Kein Staat mit Merz
Von Ralf WurzbacherDroht mit dem Aus der Ampel nun auch das Aus für die Bahnsanierung? Wie junge Welt am Dienstag berichtete, steht das Deutschlandticket nach dem Bruch der Koalition auf der Kippe. Vor einem ähnlichen Szenario warnte am selben Tag die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit Blick auf die Ertüchtigung der maroden Schiene. Werde der Haushalt 2025 nicht in vorgesehener Form verabschiedet, fehlten allein im kommenden Jahr bis zu 20 Milliarden Euro aus Bundesmitteln, warnte am Dienstag der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. Bis 2030 sei der Finanzbedarf noch um ein Vielfaches größer. Burkert: »Jahrelange Planungsarbeit, um die Infrastruktur endlich auf Vordermann zu bringen, um damit Pünktlichkeit und Kapazität des Netzes zu verbessern, stehen nun auf dem Spiel.«
Die Sorge ist berechtigt. Die Entscheidung über den Bundesetat fürs nächste Jahr wird mit großer Wahrscheinlichkeit erst nach den Neuwahlen bei dann veränderter Machtkonstellation getroffen. Im Rahmen einer zunächst vorläufigen Haushaltsführung würde der Bund nur mehr seine Pflichtaufgaben erfüllen, während solche ohne gesetzliche Verankerung wohl monatelang ruhen, neu verhandelt oder ganz annulliert würden. Dass eine absehbar unionsgeführte an den Ausbauzielen der scheidenden Regierung festhalten wird, erscheint äußerst fraglich. Die Instandsetzung etlicher Streckenabschnitte könnte damit wenigstens verzögert, wenn nicht komplett abgeblasen werden. Man erwarte vom Vorstand der Deutschen Bahn, »dass er öffentlich Tacheles redet, um die tatsächlichen Auswirkungen deutlich zu machen«, erklärte Burkert. »Das werden die EVG-Vertreter im Aufsichtsrat deutlich machen.«
Bekanntlich will der Staatskonzern im Rahmen einer sogenannten Generalsanierung binnen sechs Jahren 40 vielbefahrene Korridore und Hunderte Bahnhöfe in Schuss bringen und dabei riskieren, mit mehrmonatigen Vollsperrungen zahllose Kunden zu vergraulen. Erst in der Vorwoche hatte die DB stolz verkündet, der Bund werde für das Programm 53 Milliarden Euro bis zum Jahr 2027 bereitstellen – 23 Milliarden Euro mehr verglichen mit der früheren Finanzplanung. Mit dem Bruch der Koalition könnten viele der Vorhaben zur Disposition stehen. »Selbst die jetzt eigentlich beginnende dringend notwendige Sanierung zwischen Berlin und Hamburg droht damit unmittelbar zum Rohrkrepierer zu werden«, beklagte der EVG-Chef. »Zehntausende Fahrgäste werden damit weiter im Unklaren gelassen und die jahrelange Planung kluger Bahnbeschäftigter in den Wind geschossen.« Zudem stellt sich das Problem, dass der Konzern bei größeren Projekten bereits in finanzielle Vorleistung gegangen ist, Medienberichten zufolge fürs nächste Jahr im Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Auch hier herrscht Rätselraten, ob und wann das Unternehmen das Geld vom Staat zurückbekommt.
So berechtigt der Vorstoß der EVG ist, wirkt er doch auch wie ein demonstrativer Beistandsakt für die gescheiterte Regierung. Dabei waren angesichts der Haushaltsnöte die Ampel-Milliarden für die Bahn keinesfalls in Stein gemeißelt, zumal es hinsichtlich der faktischen Erforderlichkeiten in Wahrheit noch weit größerer Anstrengungen bedürfte. Experten beziffern den Sanierungsstau bei der Bahn auf mindestens 90 Milliarden Euro. Burkert hatte unlängst selbst noch das Fehlen einer »überjährigen Finanzierung der Schieneninfrastruktur bis 2030« moniert, weshalb er einen »Verkehrsinfrastrukturfonds« empfahl, »um Planungssicherheit für Unternehmen, Beschäftigte und Bauindustrie zu gewährleisten«. Die gibt es mit dem jüngst von DB-Chef Richard Lutz angekündigten »Sanierungsprogramm S3« gerade nicht: Diesem sollen in den kommenden sechs Jahren 30.000 Stellen zum Opfer fallen.
Große Ungewissheit besteht außerdem in der Frage, was nach Neuwahlen von der Bahn überhaupt noch übrig bleibt. Die Unionsparteien liebäugeln wie die FDP und Bündnis 90/Die Grünen offen mit einer Zerschlagung und mindestens Teilprivatisierung des Staatskonzerns. Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte schon Mitte August durchblicken lassen, wohin die Reise mit ihm gehen soll: »Die Bahn muss ihr Angebot reduzieren, damit das reduzierte Angebot wieder zuverlässig erbracht werden kann.«
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