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Aus: Ausgabe vom 13.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Folk

Good Vibrations

Über alte Gefährten, einen Neubeginn, souveräne Mitmusiker und die USA. Ein Gespräch mit Tucker Zimmerman
Von Frank Schwarzberg
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Der Künstler als junger Mann: Tucker Zimmerman 1966 im Golden Gate Park in San Francisco

David Bowie bezeichnete Tucker Zimmerman als »too qualified for folk«, das von Tony Visconti produzierte Album »Ten Songs« (1969) gehörte zu Bowies Lieblingsalben. Der 83jährige Autor und Musiker Zimmerman verließ die USA im Jahr 1966, um dem Kriegsdienst in Vietnam zu entgehen. Nach Aufenthalten in Rom und London ließ er sich mit seiner Frau Marie Claire 1969 in einem belgischen Dorf nieder, wo sie bis heute leben. Adrianne Lenker nennt Zimmerman »einen der größten Songwriter aller Zeiten«. Ihre Gruppe Big Thief diente als Backingband für Tucker Zimmermans elftes Album »Dance of Love«. Kürzlich wurden in den Jahren 1973 bis 1977 entstandene Aufnahmen Zimmermans erstmals als Album veröffentlicht, es heißt »I Wonder If I’ll Ever Come True«.

*

Mr. Zimmerman, von Moondog, dem kürzlich wiederentdeckten Avantgardisten unter den Straßenmusikern New Yorks, haben Sie die Betonung des Kontrapunktischen übernommen. Auf Ihrem Song »Watching Heroes Come and Go« erkenne ich die Umsetzung der Kontrapunktidee augenblicklich.

O ja. Das ist ein wirklich fetter Bass – die linke Hand auf dem unteren Teil des Klaviers. Eine Aufnahme, die ich für John Peel und die BBC gemacht habe, so um 1974, 1975. John Peel mochte meine Musik wirklich sehr. Und trotz seiner und der Hilfe anderer, namentlich Chris Blackwell von Island Records, ist nichts passiert in England. John Peel war sehr gut zu mir.

Wenn er jemanden unterstützte, unterstützte er ihn von ganzem Herzen. Hilfe kam auch von dem Produzenten Tony Visconti. Er verschaffte Ihnen Sessionjobs als Pianist, produzierte Ihr Album »Ten Songs« (1969). Visconti war ja auch für den Sound von Marc Bolan und T. Rex verantwortlich. Und dann war da natürlich David Bowie. Wussten Sie, dass er »Ten Songs« in die Liste seiner zehn liebsten Alben aller Zeiten aufgenommen hat?

Ja, ich habe es später einmal gehört. Ich verfolge nicht, was in Musikzeitschriften steht. Jemand hat es mir erzählt, vielleicht vor zehn Jahren. Was David anbelangt: Wir waren nie Freunde in dem Sinne, dass wir uns sehr nahe gestanden hätten. Es war eine Art respektvolle, professionelle Beziehung. Er war während der gesamten Aufnahmen zu »Ten Songs« im Studio. Sehr diskret, sehr respektvoll. Er blieb in der Ecke, war neugierig auf meine Songs, aber er wollte auch wissen, wie Tony arbeitete, wie der Aufnahmeprozess abläuft. Die zwei hatten noch nicht zusammengearbeitet.

Gelegentlich haben David und ich uns mit unseren Gitarren auf Tonys Teppich gesetzt und Songs ausgetauscht. »Was hältst du davon?« – »Der ist toll.« – »Und der?« – »Der ist okay.«

David hat sich sehr bemüht, mir ein paar Auftritte in seinem Klub in Bromley zu verschaffen. Aber natürlich war das am Ende alles umsonst. Oder vielleicht auch nicht. Sieht so aus, als würde es gerade noch mal losgehen.

Dass Sie der Einberufung nach Vietnam entgehen wollten, war gewissermaßen Ausgangspunkt Ihres weiteren Lebens. Raus aus den USA, ab nach Italien, dann nach London. Seit 1969 leben Sie in Belgien. Was denken Sie heute über die USA?

Vor einigen Jahren war ich wieder einmal da, in New England, zusammen mit der Band Big Thief aus Brooklyn. Es war wunderschön. Das ist der Teil Amerikas, den ich wirklich mag, die Natur. Ich mag die Berge. Ich mag die Flüsse. Die Wüste, all das. Die Küste, die Ozeane. Bemerkenswerte, wunderschöne Dinge. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden. Ein Jahr darauf war ich mit Big Thief an der Westküste auf Tour. Ich habe bei etwa 14 Gigs für sie gespielt.

Aber ich war immer froh, nach Belgien zurückzukommen. Immer. Wissen Sie, ich mag das soziale Leben in den USA einfach nicht. Es interessiert mich nicht.

Wie meinen Sie das?

Ich habe mich dort nie wohlgefühlt. Schon in den 50er Jahren wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Zumindest, was mich betraf. Politisch gesehen war es eine beängstigende Zeit: Kalter Krieg, die McCarthy-Ära, Verfolgung von Kommunisten, ungebremster Rassismus. Ich bin mit all diesen Übeln aufgewachsen, einschließlich der Atomkriegsübungen in der Schule, bei denen uns gesagt wurde, dass wir jeden Moment zu Staub zerfallen könnten.

Mitte der 60er begann ich, wie viele in meinem Alter, die Werte unserer Gesellschaft radikal in Frage zu stellen. Der Kapitalismus schien nicht gerade die vernünftigste Art, eine Nation zu regieren. Blinden Patriotismus fanden wir sehr fragwürdig, zumal uns im Zuge dessen soviel Propaganda eingetrichtert wurde. Der Vietnamkrieg schickte Menschen in den Tod, damit Bonzen in Washington und anderswo sich die Taschen mit Blutgeld füllen konnten. Das schlimmste war »White Supremacy«, die Idee der natürlichen Vorherrschaft der Weißen. Ich habe immer gespürt, dass das grundfalsch ist, die größte Sünde, die unmenschlichste aller Handlungen. Hinzu kamen Kämpfe für die Rechte der Frauen, die Pille, Abtreibung, Zweifel an der Institution der Ehe. Es war alles sehr verwirrend. Im Hintergrund die Frage der Legalisierung – oder eher der Illegalisierung – von Marihuana. Scheint so, als wären viele dieser Probleme bis heute nicht gelöst worden. Wie gesagt, ich war froh, als ich 1966 dieser dunklen Wolke entkam. Lust, wieder hereinzugeraten, hab’ ich seitdem keine mehr gehabt.

Sprechen wir über Ihr neues Album »Dance of Love«. In Ihren biographischen Notizen schreiben Sie, dass Sie es gern haben, wenn es in der Musik stille Momente gibt und genug Raum, damit Songs wachsen und gedeihen können. Space. Silence. Simplicity. Für »Dance of Love« haben Sie gemeinsam mit der Band Big Thief sämtliche Entscheidungen für die Arrangements getroffen. Was halten Sie von dem ­Ergebnis?

Die Musiker von Big Thief sind sehr intuitiv. Sie wussten, wann sie sich zurückhalten müssen. Tatsächlich sind die meisten Arrangements das Gegenteil von üppig, was mich überrascht hat. Ich hatte mehr erwartet, hatte komplexere Arrangements im Hinterkopf gehabt. Aber es funktioniert. Es funktioniert sogar hervorragend. Anstelle eines großen Klaviersounds nur ein paar Töne! Auf dem Album gibt es ausschließlich Live-Takes, keine Overdubs. Sie haben die jeweils beste Liveaufnahme genommen, fertig.

Irgendwann haben Sie gemerkt, dass die einzigen Songs, bei denen es sich lohnt, Zeit zu investieren, die mit einer positiven Botschaft sind Songs, die eine friedliche Schwingung (»Peaceful Vibration«) erzeugen. »No anger. No politics. No teaching. Just poetry. Nur Melodien, die versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.«

Nun, ich weiß nicht, ob ich die Welt zu einem besseren Ort machen kann. Ich würde es gern, aber ich denke nicht, dass ich in der Lage bin, große Veränderungen zu bewirken. Ich möchte einfach nur etwas Frieden in deinem Kopf erzeugen – etwas Schönes, Harmonisches, das ist es, was ich vermitteln möchte. Ich könnte wohl noch viel mehr sagen und damit meine Worte ruinieren. Bleiben wir einfach bei der Betonung der »Good Vibrations«. Wir brauchen sie dringend, besonders ­heute.

Tucker Zimmerman: »Dance of Love« (4AD/Beggars Group/Indigo)

Ders.: »I Wonder If I’ll Ever Come True« (Big Potato Records)

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Tucker Zimmerman spielt am 14.11. um 20 Uhr im Prachtwerk, Berlin

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tuckerzimmerman.com

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