urkatastrophe«, so der Titel des neuen Albums, ist entsprechend für viele in den Metalforen des Schlachtfeldes Internet genau das. Denn mag man die Rekrutierung durch Major Labels als allzu üblichen Schachzug in der Branche gut oder schlecht finden, die Kommerzialisierung wird einem dann doch zu arg ins Ohr gedrückt. Klar, Kanonenfieber hatten nie viel mit Black Metal zu tun oder mit Nischen, wo man weiterhin nur als »authentisch« gilt, wenn man seine Saitenmisshandlungen mit dem Kassettenrekorder aus Kindertagen aufnimmt.

Kanonenfieber aber haben nun vollends umgerüstet und machen einen Hallen- und Festivalmetal, der von dem Heaven Shall Burns über weite Strecken ununterscheidbar geworden ist. Auch der Inhalt kippt dadurch: Der zugegeben oftmals mit dem Schicksal statt den Verhältnissen hadernde Antimilitarismus rückt nach hinten. Dass es im klaustrophoben Song »Der Maulwurf« auch um Frontsuizidalität geht, geht verschütt, wenn man Songs mit Santiano-mäßigem Group Shout als Refrain baut, in der Hoffnung, dass das Publikum live »Graben und weiter graben« mitgrölt. Auch die Phänomenologie wird zur Apologetik: »Sturmtrupp«, »Gott mit der Kavallerie«, »Panzerhenker« und »Ritter der Lüfte« adeln die Arbeitsteilung an der Front durch Auserzählung und nur von Untertönen gestörten Pathos. Und »Waffenbrüder« läuft sicher jetzt schon als Bro Hymn in den Kasernen rauf und runter.

Eher noch verweist »Menschenmühle«, der nachgereichte Title Track des Erstlings, auf die Sinnlosigkeit des Völkerschlachtens. »Deutschland, Deutschland, Kaiserreich / Kriegessucht und Wahnkrankheit« heißt es, flankiert von dem Dröhnen, das uns seit »Babylon Berlin« verfolgt und den letzten Nerv killt. Allen Schlafwandlerthesen und Katastrophenbildern, nach denen es keine Verantwortlichen für das Töten und Morden gibt, dringt hier etwas Materialismus in die Dekonstruktion: »Schützengräben, Drahtverhau / Kriegsanleihen, Waffenbau / Fleischwolf, Matschgrab, Mannverlust / Annektierung, Landerschluss / Menschenmühle, Massengrab / Stahlfabriken, Arbeitsplatz / Kaiser zieht und Bauer stirbt / Schachbrett Welt den Krieg erwirkt.«

Aber auch wenn man sich mit »Stop the War« noch »Nie wieder Krieg« wünschte, scheint das Fatum, der Krieg als unausrottbare Geißel der Menschheit, etwas dagegen zu haben. Passenderweise kommt während »Ausblutungsschlacht« über Verdun der seinem Namen alle Ehre machende SPD-Zentrist Gustav Scheidemann im O-Ton zu Wort, der den Krieg mittrug (heute würde er sagen: »Aber mit Bauchschmerzen!«), dem es dann nur gar zu heftig und lang zuging. Man hätte ja auch Karl Liebknecht zu Wort kommen lassen, aber ohne Krieg kann man auch keine neuen Lieder mehr drüber schreiben.

Eigentlich nur konsequent, dass auch »Die Urkatastrophe« mit einem Akustikstück (»Als die Waffen kamen«) endet, das weit glatter ist als »Verscharrt und ungerühmt«. Mit Fideln im Hintergrund wird John-Lennon-mäßig imaginiert, was wäre, wenn alle – also inbegriffen die Kriegstreiber – zum Pazifismus übergehen würden. »Und erst als die Waffen kam’ / Bekam der Feind seinen Nam’ / Und wenn kein Mensch die Waffe hält / Gäb’s keine Feinde auf der Welt.« Doch, bis auf weiteres schon, und wenn er unbewaffnet ist, dann haut und würgt er dich eben.

Kanonenfieber: »Die Urkatastrophe« (Century Media Records)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Feuilleton