Tote Dichter reden nicht
Von Pierre Deason-TomoryDer erste Versuch eines öffentlichen Radiosenders in Europa, Moderatoren komplett durch KI-Zombies zu ersetzen, ist krachend gescheitert. Drei Monate sollte das »Experiment« bei Off Radio Kraków dauern, nach nur sechs Tagen war Schluss. Die Station hatte seit 2015 ein anspruchsvolles Musikprogramm für Jüngere ausgestrahlt. DJs und Autoren wurden Ende September vor die Tür gesetzt, und nach vier Wochen Schamfrist übernahmen am 22. Oktober drei Ausgeburten künstlicher Intelligenz die Moderation, »Alex«, »Emilia« und »Kuba«. Eine sofort einsetzende Protestwelle wurde für den Ableger von Polskie Radio zum Tsunami, nachdem »Emilia« ein Gespräch mit der Krakauer Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska geführt hatte, beziehungsweise mit einer von KI geschaffenen Kopie derselben. Die echte Szymborska gibt seit ihrem Ableben vor zwölf Jahren nur noch selten Interviews. Chefredakteur Marcin Pulit musste am 28. Oktober seine Roboter wieder abschalten, seitdem läuft auf Off Radio Kraków ein unmoderiertes Musikprogramm. Pulit erklärte, das Ziel des Versuchs sei erreicht worden, man habe eine Debatte über KI im Radio angestoßen. Die wegrationalisierten Kollegen glauben hingegen, Ziel sei gewesen, Personal aus dem Radio auszustoßen. In dieser Hinsicht war das »Experiment« tatsächlich erfolgreich.
Die Programmvorschläge beginnen mit dem »Radio-Tatort«, der wegen seiner Vorzüge, genauer: wegen seines regelmäßigen Erscheinens, Monat für Monat anzukündigen ist, selbst wenn die Story so beknackt ist wie im neuen Lörben-Krimi »Lädiert« von Dirk Laucke (MDR 2024, Fr., 19.04 Uhr, WDR 3; Sa., 17.04 Uhr, WDR 5, 19.04 Uhr, HR 2 Kultur, SWR Kultur, 20.03 Uhr, Bayern 2; So., 16.05 Uhr, Radio 3, 17.04 Uhr, SR 2, 18.05 Uhr, Bremen Zwei; Mo., 20.04 Uhr, MDR Kultur). »Blitzeisidentität« heißt der neue Erzählband von Christoph Dolgan; Helmut Berger liest daraus in den »Radiogeschichten« (Mi., 11.05 Uhr, Ö 1) – der lebende Helmut Berger aus Graz, nicht ein Klon des toten aus Bad Ischl. Das werden wir bald jedes Mal dazusagen müssen. »Wie schwarze Frauen die Klassikszene Chicagos prägten«, erzählt das Schweizer Radio (Fr., 20 Uhr, SRF 2 Kultur). Für Autorin Antje Meichsner ist die Sächsische Schweiz »Die schöne Landschaft aller«. Für ihre Gespräche mit allen, also Ureinwohnern und Zugereisten, kletterte sie auch in tiefe Abgründe (DLF Kultur, SWR 2024, Sa., 18.05 Uhr, DLF Kultur; So., 20.05 Uhr, DLF).
Unheimliches Unheil dräut einem Städtchen im Roman »Melancholie des Widerstands« von László Krasznahorkai. Scheinbar. Was passiert, nachdem die Narren dort eingedrungen sind, verhandelt die gleichnamige neue Oper von Marc-André Dalbavie, die im Juli in der Staatsoper Unter den Linden mitgeschnitten wurde (Sa., 20.03 Uhr, HR 2 Kultur, NDR Kultur, Radio 3, SR 2, SWR Kultur). Im Feature »Die drei Leben der Connie Converse« werden wir bekanntgemacht mit der »Frau, die den Folk erfand und verschwand« (So., 14.04 Uhr, SWR Kultur). Timon Karl Kaleytas neuer Roman »Heilung« liegt jetzt als Hörspiel vor (SWR 2024, Ursendung, So., 18.20 Uhr, SWR Kultur). Der von Steuerschuld geplagte Clemens Meyer wird auch bei der »Verleihung des Österreichischen Buchpreises« leer ausgehen, die kommenden Montag live aus dem Wiener Odeon übertragen wird (19.30 Uhr, Ö 1); die tausend Seiten seines Projektorenwerkes haben nicht auf die Shortlist gepasst. Ihm bleiben die zehn Mille, die er beim Bayerischen Buchpreis eingesackt hat. Siehe: Im Söder-Reich werden Steuerschuldner geehrt und prämiert!
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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