Dichtung und Wahrheit
Von Ina SembdnerDie Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten sind vorbei, und wir erinnern uns: Die US-Regierung hatte strategisch günstig eine danach endende 30-Tages-Frist für Israel gesetzt, in der ausreichend Hilfsgüter in den belagerten Norden des Gazastreifens gelangen sollte. Geholfen hat es den Demokraten nicht, und nun bleibt abzuwarten, wie Joe Biden reagieren wird, wenn die Frist an diesem Mittwoch ausläuft. Gedroht hatte der Nochpräsident mit der Kürzung von Militärhilfe für Israels Feldzug gegen die besetzten palästinensischen Gebiete und nun den Libanon. Getan hat sich in diesen Wochen nichts, die Lage für Hunderttausende Palästinenser ist weiterhin katastrophal. Am Freitag warnten noch einmal Experten für globale Nahrungsmittelsicherheit vor einer unmittelbar drohenden Hungersnot in Teilen der nördlichen Enklave. Auch vom State Department hieß es vergangene Woche, Israel habe zwar einige Maßnahmen ergriffen, es sei aber bisher nicht gelungen, die humanitäre Lage spürbar zu verbessern. In Tel Aviv geht man wiederum davon aus, den meisten US-Forderungen entsprochen zu haben. Einige Dinge seien noch in der Diskussion und berührten Sicherheitsfragen, hieß es am Montag.
Aber die israelischen Verantwortlichen geben vor, Washington bei dieser Forderung entgegenzukommen. Um »den Umfang und die Wege der Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu verbessern«, sei am Dienstag der Kissufim-Übergang für Lastwagen geöffnet worden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Armee und der für die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten zuständigen israelischen Behörde COGAT. Im Rahmen eines koordinierten Einsatzes seien Hunderte von Nahrungsmittel- und Wasserpaketen in Teile des nördlichen Gazastreifens geschickt worden, hieß es weiter.
Davon berichtete auch der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation »Euromed Monitor«, Ramy Abdul, auf X: »Gestern ließ Israel unter großem Medieninteresse einen Lastwagen mit humanitärer Hilfe in eine Notunterkunft in der Stadt Beit Hanun. Heute morgen stürmten die israelischen Streitkräfte die Unterkunft, töteten einige Zivilisten, vertrieben den Rest gewaltsam und setzten die humanitäre Hilfe in Brand.« Zehn Opfer habe es allein bei diesem Angriff gegeben, meldete Reuters unter Berufung auf örtliche Mediziner. Insgesamt wurden in der Nacht zu Dienstag mindestens 37 Menschen in verschiedenen Teilen der Enklave getötet. Später wurden bei einem israelischen Angriff in Rafah im Süden des Küstenstreifens elf Palästinenser getötet. Im Vorort Sabra in Gaza-Stadt habe es Waleed Aweida, der als Minister für religiöse Stiftungen zuständig war, und seine Enkelin getroffen. Drei weitere Personen, darunter seine Frau, lägen noch unter den Trümmern.
Während Israels Armee am Dienstag also angab, dass seit Beginn der Belagerung Anfang Oktober 741 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Norden geliefert worden seien, erklärten acht internationale Hilfsorganisationen, dass vielmehr Maßnahmen ergriffen wurden, die die Lage dramatisch verschlechtert hätten. Verfasst haben den ebenfalls Dienstag vorgelegten 19seitigen Bericht unter anderem Oxfam, »Save the Children« und der Norwegische Flüchtlingsrat. »Die Fakten sind eindeutig«, heißt es darin, »die humanitäre Lage im Gazastreifen ist jetzt an seinem schlimmsten Punkt angelangt seit Beginn des Krieges im Oktober 2023.« Die USA müssten »die Sicherheitskooperation mit Israel unverzüglich einschränken«, wie es der Foreign Assistance Act fordere.
Aus erster Hand ihrer Teams und Helfer hätte man erfahren müssen, »dass die israelischen Behörden bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten sowie beim Schutz der Zivilbevölkerung und der medizinischen Einrichtungen völlig versagt haben«. Jan Egeland, der für den Flüchtlingsrat gerade erst aus Gaza zurückgekehrt ist, wiederholte seinen Vorwurf eines »vorsätzlichen Hungertods von fast zwei Millionen Zivilisten«, dessen Zeuge er wurde – »während die Bombardierungen weitergehen«. Das Wenige an Hilfsgütern, das durchkomme, werde häufig geplündert, »da die Besatzungsmacht die palästinensische Polizei ausgelöscht hat«. Zudem gebe es keine Unterstützung für eine sichere Verteilung an die hungernde Bevölkerung.
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