Von der Front zum Match
Von Susann Witt-StahlDie Ultras von Maccabi Tel Aviv und andere israelische Fußballfans feiern einen Sieg. Keinen sportlichen: »Als wir in jeder Ecke Amsterdams nach ihnen suchten, rannten sie wie stinkende Ratten in die Höhlen!« protzen die »Maccabi Fanatics« auf ihrem Social-Media-Kanal. Ein Foto zeigt eine Gruppe ihrer Hooligans im Handgemenge mit bereits am Boden liegenden Kufijaträgern – »vier Propalästinenser, die in ein Krankenhaus evakuiert wurden«, ist in der Bildunterschrift zu lesen. Auf einem anderen Bild ist ein »palästinensischer Demonstrant« auf dem Dam-Platz zu sehen, wie er von Maccabi-Anhängern mit Mayonnaise besudelt wird. »Danach hat einer unserer Fans ihn getreten«, so die frohe Botschaft des Besitzers, der Videoaufnahmen des Übergriffs zum Versand anbietet. Fehlen darf auch nicht ein Stadionfoto vom Maccabi-Fanblock hinter einem Banner mit der Aufschrift: »Refugees not welcome!« Dieses Milieu ist stolz auf seinen Rassismus und Menschenhass, den es eindrucksvoll mit hämischen Gesängen über die Massentötung von Kindern in Gaza demonstriert.
Das Ideologierepertoire der Maccabi-Fans stammt vom Kahanismus – der zionistischen Erscheinungsform des Faschismus, der durch die radikale Siedlerbewegung politische und kulturelle Hegemonie in der israelischen Gesellschaft erlangt hat. Die Ultras von Beitar Jerusalem, La Familia, feiern seit Jahrzehnten Meir Kahane. Der US-amerikanische Rabbiner war Begründer des Kahanismus, der Jewish Defense League und – nachdem er seinen Hauptsitz 1971 nach Israel verlagert hatte – von Kach (dem Vorgänger der Partei von Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, Otzma Jehudit) sowie militanten faschistischen Organisationen, die für Bombenanschläge, Morde und andere Gewaltakte verantwortlich zeichnen. Dass auch viele Maccabi-Fanatics glühende Kahanisten sind – daran lassen sie in ihren Hasschören keinen Zweifel: »Wir werden jeden Kommunisten, der hierher kommt, auf dem Marktplatz aufhängen«, drohen sie dem Todfeind Nummer eins aller Faschisten. Aus der Maccabi-Fanblase rekrutieren sich auch Schlägertrupps für Israels Premier Benjamin Netanjahu: 2020 ging bei Protesten gegen die Korruption von dessen Regierung eine Hooligan-Horde in Tel Aviv mit Stühlen, Flaschen und Pfefferspray auf linke Oppositionelle los, fünf von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, wie die israelische Seite Walla.co.il damals berichtete.
Letztlich spiegeln die Vorgänge in Amsterdam in moderater Form nur die realen Zustände in Israel. Umso bemühter haben Netanjahus Influencer und – wie mittlerweile bewiesen ist – westliche Leitmedien die Berichterstattung manipuliert. »Vielleicht liegt dies daran, dass die skandierenden Hooligans tatsächlich viel Wahrheit über den Krieg gegen Gaza erzählten, den die westlichen Regierungen unterstützen und finanzieren«, so der Historiker David Broder im Magazin Jacobin. Er macht darauf aufmerksam, dass nicht wenige Maccabi-Anhänger als IDF-Soldaten im Gazastreifen gekämpft haben. »Als sie ›Tod den Arabern!‹ riefen, meinten die israelischen Fans es auch so.«
Yuval Gal, Sprecher der antizionistischen jüdischen Organisation Erev Rav in Amsterdam, der aus Tel Aviv stammt und die Maccabi-Szene kennt, geht davon aus, dass längst nicht alle nur wegen des Fußballspiels gegen Ajax angereist waren: »Viele kamen, um für drei, vier Tage eine Pro-Genozid-Demonstration zu veranstalten.« Auch jüdische Linke in der Stadt hätten jederzeit Zielscheibe ihrer Angriffe werden können, meint Gal. Repressionen mussten die israelischen Hools in jedem Fall nicht fürchten. Wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt sind, ist auch die niederländische Polizei nicht eingeschritten, als sie Bürger von Amsterdam, oft nur, weil diese einen Sticker mit Palästinafahne trugen, auf offener Straße bedroht, bespuckt und geschlagen haben – keiner der Randalierer wurde festgenommen.
Diese von den niederländischen Sicherheitsbehörden zu verantwortende Anarchie und ihr hartes Vorgehen gegen propalästinensische Demonstranten im Kontrast dazu habe maßgeblich die Ausschreitungen zwischen den beiden Lagern ausgelöst, so die Einschätzung von einem linken Ajax-Fan im Interview mit dem Skinheadportal Creases Like Knives. Dass die Rechtsregierungen Israels und der Niederlande sich beeilten, den Ausschreitungen den Stempel »antisemitisches Pogrom« aufzudrücken – US-Präsident Joe Biden und, wie erwartet, der deutsche Kanzler zogen sofort mit –, diene in erster Linie deren eigener politischer Agenda. Der britische Anthropologe und Autor Philip Proudfoot betrachtet die Ereignisse von Amsterdam bereits als historisch: »Es ist wahrscheinlich das erste Mal in der Geschichte, dass führende Politiker ihre Gedanken und Gebete Fußballhooligans widmen.«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (13. November 2024 um 22:35 Uhr)Einige deutsche Medien, wie das ZDF, haben ihre Falschdarstellungen über die Ausschreitungen in Amsterdam bis heute nicht revidiert. Und andere, wie die ARD, taten das nur halbherzig und ohne eine vollständige Darstellung des tatsächlichen Geschehens.
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