Rotlicht: Luddismus
Von Barbara EderBig-Tech-Giganten wird dieser Tage zugetraut, was menschliche Vernunft bislang nicht vollbracht hat: In den Büros und Homeoffices wirken KI-basierte Anwendungen als neue Kollegen, an den Fertigungsstraßen und Werkshallen scheinen Roboterarme und Exoskelette von schweren Lasten zu befreien. Durch technologische Innovation, so heißt es, ließe sich sogar die ökologische Krise bewältigen – selbst dann, wenn damit nur mehr lokale Schäden begrenzt werden können. Die Warteschlangen vor den Apple-Stores reichen noch am Tag vor jeder Markteinführung bis in die Nachbarstadt, denn auch das neue I-Phone führt ein Versprechen mit sich: das auf Teilhabe an einer global vernetzten Zukunft. Fortschritt wird konsumiert statt hinterfragt – und die teleologische Erzählung im Gerät selbst verbaut.
Die gegenwärtige Tech-Euphorie vergrößert den Einflussbereich der GAMAM-Konzerne – und macht alles, was diese kritisch hinterfragt, zu Schnee von gestern. Was einst »Maschinenstürmerei« hieß, hat heute negative Konnotationen – in der Praxis des Luddismus schwingt jedoch nicht notwendigerweise die Idee der Fortschrittsfeindlichkeit mit. Der dahinterstehende Gedanke hat seine Ursprünge in den Anfängen der Industrialisierung: Im England des 19. Jahrhunderts rebellierten Textilarbeiter massenhaft gegen die Apparate an ihren Arbeitsplätzen. Sie sahen ihre Fähigkeiten durch neue Fertigungstechniken bedroht. Die Ludditen zerstörten die ersten Rauhmaschinen, die zur Textilveredelung eingesetzt wurden, und griffen Fabriken an. Ihre Aktionen waren Teil einer subversiven Praxis: Der Maschinensturm ging auch mit der Forderung nach demokratischer Mitbestimmung über die eingesetzten Technologien einher.
»Täglich steigt aus Automaten / immer schöneres Gerät / Wir nur blieben ungeraten / uns nur schuf man obsolet«, heißt es im »Molussischen Industrielied« von Günther Anders. Webstühle, Computer und Fließbänder sind für Ludditen Symbole falscher Macht- und Eigentumsverhältnisse, Produzenten und Produktionsmittel werden dadurch voneinander getrennt. Indem sie jene Maschinen zerstörten, die den Takt ihrer Arbeit steuerten, setzten sie ein Zeichen gegen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse.
Dabei kam es auch zu einem veränderten Klassenbildungsprozess: Aus dem Akt des Zerstörens selbst gingen die Ludditen als Klasse für sich hervor – jenseits aller vulgärökonomischen Reduktionen. Als Anführer der Bewegung fungierte ein mythisch überhöhter Name: »Ned Ludd«, auch »King Ludd« genannt, repräsentierte den Widerstand gegen die Auswirkungen der Industrialisierung – auch ohne empirische Existenz dahinter. Unter dieser fingierten Identität kämpften Arbeiterinnen und Arbeiter ohne formelle Führung solidarisch für gemeinsame Ziele. Die Bewegung war jener der Wobblies – der Industrial Workers of the World, IWW – nicht unähnlich: Nach der Hinrichtung des Gewerkschafters Joe Hill im Jahr 1915 wurde dieser zum Symbol für den weltweiten Widerstand innerhalb der Arbeiterbewegung.
Den Ludditen ging es weniger um den physischen Akt des Maschinenzerstörens, sie zielten auf die symbolische Macht dahinter. Einige ihrer legitimen Nachfahren operieren anders: Der Mut zum Maschinensturm ist ihnen gleichbedeutend mit einer Haltung, die alles ablehnt, was auf willkürlichen Beschränkungen technischen Wissens beruht, denn erst durch selbiges lassen sich die letzten Bastionen magischen Denkens zu Fall bringen. Bis heute macht der Closed-Source-Charakter der meisten kommerziellen Computeranwendungen die Quellcodeeinsicht und damit auch den modifizierten Nachbau unmöglich. Hackerinnen und Hacker setzen im Dahinter an – und tragen damit den trügerischen Schein von schimmernden Oberflächen ab.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (13. November 2024 um 08:31 Uhr)Maschinenstürmerei war und ist Ausdruck eines dumpfen Ahnens , dass irgendetwas mit den ökonomischen Eigentums- und den daraus resultierenden Machtverhältnissen nicht stimmen könne, wenn technische Neuerungen in der Gesellschaft stets aufs Neue zu Verunsicherung und Ängsten führen. Spätestens seit Marx’ gründlicher Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung besteht längst die Möglichkeit, vom Ahnen zum wirklichen Verständnis der damit verbundenen Probleme vorzudringen. Ein paar mehr Sätze wären dazu angebracht gewesen, dass weder das dumpfe Aufbegehren noch das gezeigte Revoluzzertum geeignet sind, diese Probleme wirklich zu lösen. »Die letzten Bastionen des magischen Denkens zu Fall bringen« – das klingt, als sei der Kapitalismus eher ein purer Denkfehler als eine in ihrer Logik durchaus zu verstehende Gesellschaftsordnung mit ablaufendem Mindesthaltbarkeitsdatum. Aber einen Trost gibt es ja noch: Die Ludditen sind jenseits aller vulgärökonomischen Reduktionen nämlich jetzt eine Klasse für sich. Mit dieser nebulösen Bezeichnung kann man zwar nichts anfangen. Aber irgendwo dahinten könnte sich doch wieder so ein dumpfes Ahnen verstecken.
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