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Aus: Ausgabe vom 13.11.2024, Seite 1 / Titel
Klimawandel und Flucht

Die doppelte Bedrohung

UN-Bericht: Der Klimawandel verursacht und verstärkt die Fluchtbewegung insbesondere in Kriegsregionen. Der Westen sieht zu
Von Mawuena Martens
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Eine ausgestreckte Hand ist selten von den Krisenverursachern zu erwarten (Flutkatastrophe in Tokar, Sudan, 28.8.2024)

Wer schon unten steht, wird am schwersten getroffen. So könnte man den am Dienstag herausgegebenen Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats zusammenfassen. Er zeigt, dass es bei den oft dramatischen Konsequenzen des Klimawandels immer auch darauf ankommt, wo ein Mensch geboren wird. Die Folgen treffen diejenigen am schwersten, die ohnehin schon leiden: Flüchtende, bereits Geflüchtete und Menschen in Ländern, in denen gewaltsame Konflikte ausgetragen werden. 75 Prozent der Vertriebenen leben demnach in Staaten, die in besonderem Maße mit klimabedingten Gefahren konfrontiert sind. Und: Fast die Hälfte von ihnen ist sowohl den Folgen von Konflikten als auch denen der Erderwärmung ausgesetzt. Besonders betroffen sind Sudan, Syrien, Haiti, die Demokratische Republik Kongo, Libanon, Myanmar, Äthiopien, Jemen und Somalia. In den vergangenen zehn Jahren haben wetterbedingte Katastrophen demnach zu 220 Millionen Binnenvertriebenen geführt – Tendenz steigend.

Die Verfasser des Gutachtens gehen davon aus, dass die Zahl der Länder, die extremen Auswirkungen von klimabedingten Gefahren ausgesetzt sind, von drei auf 65 steigen wird. Berechnungen zufolge wird außerordentliche Hitze zu einem wachsenden Problem: Die meisten Flüchtlingslager werden danach bis zum Jahr 2050 doppelt so vielen Hitzetagen ausgesetzt sein werden wie schon jetzt. Zwar werden Milliarden von Dollar zur Anpassung an den Klimawandel aufgewendet, doch davon kommt, wie Filippo Grandi, UN-Flüchtlingskommissar, anmerkte, nur sehr wenig Geld bei den am stärksten betroffenen Ländern an: »Extrem fragile Staaten erhalten etwa zwei US-Dollar pro Person an jährlichen Anpassungsmitteln – im Vergleich zu 161 US-Dollar pro Person in nicht fragilen Staaten. Das ist ein gewaltiger Unterschied und eine große Ungerechtigkeit.«

Der seit Montag laufende Weltklimagipfel in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku könnte eine Chance sein, dies zu ändern – schließlich geht es dort um die Formulierung eines gemeinsamen Finanzierungsziels und um die Unterstützung ärmerer Länder. Doch schon die vergangenen Gipfel waren ergebnisarm. In diesem Jahr geben sich wichtige Staats- und Regierungschefs der Hauptverursacherstaaten noch nicht einmal die Mühe, Interesse vorzutäuschen: Weder US-Präsident Joe Biden noch der Franzose Emmanuel Macron noch Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen teil.

Schon im Vorfeld der Konferenz hatte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) von der Verantwortung der westlichen Industrieländer abgelenkt, schließlich seien Schwellen- und Entwicklungsländer inzwischen für zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Zwar würden die Länder unterstützt, die »den Weg in eine klimaverträgliche Zukunft nicht aus eigener Kraft« schafften. Doch auch nach Kenntnisnahme des Berichts war Schulzes Ministerium nicht bereit, die bereits zugesagten sechs Milliarden Euro Klimafinanzierung pro Jahr aufzustocken, wie aus einer Antwort auf jW-Anfrage am Dienstag hervorgeht. Vielmehr setzte Schulze auf private Klimainvestitionen – die müssten »angesichts der angespannten öffentlichen Haushalte« eine zentrale Rolle spielen.

Scharfe Kritik an der deutschen Prioritätensetzung äußerte Karin Zennig von Medico International am Dienstag gegenüber jW: »Statt in Klimapolitik wird in Verteidigung und Abschottung investiert. Dabei braucht es mehr denn je ein Bekenntnis zu Menschenrechten und zu einem Leben in Würde für alle.«

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (13. November 2024 um 10:39 Uhr)
    »In den vergangenen zehn Jahren haben wetterbedingte Katastrophen demnach zu 220 Millionen Binnenvertriebenen geführt – Tendenz steigend.« Und hierzulande? Hier diskutiert man nicht einmal (mehr) über eine Geschwindigkeits-, geschweige denn Hubraum- oder Motorleistungsbegrenzung. – Weiterhin gilt ungehemmt: »Freie Fahrt« für asoziale Irre! Aber die Apokalypse unterscheidet weder nach Landes- noch nach Standesgrenzen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (13. November 2024 um 06:12 Uhr)
    Kluge Wissenschaftler haben bereits vor fünfzig Jahren im Bericht des Club of Rome »Grenzen des Wachstums« darauf hingewiesen, dass die ungebremste Ausplünderung der Ressourcen dieser Erde und das weitgehend ungebremste Wachstum der Erdbevölkerung zu katastrophalen Folgen für die Bewohnbarkeit großer Teile unseres Planeten führen würden. Wer von diesem Ausplündern lebte, den interessierte das schon damals nicht. Deren Devise war und blieb: Nach uns die Sintflut! Der Club of Rome machte darauf aufmerksam, dass es auch mit noch so hohen Mauern nicht gelingen würde, Milliarden von Menschen aufzuhalten, die um ihr Leben rennen müssen. Wie jämmerlich wirken angesichts dieser erkennbaren Entwicklungen die Versuche der Westeuropäer oder der USA, sich auf einer unberührbaren Insel mit Wohlstand und weitgehend intaktem Klima einzurichten. Es werden nicht die einzigen Mauern sein, die da schnöde zusammenbrechen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Dass 50 Jahre angesichts einer erkennbar drohenden Katastrophe ungenutzt blieben: Das Sündenkonto des Kapitalismus platzt eigentlich bereits vor Überfüllung.

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